Quickborn. Diagnose EDS: Was Martina Hahn aus Quickborn bis dahin erlebte. Und wie sie nun über ihre nahezu unbekannte Erbkrankheit aufklärt.
Sie ist eine fröhliche, lebenslustige Frau, der man ihr schweres Schicksal nicht sofort ansieht. Aber Martina Hahn (38) aus Quickborn leidet an einer unheilbaren Krankheit, die sich Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) nennt. Das ist eine sehr seltene genetische Erkrankung, die das Bindegewebe und die Gelenke schädigt. Etwa 5000 Menschen sind in Deutschland betroffen. Es dauerte Jahre, bis Martina Hahn überhaupt die richtige Diagnose gestellt wurde. Eine lange Ärzte-Odyssee schloss sich an. Darüber hat die Quickbornerin ein Buch geschrieben. Jetzt fordert sie in einer Online-Petition, dass EDS in der Fachwelt mehr anerkannt und erforscht wird und dass vor allem den Betroffenen besser und schneller geholfen wird.
Bis vor acht Jahren schien für die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin, die wegen ihrer Arbeit in Hamburg von Rostock nach Quickborn gezogen war, die Welt noch in Ordnung. Sie trieb viel Sport, tanzte für ihr Leben gern, hatte in jungen Jahren Handball gespielt und Leichtathletik gemacht. Das ist alles längst vorbei. „Ich kann nicht mehr lange sitzen, stehen oder gehen.“ Jeder Sport sei tabu. Wenn sie über weichen Boden oder unebene Stellen auf dem Bürgersteig gehe, knicke sie leicht um. Ihren Einkauf muss sie sich bringen lassen, weil sie nicht mehr tragen kann, ohne dass ihre Gelenke verrücktspielen. Im Schlaf verrenke sie sich schon mal die Halswirbelsäule, beim Anheben der Bratpfanne das Handgelenk, ständig habe sie blaue Flecken. Sogar beim Gähnen oder Lachen kann das Kiefergelenk plötzlich blockieren.
Seit Kurzem hilft ein Herzschrittmacher
Noch schwerwiegender sind ihre Herz-Kreislauf-Probleme, die in diesem Jahr dazu führten, dass sie einen Herzschrittmacher brauchte. Jetzt läuft das gute Stück. „Ich kann regelrecht spüren, wenn er anspringt“, sagt Martina Hahn und fügt fast begeistert hinzu: „Ich liebe meinen kleinen Cora. Ich freue mich, dass er da ist.“ Schließlich sorgt er dafür, dass sie trotz aller Beschwerden weiterleben kann.
In jungen Jahren bemerkte sie die Erbkrankheit noch nicht. Dass sie viel beweglicher und gelenkiger als jeder normale Mensch war, wunderte sie nicht weiter. Die vielen Gelenkschmerzen und –entzündungen, die blauen Flecken und dass ihr ständig schwindelig wurde, tat sie als normale Zipperlein ab. Doch als sie sich nach einem ausgiebigen Zumba-Training in der Quickborner Volkshochschule plötzlich vor Schmerzen tagelang nicht mehr bewegen konnte, war Martina Hahn alarmiert. Ihr Arzt glaubte zunächst, sie sei an Rheuma erkrankt. Eine Fehldiagnose. Auch das MRT war unauffällig. Psychosomatische Ursachen wurden vermutet, was Martina Hahn besonders unangenehm war. „Ich bin doch kein Psycho und habe auch kein Burn-out.“ Dass Cortison die Schmerzen linderte, half ihr in der Überzeugung, dass es eine körperliche Ursache geben muss.
Plötzlich Symptome erkannt, über die Oma einst klagte
Schließlich entdeckte sie bei einem Klinikaufenthalt in Bad Bramstedt, dass sie offenbar hypermobil ist. Dass es überhaupt nicht normal ist, wenn sich ihre Haut an mehreren Stellen des Körpers völlig überdehnen kann. „Das könnte meine ständigen Muskelprobleme und Gelenkschmerzen erklären“, war sie sich mit den Ärzten einig und stieß im Internet endlich auf die ihr bis dahin völlig unbekannte EDS-Erbkrankheit. „Da ging mir ein Licht auf“, erinnert sie sich. All die darin beschrieben Symptome trafen auf sie zu. Und sie konnte sich plötzlich erklären, worüber ihre Oma früher immer geklagt hatte.
Doch auch die richtige Diagnose half ihr zunächst nicht weiter. Selbst das UKE konnte ihr keine speziell auf EDS zugeschnittene Therapie anbieten. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an Spezialkliniken in ganz Deutschland. Allmählich wurde sie selbst zur Expertin für ihre Krankheit. Etliche Medikamente helfen ihr jetzt, die Beschwerden zu lindern und den Alltag zu bewältigen.
Wieder zurück in den Beruf gekämpft
Parallel kämpfte sie sich nach zweijähriger Krankschreibung zurück in den Beruf. „Ich wollte unbedingt weiterarbeiten. Ich bin ja erst Mitte 30“, sagte sie sich. Jetzt ist sie bei den Regio-Kliniken in Elmshorn beschäftigt.
Zwei Jahre lang hat sie an ihrem Buch geschrieben. 370 Seiten „wie ich erfuhr, dass ich ein Zebra bin“. Womit die Seltenheit ihrer Krankheit gemeint ist. Denn wer Hufgetrappel höre, denke sofort an ein Pferd und nicht an das exotische Tier aus Afrika, erklärt Martina Hahn. „Das Schreiben hat mir Mut gemacht.“ Und ihre eigene Selbsthilfegruppe, die sie seit vier Jahren in den sozialen Medien aufgebaut hat, erreiche inzwischen 400 Betroffene.
Online-Petition läuft bis Ende April 2020
Auch Martina Hahns Hausarzt Dr. Rainer Sass aus Quickborn ist beeindruckt, wie tapfer seine Patientin die Krankheit verkrafte. „Wir dürfen zwar nicht die Volkskrankheiten vernachlässigen“, sagt der Mediziner. „Aber es würde den Betroffenen sicher helfen, wenn diesen seltenen Krankheiten mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde.“
Deshalb will Martina Hahn nun auch in aller Öffentlichkeit um mehr Verständnis werben. In ihrer Online-Petition hat sie in sechs Wochen bereits 2733 Unterstützer gefunden. 50.000 müssten es schon sein, um Gehör zu finden, meint sie. Sie fordert einen runden Tisch mit Politikern, Ärzten, Pflegern und andere Fachleuten, um Mediziner besser aufzuklären und mehr über EDS zu forschen, damit die Krankheit schneller diagnostiziert und besser therapiert werden könne. Noch bis Ende April 2020 kann ihre Petition unterstützt werden.