Kreis Segeberg. Während der Coronakrise zieht es die Menschen in die Natur – Kleingartenvereine in der Region verzeichnen eine erhöhte Nachfrage.
Die Blumen entfalten ihre Blütenpracht, die Bäume strahlen in einem satten Grün, die Sonne scheint vom Himmel. Besonders während der Coronakrise zieht es die Menschen in die Natur, raus aus den eigenen vier Wänden. Zuflucht suchen viele in ihren Kleingärten. Obwohl die Menschen Abstand zueinander halten sollen, können sie hier soziale Kontakte über den Gartenzaun hinweg pflegen. Gartenarbeit hilft, um zur Ruhe zu kommen. Die Kleingartenvereine im Kreis Segeberg erleben zurzeit einen gesteigerten Ansturm auf ihre Grundstücke.
„In den letzten 14 Tagen ist die Nachfrage massiv gestiegen“, sagt Uwe Krüger. Der 63-Jährige ist stellvertretender Vorsitzender des Kleingärtnervereins Garstedt. Mit seinen mehr als 200 Pachtgärten, verteilt auf fünf verschiedene Koppeln in Norderstedt, und einer Größe von fast 100.000 Quadratmetern ist er der größte Kleingartenverein im Kreis Segeberg. 250 bis 350 Euro kostet eine Parzelle hier im Jahr. Bis vor Kurzem gab es noch acht freie Gärten in den Anlagen – inzwischen sind alle vergeben.
In Garstedt stehen schon zehn Bewerber auf der Warteliste
„Leider muss ich die Leute nun vertrösten“, sagt Uwe Krüger. Etwa zehn Bewerber würden derzeit auf der Warteliste stehen. „So einen Andrang hatten wir noch nie. Wir haben zum ersten Mal Bewerber in der Schublade liegen.“ Krüger ist seit 1997 stolzer Kleingartenbesitzer in Garstedt. Er arbeitet als Planer für die Deutsche Bahn, geht auf die Rente zu und genießt die Zeit in der Natur – besonders jetzt während der Coronakrise. Mit seinen Nachbarn hält er Smalltalk über den Gartenzaun. „Es ist wie in einer Oase hier. Trotz des Abstandsgebots können wir am sozialen Leben teilhaben“, sagt Krüger. Dem Vorstandsmitglied ist aufgefallen, wie herausgeputzt die Parzellen bereits aussehen. „So weit fortgeschritten sind die Besitzer zu dieser Zeit sonst nicht mit ihrer Gartenarbeit.“
Glashütte, der kleinste Kleingartenverein in Norderstedt, verzeichnet ebenfalls Anfragen von Bewerbern, denen es offenbar weniger um einen eigenen Garten geht, als vielmehr um die Möglichkeit, ihrer Etagenwohnung für ein paar schöne Stunden zu entkommen. ,,Wir haben das gemerkt“, sagt Andrea Collmann, Vorsitzende der kleinen Kolonie mit 39 Parzellen. ,,Wir bekamen in diesen Tagen einen Schwung von Bewerbungen per E-Mail und per SMS von Leuten, die ganz in der Nähe wohnen, sich bisher aber noch nie ernsthaft mit dem Thema Garten befasst haben“, sagt die Vorsitzende. ,,Die haben keine Ahnung, was ein Garten wirklich bedeutet. Sie schlucken, wenn sie hören, mit welchen Kosten und eben auch Pflichten so ein Kleingarten in der Gemeinschaft verbunden ist.“
Selbst ernsthafte Bewerber haben in Glashütte momentan kaum eine Chance. Zurzeit ist keine Parzelle frei – und es gibt eine Warteliste. Das Vereinsleben ist – wie in allen Kleingartenanlagen der Republik – wegen der strengen Coronaauflagen zum Erliegen gekommen. Das Vereinshaus ist dicht, alle Veranstaltungen, Vereinssitzungen und die für jeden Gartenfreund obligatorische Gemeinschaftsarbeit wurden abgesagt. Partys im Garten sind ebenfalls verboten. ,,Man grüßt sich, ruft sich etwas von Garten zu Garten zu. Die Kinder werden auf Abstand gehalten. Wir genießen die Ruhe“, sagt Andrea Collmann.
Auch Peter Willoweit, Vorsitzender vom KGV Friedrichsgabe, kann sich vor Anfragen kaum retten. ,,Wir haben 50 Prozent mehr Nachfrage als voriges Frühjahr. Die Bewerber sagen uns offen und ehrlich, dass sie keine Ahnung von der Gartenarbeit haben.“
In Bad Bramstedt haben nur Einheimische eine Chance
Seit zwei Jahren wächst das Interesse an Kleingärten vor allem bei jungen Familien mit Kindern in Norderstedt stetig, hat Willoweit beobachtet. Das führt er vor allem auf die Neubaugebiete mit Etagenwohnungen zurück, in die vor allem jüngere Leute ziehen. Sich aus einer Laune heraus für eine der 120 Parzellen in den drei Kolonien seines Vereins zu bewerben, funktioniere so einfach nicht. ,,Ich finde, man sollte echtes Interesse an einem Kleingarten haben – nicht nur, um wegen Corona mal rauszukommen. Ein Garten soll etwas Dauerhaftes sein.“ Die Wartezeit beträgt im KGV Friedrichsgarbe zurzeit zwischen sechs Monaten und einem Jahr.
