Norderstedt. 19 Jahre alte Norderstedt erfüllt sich einen Traum: Sie lässt sich zur Synchronsprecherin ausbilden.
Es kommt auf die Stimme an: Viele ausländische Filmstars haben deutsche Stimmen, die eine hohen Wiedererkennungswert haben und – im Idealfall – untrennbar mit den Gesichtern von Hollywood-Stars verbunden werden. Dagmar Dempe mit Meryl Streep, Hansi Jochmann mit Jodie Foster, Volker Brandt mit Michael Douglas oder natürlich Christian Brückner mit Robert De Niro. Wer in Kinofilmen Stars dieser Größenordnung über Jahrzehnte synchronisiert, gehört zum gut bezahlten „harten Kern“ des Synchronisationspersonals. Thomas Bräutigam, Verfasser des Lexikons der Synchronsprecher („Stars und ihre deutschen Stimmen“), schätzt diese Gruppe auf zwei bis drei Dutzend Personen. Wer auf diesem Level arbeitet, hat es geschafft.
So weit ist Vanessa Demgen noch nicht, aber sie hat sich auf den Weg gemacht: Die 19-jährige Norderstedterin lernt nach ihrem Abi am Coppernicus-Gymnasium den Beruf der Synchronsprecherin.
Anderthalb Jahre dauert die Ausbildung
Viele junge Frauen und Männer träumen von einem Beruf auf der Bühne oder vor der Kamera, Vanessa will ihre künstlerischen Ambitionen lieber dort ausleben, wo niemand sie sieht: Im Tonstudio hinter dem Mikrofon. „Wenn ich auf die Bühne muss, habe ich entsetzliches Lampenfieber“, sagt sie. „Das muss ich nicht haben.“ Stattdessen hat sie einen anderen Weg eingeschlagen: In anderthalb Jahren wird sie an der Akademie Deutsche POP in Hamburg zur Sprecherin ausgebildet.
Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn hinter jedem eingesprochenen Take steckt harte Arbeit. Das hat Vanessa inzwischen festgestellt. Bevor der erste Ton gesprochen wird, stehen Streckübungen auf dem Programm, Übungen zur Lockerung der Muskeln, Einsprechübungen. Dann folgt Projektarbeit, die sich über die unterschiedlichen Genres erstreckt: Werbetexte, Sachtexte, Prosatexte, Nachrichtentexte, Filmtexte. Im Januar haben sie und ihre Mitschüler Hörbücher aufgenommen. Immer mit Gefühl für die jeweilige Situation und immer unter Beachtung der wichtigsten Sprachregeln: Einen „König“ gibt es am Mikrofon nicht, dafür aber den „Könich“. Und der Buchstabe „R“ wird nach einem langen „E“ wie ein „A“ gesprochen. Also nicht „Erde“, sondern „Eade“. Für Vanessa Demgen ist das inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, aber zu Beginn ihrer Sprecherausbildung empfand sie viele Regeln als „ziemlich verrückt“.
Bei der Prüfung muss Vanessa spontan vom Blatt lesen
Das Einlesen von Hörbüchern kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: Entweder wird der Text spontan gelesen, oder er wird mit vielen Anmerkungen gut vorbereitet. „Bei der Prüfung muss ich einen Sachtext prima vista, also spontan vom Blatt, lesen.“ Um sich daran zu gewöhnen, liest sie ihrer jüngeren Schwester oft aus Büchern vor. Im nächsten Semester stehen Hörspiele auf dem Unterrichtsplan.
Gut möglich übrigens, dass Vanessa eines Tages ihre eigenen Bücher am Mikrofon einliest: Sie schreibt seit ihrem siebten Lebensjahr Geschichten, die im Laufe der Jahre immer komplexer geworden sind. Gerne in Richtung Fantasy und Science-Fiction. Das alles soll sie auf ihr späteres Berufsleben vorbereiten. Einfach wird es nicht, das weiß Vanessa Demgen. Denn der Sprechermarkt in Deutschland ist umkämpft – und aller Anfang ist schwer. Andererseits werden in kaum einem anderen Land so viele Filme synchronisiert wie in Deutschland. Es werden also viele gute Stimmen gebraucht.
Um Aufträge als Freiberuflerin zu ergattern, muss sie sich bewerben und sich casten lassen. „Ich würde gerne in Richtung Film gehen, das steht fest“, sagt die Norderstedterin. Fest steht für sie auch, worauf sie sich nur ungern einlassen würde: „Erotische Szenen möchte ich eher nicht sprechen.“
Auch für Stimmgemurmel braucht man Synchronsprecher
Aber soweit ist es ohnehin noch nicht. „Normal ist, dass eine junge Sprecherin oder ein junger Sprecher für Stimmgemurmel eingesetzt wird.“ Viele Zuschauer kommen wohl kaum auf die Idee, dass auch Hintergrundstimmen professionell eingesprochen werden müssen. Gezahlt wird auch für diese Arbeit: „Die Sprecher verdienen ihr Geld pro Take“, hat Vanessa Demgen gelernt.
Es ist vermutlich ein langer Weg, um eines Tages einem Star wie Julia Roberts eine deutsche Stimme zu geben. Aber immer wieder gibt es neue und junge Stars am Kinohimmel – vielleicht geht eines Tages mit einem neuen Star auch der Stern von Vanessa Demgen auf.