Sülfeld. Musikvideo „Wir sind mehr!“ als Rap gegen Rechtsextremismus gedreht. Anlass waren Übergriffe von Neonazis.
Eine Gemeinde zeigt Flagge gegen rechte Umtriebe: Sülfeld singt, rappt und tanzt gegen den aufkommenden Neofaschismus. Seit vor einigen Wochen Bewohner von Rechtsradikalen angegriffen wurden, geht ein Ruck durch das 3000 Einwohner zählende Dorf.
Am Wochenende hat der Sülfelder Rap-Musiker „Baldikin“ mit rund zwei Dutzend Menschen ein Video im Ort gedreht, dessen Kernaussagen klar und deutlich lauten: „Sülfeld wird stets zusammenhalten. Ein Dorf. Eine Einheit. Wie ein Hort für unabhängige Freiheit…Wir sind mehr, das ist unsere Weisheit…Wir werden unser Verhalten gegen euch verstärken. Rechtsextremismus wird hier sterben.“
Unter den Mit-Rappern ist auch Sülfelds Pastor Steffen Paar. Auch wenn er sonst eher klassische Musik höre, habe er sich sofort bereiterklärt mitzumachen, als ihm „der kreative Kopf“ – eben Baldikin – von dieser Idee erzählte. „Für die Gemeinde ist das eine wichtige Sache“, sagt Paar. „Wir müssen unser Gesicht zeigen und so öffentlich machen, dass wir uns als Dorfgemeinschaft nicht unterkriegen lassen.“
Auch wenn die Neonazis weg sind, will Sülfeld Flagge zeigen
Zwar scheine die größte Gefahr gebannt, da einer der in Sülfeld aufgetretenen Neonazis jetzt in Untersuchungshaft sitze und seine beiden Kumpane das Dorf offensichtlich verlassen hätten, so der Pastor, aber: „Wir müssen weiter Flagge zeigen gegen rechts. Die Leute müssen lernen, dass wir nur in Freiheit leben können, wenn wir etwas dafür tun. Das ist Demokratie. Freiheit fällt nicht vom Himmel.“
Er wisse aber auch, dass manche im Dorf dies anders sähen und meinten, jetzt, wo die Neonazis wieder weg seien, brauche man nichts mehr zu tun. „Aber wir müssen weiter wachsam bleiben“, fordert Pastor Paar, der das Musik-Video für eine „absolute Bereicherung“ für die Dorfgemeinschaft hält.
Es gibt Menschen im Dorf, die nach wie vor Angst haben
Der Initiator Baldikin zeigte sich zufrieden mit dem Anklang, den seine Aktion fand – auch wenn es ein paar Teilnehmer mehr hätten sein dürfen. „Aber einige haben eben regelrecht Angst“, weiß der Musiker, der seit 25 Jahren in Sülfeld lebt und sich auch für Flüchtlinge einsetzt. Keiner lasse seine Kinder mehr unbeobachtet und abends allein auf der Straße. Aber die Menschen dürften sich nicht damit abfinden und sollten es nicht tatenlos hinnehmen, dass ein paar Neonazis ein ganzes Dorf in Angst und Schrecken versetzten.
„Ich bin schon immer dagegen angegangen, wenn ich etwas für ungerecht hielt“, sagt er über seine Motivation. Das sei schon als Kind so gewesen, als er in der Schule gemobbt worden sei, weil er klein und rothaarig war. „Für mich ist das eine Herzensangelegenheit.“
Die Aktion hat sich im Kreis Segeberg und darüber hinaus herumgesprochen. Ingolf Seiss aus Leezen, der eigentlich lieber Rockmusik als Hiphop hört, war sofort klar, als er davon hörte: „Solidarität zu zeigen, ist jetzt das Wichtigste. Rassistisches Gedankengut ist von gestern und sollte es bleiben.“
Detlef Mielke aus Elmenhorst hält es „für wichtig, gegen Neonazis und Faschismus aufzustehen und aufzupassen, dass sich nicht wieder so ein menschenverachtendes Zwangssystem hierzulande breit macht.“ Alle Menschen auf der Welt hätten dieselben Rechte. „Ich will dahin fahren können, wohin ich will. Diese Freiheit gilt für alle.“
Jung und Alt beteiligten sich an der Aktion, die mit den Dreharbeiten in der Kirchen-Remise, aber auch auf der Straße und vor der Kirche für jedermann öffentlich zu sehen war. Ein 86 Jahre alter Rentner, den der Pastor gleich beim Namen nannte, wollte „als Opa gegen rechts“ sofort mitmachen, als er die „Omas gegen rechts“ mit ihren Plakaten sah. Und der Kurde Ahmed Jaf hatte gleich seine Frau und drei Kinder zum Mitsingen gegen Rechtsextremismus mitgebracht.
Ingo Singelmann, der sich als einer der ersten ans Mikrofon traute, war sogar aus Ahrensburg nach Sülfeld gekommen, um Solidarität zu zeigen. Dort zeige der politische Fußballverein „Roter Stern Kickers“ seit Jahren Flagge gegen rechts. „Ich finde diese Aktion sehr gut. Rechtsradikale Parolen dürfen sich nicht verfestigen.“
In Bad Segeberg treffen sich die „Omas gegen rechts“ das nächste Mal am Donnerstag, 28. November, um 18 Uhr in der Kneipe Olive an der Oldesloer Straße 53. Weitere Mitstreiterinnen seien herzlich willkommen, sagt Oma Irene aus der Kreisstadt.