Auf dem Lande ist vom Coronaeffekt nur wenig zu spüren. ,,Hier bei uns im ländlichen Bereich ist es anders“, sagt Wilfreid Blom, Vorsitzender vom KGV Bad Bramstedt. Auch hier übersteigt die Nachfrage nach freien Parzellen im Frühjahr das Angebot. Und auch hier bewerben sich zunehmend jüngere Leute um ein Stück Land. Aber nur, wer in der Gegend wohnt, hat eine Chance, eine der begehrten 35 Parzellen zu ergattern. ,,Wir vergeben die Gärten nur an Ansässige aus Bad Bramstedt und Bad Bramstedt-Land“, sagt Blom.
Auch beim Verein der Gartenfreunde Kaltenkirchen gehen täglich Anfragen ein. ,,Viele Familien mit Kindern fragen an. Die Nachfrage nach freien Parzellen ist enorm“, sagt der Vereinsvorsitzende Heinrich Dams. ,,Ich könnte jetzt 20 freie Gärten gebrauchen, um die Nachfrage zu decken.“ Aber nur ein einziger der 161 Gärten in den drei Gartenanlagen ist frei. Ob der Run auf Gärten auf die Coronakrise zurückzuführen ist, lasse sich so genau nicht sagen. ,,Es kann sein, dass es damit zusammenhängt. Dass Leute denken, wenn sie im Sommer nicht in den Urlaub fahren können, können sie es sich ja im Garten gemütlich machen.“ Doch spätestens in dem Moment, wenn er ihnen sage, dass man im Kleingarten auch selbst Gemüse anbauen muss, mache ein Großteil der Bewerber einen Rückzieher.
Der Vorsitzende vom Verein der Gartenfreunde in Henstedt-Ulzburg, Wolfgang Hellmann, hat an den Pforten der Gartenkolonie mit 82 Parzellen Schilder aufgehängt, auf denen steht, dass die behördlichen Coronaanordnungen zu befolgen sind. Der Spielplatz ist gesperrt, das Vereinshaus geschlossen. ,,Die meisten halten sich an die Regeln“, sagt Hellmann, zugleich Kreisvorsitzender aller 18 Kleingartenvereine im Kreis Segeberg mit rund 2000 Mitgliedern. Auch in Henstedt-Ulzburg gibt es eine Warteliste. Auch hier gibt es sehr viele Anfragen. Noch bewegen sich diese in Henstedt-Ulzburg im für das Frühjahr üblichen Rahmen, sagt Hellmann. Doch wenn die Auflagen längere Zeit andauern, könne er sich vorstellen, dass der Drang in den Garten noch weiter zunimmt.
Der Garten fordert jetzt den ganzen Mann...
Auch Abendblatt-Redakteur Jörg Riefenstahl ist ein bekennender Kleingarten-Fan:
„Das Fitnessstudio ist dicht. Na und? Mein Garten fordert jetzt den ganzen Mann. Er ist meine Kraftquelle. Meine Rettung. Die Chorproben fallen aus? Ich pfeife drauf und stimme ein – ins Vogelkonzert. Die Kinos sind geschlossen, der neue Bond muss warten. Stattdessen empfängt mich ein Tagpfauenauge mit prachtvoll ausgebreiteten Flügeln zum Gratis-Sonnenbade. Seine Leinwand ist frisch aufgeworfener Mutterboden. Ich pirsche mich gespannt ganz nah heran – banne das bunte Insekt auf dem Smartphone. Bingo!
Die Luft ist klar und frisch. Das Grollen der Flugzeuge in der Ferne verstummt. Was für eine Stille! Im Hochbeet eifern Rucola, Lollo Rosso, Eichblatt und Feldsalat im zarten Grün um die Wette. Stauden brechen hervor, Tulpen drängen ans Licht. Im Gartenteich wimmelt es nur so von Kaulquappen. Sie kennen weder Abstandsgebot noch Mundschutz. Sind einfach nur da.
Gartenfreunde schauen vorbei. Statt Bierchen zum Plausch an der Feuerschale reiche ich doppelten Abstands-Espresso to go über die Heckenbar. So ist das heute.
Eine Blaumeise inspiziert ihr neues Zuhause. Für einen Moment werde ich vom Gärtner zum Ornithologen. Der flinke Piepmatz beäugt mich aus sicherer Entfernung. Was mag der wohl denken? ,Du hast immer die besseren Tiere’, ruft mein Nachbar herüber. Hab ich? Bei ihm war schon wieder der Maulwurf.
Die Frühbeete sind bereitet, erschöpft sinke ich in den Strandkorb. Ach, ich wollte doch noch die Rebe schneiden? Macht nichts, sage ich mir, morgen ist auch noch ein Tag. Der Garten nimmt mich gefangen – und macht mich dennoch unendlich frei.“