Bad Segeberg. „Segeberg bleibt bunt“: Breites Bündnis setzt am 9. November in der Kreisstadt ein Zeichen gegen Fremdenhass, Rassismus und rechte Gewalt.

Ein beeindruckendes, buntes und fantasievolles Zeichen gegen Fremdenhass, Rassismus und Gewalt von Rechts sowie für Toleranz und Vielfalt haben mehrere Tausend Menschen in der Kreisstadt Bad Segeberg gesetzt. An jenem Tag (9. November), an dem sich der Mauerfall zum 30. Mal und die Reichspogromnacht, als jüdische Synagogen und Geschäfte brannten, zum 81. Mal jährten, fanden sich viele Menschen in der Innenstadt zusammen, um gegen das Wiedererstarken faschistischer Gruppen zu demonstrieren, die sich jüngst vor allem in Bad Segeberg und Sülfeld breit gemacht und die Bevölkerung entsetzt haben.

Der Protestmarsch bewegte sich nach der Kundgebung zwei Stunden durch die Innenstadt und blieb nach Polizeiangaben bis zum Schluss friedlich. Gegen elf Personen aus dem rechten Spektrum wurden allerdings Platzverweise ausgesprochen, ein Mann in Gewahrsam genommen, da er die Anweisung nicht befolgte. Die Polizei war mit mehreren Hundertschaften vor Ort.

Propst Havemann plädiert für Offenheit

Die „Omas gegen Rechts“ gehen auf die Straße, um sich für die Zukunft ihrer Enkel stark zu machen.
Die „Omas gegen Rechts“ gehen auf die Straße, um sich für die Zukunft ihrer Enkel stark zu machen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Propst Daniel Havemann vom Kirchenkreis Plön-Segeberg erinnerte auf der Kundgebung in der Fußgängerzone an die Festwochen vor 30 Jahren, als Deutschland der ganzen Welt gezeigt hätte, dass es auf friedliche Weise „Mauern und Zäune einreißen“ könne. „Genauso soll unser Land bleiben: offen und bunt“, rief der Propst in die Menge, die lautstark applaudierte. Darunter befanden sich alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen, junge wie alte Leute, Einheimische wie Zugewanderte. Kai Harster (79) war aus Sülfeld gekommen, wo sich kürzlich 400 Menschen den „drei rechten Socken“ im Dorf, die im Oktober unschuldige Bürger angegriffen haben sollen, entgegengestellt hatten. Ulrike Dziobek, die selbst im Kreis Segeberg lebt, führte mehr als ein Dutzend „Omas gegen Rechts“ an. „Unsere Aufgabe ist es, unsere Enkel zu schützen“, sagte Dziobek, die selbst Großmutter ist.

Maren Praml aus Bad Oldesloe steht für Vielfalt – und dagegen, dass sich „Nazis wieder breit machen“.
Maren Praml aus Bad Oldesloe steht für Vielfalt – und dagegen, dass sich „Nazis wieder breit machen“. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Damit sprach sie Erika Marxsen aus Bad Segeberg aus dem Herzen. „Das darf nie wieder geschehen, dass der Faschismus hier Platz greift“, sagte die resolute 86 Jahre alte Dame. Die älteste war sie damit noch lange nicht. Lisa Schirmer, 103 Jahre alt, war mit ihren Töchtern Petra und Dagmar aus Eutin gekommen, um Flagge gegen Rechts zu zeigen. „Unsere Mutter wollte unbedingt hierherkommen. Sie kennt den ganzen braunen Dreck leider noch zu gut aus eigener Anschauung.“ Es wurde geklatscht, gemeinsam gesungen und Musik gespielt. Der Musiker Konstantin Wecker ließ über den Veranstalter vom Bündnis „Wir sind mehr – Bad Segeberg bleibt bunt“ eines seiner Lieder als mahnende Grußbotschaft spielen.

Rechtsextreme unter dem Deckmantel „besorgter Bürger“? Nicht mit diesen beiden jungen Frauen.
Rechtsextreme unter dem Deckmantel „besorgter Bürger“? Nicht mit diesen beiden jungen Frauen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Junge Frauen hüllten sich in Regenbogenfarben mit der Parole, sie würden es den „besorgten Bürgern schon besorgen“. Kreispräsident Claus-Peter Dieck, der selbst mitlief, freute sich, „dass die Segeberger eine so breite Front gegen Rechts“ zeigten. Maren Praml aus Bad Oldesloe hatte ihren Schirm liebevoll mit bunten Sprüchen bemalt und behängt: „Wir wollen nicht, dass sich die Nazis hier wieder breit machen“, sagte die junge Frau. „Wenn wir jetzt nichts dagegen tun – wann dann?“

Politiker, darunter Innenminister Hans-Joachim Grote (2. v. l.), erinnerten an die Reichspogromnacht 1938.
Politiker, darunter Innenminister Hans-Joachim Grote (2. v. l.), erinnerten an die Reichspogromnacht 1938. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Genau das war auch der Tenor der Gedenkstunde im Rathaus, an der gut 300 Menschen teilnahmen. Bürgervorsteherin Monika Saggau hielt dort ein starkes Plädoyer an die Bürgerschaft, sich öffentlich gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Rassismus zu bekennen. „Es braucht Mut und Courage, sich nie wieder wegzuducken und nie wieder stillzustehen“, sagte sie unter großem Applaus. Auch Innenminister Hans-Joachim Grote sprach deutliche Worte: „Zeigen wir den Nazis und neuen Nazis, dass hier kein Platz für sie ist“, sagte der CDU-Politiker und nannte den Segeberger Neonazi Bernd T. bei vollem Namen. Dieser schare seit seiner Haftentlassung im Sommer eifrig „Vasallen“ um sich. Da sei es gut und richtig, dass der Kreis die Demo der Neonazis verboten hatte, die zeitgleich wie die Kundgebung „Wir sind mehr“ hätte stattfinden sollen. Dass die unter dem Motto „Gesicht zeigen“ angemeldet war, zeige, wie sich die Rechtsradikalen inzwischen aus der Deckung trauten, warnte der Minister. „Lassen Sie uns Gesicht und klare Kante zeigen gegen diejenigen, die unsere demokratische Gesellschaft zerstören wollen, und geben wir ihnen nicht die Möglichkeit, ihre Fratze zu zeigen!“

Im Ratssaal wird der Opfer des Nationalsozialismus gedacht

Anschließend wurde es besinnlich. Geradezu herzzerreißend klang es im Ratssaal, als der frühere Kantor der jüdischen Gemeinde, Didij Podszus, das jüdische Totengebet ernst und kraftvoll intonierte und dabei die Namen der großen Konzentrationslager nannte, in denen während des Zweiten Weltkriegs sechs Millionen Juden und andere Minderheiten ermordet worden waren. „Nie wieder!“, rief Bürgervorsteherin Saggau.