Henstedt-Ulzburg. Familie Terrey führte monatelang einen Kampf mit der Behörde. Schließlich wurde die Hilfe genehmigt – bis Ende Januar.

Die dreijährige Alma kocht Essen für ihre Familie. Sie steht am Herd ihrer Kinderküche und bereitet Waffeln zu. Dass sie aus Holz sind, stört ihre Mutter Carolin Terrey-Creutz nicht. Sie schmatzt genüsslich, während sie vortäuscht, das Gebäck zu essen. Alma kichert. Mit am Tisch sitzt Stefanie Schmidt. Die 36-Jährige ist gehörlos. Sie zeigt auf die Waffeln, ballt ihre Hände zu Fäusten und legt sie sanft übereinander. Alma schnappt die Gebärde sofort auf, macht sie nach. Ihre Mutter applaudiert und das Mädchen hüpft auf und ab – vor Freude, dass sie endlich von ihrer Außenwelt verstanden wird.

Alma aus Henstedt-Ulzburg ist hörgeschädigt und leidet an einer schweren Sprachentwicklungsstörung. Sie kann weder ihre Zunge noch die Mundmuskulatur richtig steuern. Ärzte vermuten einen seltenen Gendefekt. In einem Alter, in dem die meisten Kinder nahezu fließend sprechen können, gibt Alma nur wenige Laute von sich. Sie brummt, brüllt und quietscht. Weder Angst, Wut noch Zuneigung kann das Mädchen in der Lautsprache ausdrücken. „Seit drei Jahren spricht Alma kaum ein Wort. Gebärden hingegen saugt sie sofort auf und macht sie nach. Daran merkt man, dass das ihre Sprache ist“, sagt Vater Dennis Terrey.

Sozialamt genehmigte keine zusätzliche Sprachförderung

Doch die Gebärdensprache zu erlernen, blieb Alma zunächst verwehrt. Monatelang führte die Familie einen verzweifelten Kampf mit den Behörden (das Abendblatt berichtete). Wenn Alma womöglich nie laut sprechen wird, soll sie sich wenigstens mithilfe von Gebärden mitteilen können. Die Eltern wollten ihrer Tochter eine Sprachassistentin sowohl in der Kita als auch zu Hause zur Seite stellen, damit sie nicht länger in sich gefangen bleibt. Das Mädchen hatte sich zunehmend isoliert, erlebte immer wieder frustrierende Momente, in denen sie sich nicht mitteilen konnte. Doch weil Alma bereits einen Integrationskindergarten für Kinder mit Behinderungen besucht, wurde ihr eine zusätzliche Sprachförderung vom Sozialamt nicht genehmigt.

Nun erstritten die Ter­reys vor dem Sozialgericht in Lübeck zumindest einen Teilerfolg. Alma wurden 15 Stunden pro Woche in der Kita und zwei Stunden zu Hause mit einer Gebärdensprachdolmetscherin zugesprochen. Das Gericht erkannte den Anspruch an. Die Begründung: Die Eingliederungshilfe müsse eine Behinderung und deren Folgen mildern und behinderte Menschen in die Gesellschaft eingliedern. Damit hat die Familie die wohl erste Grundsatzentscheidung dieser Art in Schleswig-Holstein erkämpft. „Wir sind froh, dass die Richter den Anspruch anerkannt haben. Trotzdem ist die Hilfe nicht ausreichend und nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Carolin Terrey-Creutz. Denn: Nur die Hälfte der geforderten Stunden mit der Sprachassistentin wurde Alma genehmigt. Und nur bis Ende Januar. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Die Behörden müssen die Situation dann neu beurteilen. Die Eltern haben bereits Beschwerde beim Landessozialgericht in Schleswig eingelegt. Bisher ergebnislos.

Stefanie Schmidt ist gehörlos – kann aber sprechen

Stefanie Schmidt hat das Schicksal der Familie Terrey sehr berührt. Sie ist für drei Tage aus Paderborn angereist, um mit Alma Gebärdensprache zu üben. Unentgeltlich. „Als Muttersprachlerin kann ich ihr die Kultur anders vermitteln und Fragen der Eltern besser beantworten, weil ich Almas Welt selbst nachempfinden kann“, sagt sie. Stefanie Schmidt ist zwar gehörlos, kann aber sprechen. Dahinter steckt harte Arbeit ihrer Eltern. Sie haben bereits als Kind täglich mit ihr geübt. Sie ist in der Welt der Hörenden groß geworden. Zwar klingt ihre Sprachmelodie monotoner, aber dank der Fähigkeit, Lippen zu lesen, kann sie sich unterhalten. Mit ihrer Gabe setzt sie sich für Gehörlose ein und gibt unter anderem Erste-Hilfe-Kurse für sie.

Zur Familie Terrey aus Henstedt-Ulzburg gehören Mutter Carolin, Jonah (6), die hörgeschädigte Alma (3) sowie Vater Dennis und Sohn Noah (1).
Zur Familie Terrey aus Henstedt-Ulzburg gehören Mutter Carolin, Jonah (6), die hörgeschädigte Alma (3) sowie Vater Dennis und Sohn Noah (1). © Annabell Behrmann

„Es ist toll, wenn jemand im Alltag da ist, dem man sofort Fragen stellen kann“, sagt Carolin Terrey-Creutz. Die Mutter dreier Kinder – neben Alma gehören auch Jonah (6) und Noah (1) zur Familie – lernt mit ihrem Mann Dennis ebenfalls die Gebärdensprache. Selbst wenn die Gymnasiallehrerin mit ihren hörenden Kindern spricht, gebärdet sie dabei. So gut sie eben kann. Die Eltern bekommen vier Stunden Hausunterricht, besuchen einmal wöchentlich einen Kursus an der Volkshochschule und üben die Sprache mit einem Online-Anbieter im Internet. „Gebärdensprache zu lernen würde uns wirklich Spaß machen, wenn der Druck nicht so groß wäre“, sagt Carolin Terrey-Creutz.

Alma hat inzwischen mehr als 130 Gebärden gelernt. Sie wirkt fröhlicher, zieht sich seltener zurück. Ihre Sprachassistentin begleitet sie regelmäßig im Alltag. „Alma ist nicht mehr so in sich gefangen und isoliert wie noch vor ein paar Wochen“, sagt auch ihre Mutter. Auch wenn es immer noch Frustrationsmomente gebe, sei es beeindruckend, wie schnell ihre Tochter lerne. „Die Kämpfe für Alma haben sich gelohnt.“