Kreis Segeberg. Im Jahresbericht bewerten Ermittler die Umtriebe der Neo-Nazi-Truppe aus dem Kreis Segeberg. Zahl politisch motivierte Straftaten nahm leicht zu.

Schleswig-Holsteins Verfassungsschützer hatten im vorigen Jahr den Kreis Segeberg besonders im Visier. In ihrem jetzt vorgelegten Jahresbericht 2019 werden die Umtriebe von Neonazis in Bad Segeberg und Sülfeld besonders beleuchtet.

Unter dem Namen „Aryan Circle Nord“ (Arischer Kreis) hatte sich nach dem Vorbild von US-Straßengangs der 1980er-Jahre eine Gruppe von Neonazis gegründet. „Mit 25 Personen stellt der Aryan Circle (ACN) eine für schleswig-holsteinische Verhältnisse relativ große neonazistische Gruppierung dar“, heißt es im Bericht – und eine gewaltbereite dazu. So wurde ein Mitglied des rechtsextremistischen ACN wegen gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung sowie weiterer Delikte vom Amtsgericht Neumünster zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt.

23. März: Einem 23-jährigen Mitglied der rechtsradikalen Gruppierung
23. März: Einem 23-jährigen Mitglied der rechtsradikalen Gruppierung "Aryan Circle" wird in Neumünster der Prozess gemacht. © dpa | Frank Molter

Am 17. Oktober 2019 soll der 23-Jährige mehrere Teilnehmer einer Aktion durch Schläge und Reizgas verletzt haben, die vom ACN in Sülfeld verteilte Aufkleber entfernten – der 3300-Einwohner-Ort wurde zum Zentrum der ACN-Aktivitäten. Dort wohnten die Neonazis Daniel S., die Studentin Marie-Christin P. und ihr Freund, der wohnungslose Rechtsextreme Marcel S. aus Bornhöved (23), der in diesem Frühjahr verurteilt wurde. Sie alle gehören dem Umfeld von Bernd T. an. Der Segeberger hat bereits mehrere Haftstrafen verbüßt – unter anderem, weil er einen Obdachlosen zu Tode geprügelt hat. Nach seiner Entlassung aus der Haft in Hessen zog er im vorigen Jahr wieder nach Bad Segeberg, wo er schon vor 20 Jahren gelebt hat.

„Es gelang ihm rasch, das rechtsextremistische Potenzial in der Region zu aktivieren“, heißt es weiter im Bericht des Verfassungsschutzes. Mit mehreren eher kleineren Aktionen wie einem „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Bad Segeberg, dem Verteilen von Flugblättern sowie Teilnahmen an Großveranstaltungen in Hamburg habe sich der ACN öffentlichkeitswirksam positioniert. Mitglieder der Nazi-Gruppierung hätten immer wieder Straftaten begangen, Menschen bedroht, volksverhetzende Aufkleber in Sülfeld verteilt und dort eben auch Einwohner verletzt.

Doch die Sülfelder ließen sich das nicht gefallen und standen auf gegen Rechts. Pastor Steffen Paar setzte sich an die Spitze des Widerstands, der Sülfelder Musiker Baldikin stellte das Rap-Video „Sülfeld – wir sind mehr“ online. Er und andere Bewohner des Ortes traten vor der Kamera gegen rechtsextremistische Aktivitäten ein. Mehrere Hundert Menschen beteiligten sich an Protestaktionen, zu denen unter anderen die Handballerinnen des SV Sülfeld aufgerufen hatten. Etwa 800 Menschen setzten in der Sülfelder Sporthalle unter dem Motto „Sülfeld ist bunt - wir sind mehr“ ein Zeichen gegen die Aktionen der Neonazis. Auch der damalige Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) war dabei und würdigte das gesellschaftspolitische Engagement in Sülfeld.

Zahl der politisch motivierten Straftaten nahm leicht zu

Wenn es um politisch motivierte Straftaten insgesamt geht, rangiert der Kreis Segeberg eher im Mittelfeld. Die Verfassungsschützer listen für das vergangene Jahr 1264 politisch motivierte Delikte auf, 49 oder vier Prozent mehr als 2018. 65 Fälle entfallen auf den Kreis Segeberg. Schwerpunkte sind der Kreis Pinneberg (262 Straftaten) sowie die Städte Kiel (189) und Lübeck (134). Deutlicher zugenommen haben Gewalttaten wie Raub, Körperverletzung oder Erpressung. 66 Taten wurden erfasst, 19 oder gut 40 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Rechtsextremistisch motivierte Kriminalität dominiert: 709 Delikte (2018: 672) gehen auf das Konto von Rechtsextremisten, laut Verfassungsschutz handelt es sich dabei überwiegend um Hakenkreuzschmierereien oder das Verwenden sonstiger verbotener NS-Symbole im öffentlichen Raum oder in sozialen Medien.

Für 383 Fälle (2018: 337) zeichnen Linksextremisten verantwortlich, vier von fünf Delikten entfallen auf Sachbeschädigungen und Diebstähle. Davon wiederum entfielen die meisten auf den Europawahlkampf und richteten sich gegen die AfD. Die restlichen Straftaten haben andere Ursachen, sind beispielsweise religiös motiviert.

Der Verfassungsschutz rechnet etwa 700 Schleswig-Holsteiner dem linksextremistischen Spektrum zu, 30 mehr als 2018. Als gewaltbereit werden 335 Männer und Frauen eingeschätzt. 1060 Rechtsextremisten sind im Norden erfasst, 40 weniger als im vergangenen Jahr, 360 stufen die Verfassungsschützer als gewaltbereit ein.

Zusehends verlagern sich die Straftaten ins Internet. 53 sogenannte Hasspostings aus dem rechtsextremen Raum sind landesweit in den Verfassungsschutzbericht eingeflossen, 42 davon werden als Volksverhetzung eingestuft. Das Internet ist für Extremisten, egal ob von rechts oder links, ein Medium für Agitation, Propaganda und Mobilisierung.

In der Folge verlagert sich auch die Arbeit des Verfassungsschutzes ins Internet. „Die Kapazitäten zur Beobachtung des Cyber- und Informationsraums wurden im vergangenen Jahr ausgebaut“, sagt die neue Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).

Aryan Circle fand bei den Rechten keinen Anschluss

Wie das Beispiel Sülfeld zeigt, haben Extremisten keine Chance, ihre Ideologie zu verbreiten, wenn sich engagierte Bürger und Demokraten ihnen entgegen stellen. Auch die Polizei ist aktiv gegen den Aryan Circle vorgegangen: Am 3. März durchsuchten 150 Beamte zwölf Wohnungen von Mitgliedern in Bad Segeberg, Sülfeld, Glinde und anderen Orten in Norddeutschland. „Dem ACN gelang es nicht, Anschluss an andere rechtsextremistische Kreise zu finden“, urteilen die Verfassungsschützer. Jedoch könne sich die Gründung einer rechtsextremistischen Gruppierung jederzeit wiederholen: „Oft reicht nur eine Person mit konsequentem Führungswillen und mit in der Szene anerkanntem Charisma aus, um ein vorhandenes Potenzial an Personen zu aktivieren.“