Bad Segeberg/Sülfeld. Rechtsextreme Gruppe um Gewalttäter Bernd T. ruft Verfassungsschutz und Polizei auf den Plan. Angriffe auf Bürger.
Das Landesamt für Verfassungsschutz spricht von einem „aggressiv-kämpferischem Auftreten“ und einer „erhöhten Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. Auch die Polizei ist alarmiert. „Wir haben die sehr deutlich auf dem Schirm und haben unsere Präsenz erhöht“, sagt Polizeisprecherin Silke Westphal. Seit Wochen beobachten die Sicherheitsbehörden in Bad Segeberg und im Umland eine Gruppe von Neonazis, die sich um Bernd T. gebildet hat, der als extrem gewaltbereit gilt. Die Staatsschutzabteilung der Kieler Kripo ermittelt inzwischen gegen die Rechten wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und anderer Delikte.
Noch haben die Neonazis niemanden ernsthaft verletzt, doch die Sorgen vor einer gefestigten Szene ist nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) groß.
Neo-Nazis griffen Sülfelder Bürger auf der Straße an
In Sülfeld kam es in der vergangenen Woche zu Auseinandersetzungen. Dort leben seit drei Wochen drei Mitglieder der Segeberger Gruppierung: Marcel S., Marie P. und Daniel S. hatten Aufkleber mit rechten Parolen entlang der Hauptstraße hinterlassen. Als eine Gruppe von Sülfeldern die Sticker entfernen wollte, gingen die Rechten dazwischen. Dabei setzte ein 23-jähriger Mann Pfefferspray ein, eines der Opfer soll von einem Faustschlag getroffen worden sein. Eine 48-jährige Frau und ein 56-jähriger Mann erlitten Verletzungen. Bei einem Mitglied der rechten Szene stellten die Beamten ein Einhandmesser sicher. In der Nacht zu Mittwoch tauchten im Dorf neue Aufkleber auf. „White Power“ und „Refugees not welcome“ war darauf zu lesen.
„Rassebewusst“
Auch die Schulen sind alarmiert. Bernd T. hat offenbar mehrfach auf Schulhöfen in Bad Segeberg Jugendliche angesprochen, die er für seine Gruppe anwerben wollte. Mehrere Schulleiter erteilten inzwischen Hausverbote. Intern soll es eine Anweisung geben, sofort die Polizei anzurufen, wenn T. oder Mitglieder der rechten Gruppe erscheinen.
Auch in der Segeberger Innenstadt zeigen die Neonazis offensiv Präsenz. Bei einer „Fridays for Future“-Demonstration haben die Männer offenbar Jugendliche angesprochen und eingeschüchtert. „Wir prüfen, ob der Straftatbestand der Bedrohung erfüllt ist“, sagte Silke Westphal.
Die „Taz“ berichtet, T. versuche von Bad Segeberg aus, einen Ableger des rassistischen Aryan Circle aufzubauen. Angeblich könne der 45-Jährige bereits einen ersten Erfolg verbuchen. Die rechtsextreme Division Nord um Marcel S., der von Bornhöved nach Sülfeld gezogen ist, soll sich in Aryan Circle Nord (AC Nord) umbenannt haben.
Segebergs Bürgermeister hat ein Krisentreffen angesetzt
Bei den Ermittlungen arbeitet die örtliche Polizei eng mit dem Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte der Kieler Kripo zusammen. Aufkleber wie in Sülfeld wurden auch in Bad Segeberg und Wahlstedt entdeckt. Ob die Texte durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind oder möglicherweise volksverhetzende Inhalte verbreiten, prüft die Polizei ebenfalls. Sie geht von einem Umfeld um Bernd T. von etwa zehn bis 15 Leuten aus. Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld hat für den heutigen Donnerstag ein Krisentreffen angesetzt. Dann soll besprochen werden, wie die Stadt und insbesondere die Schulen auf die Aktivitäten der rechten Szene reagieren wollen.
„Hier haben die Menschen Angst“, sagt ein Bürger, der nicht genannt werden will. Er hat beobachtet, dass die Rechten auch im Dorf versuchen, junge Menschen als Anhänger zu werben. In Sülfeld tun sich Bürger gegen die braunen Neubürger nach der Attacke der vergangenen Woche zusammen. Am Mittwochabend trafen sich der Vorstand des SV Sülfeld mit Vertretern der Politik.
Örtliche Polizei arbeitet mit Kieler Kripo zusammen
„Wir treten dafür ein, dass in Sülfeld weiter ein offenes, tolerantes und angstfreies Gemeindeleben gewährleistet ist“, sagt ein Mitglied des SV Sülfeld. „Wir stellen uns gemeinsam gegen Gewalt und Einschüchterung.“
Möglicherweise wird die Handballmannschaft der Damen beim nächsten Spiel am Sonnabend in der Sporthalle ein Zeichen gegen rechts setzen. Die Sportlerinnen werden bunte Schweißbänder tragen und jedem Zuschauer ein buntes Armband geben. Plakate sollen in der Halle aufgehängt werden. „Außerdem werden die Support Jungs von den Barmbeker Handball-Männern vorbeikommen und dafür das Spiel ihrer eigenen Liga sausen lassen, um gemeinsam mit uns Flagge zu zeigen“, sagt eine Sportlerin. Auch der Vorstand des SV Sülfeld wird sich äußern. Die Sportler hoffen auf viele Besucher. „Wir sind mehr und das sollen sie wissen“, sagt sie. Die Veranstaltung beginnt um 17 Uhr.
Möglicherweise wird auch Prominenz nach Sülfeld kommen. Lokalpolitiker erwägen, Ministerpräsident Daniel Günther oder Innenminister Hans-Joachim Grote einzuladen.
Bernd T. gründete die „Kameradschaft Nordmark“
Der Kopf der rechten Gruppe, der gebürtige Segeberger T., bewegt sich seit mehr als 25 Jahren in der deutschen Extremistenszene und hat es sogar zu einem eigenen Antrag bei Wikipedia geschafft. Er ist mehrfach vorbestraft und gilt als gefährlich. Er war erst vor Kurzem aus der Haft entlassen worden und war in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Er saß ein, weil er einen Abtrünnigen eine Woche gefangen gehalten und gequält hatte.
Viele Segeberger erinnern sich an T., der Ende der 90er-Jahren in der Stadt die „Kameradschaft Nordmark“ gründete und mit bis 150 Neonazis durch die Stadt zog und immer wieder Schlägereien anzettelte. 1993 wurde er verhaftet, nachdem er mit einem Kumpanen einen Obdachlosen zu Tode geprügelt hatte. Im Jahr 2000 stellte die Polizei bei ihm ein Waffenarsenal sicher. 2002 ging er nach Kassel und führte die „Kameradschaft Nordhessen“ sowie den „Sturm 18“. Auch in den Jahren danach hielt er sich in Kassel auf.
In den Medien tauchen immer wieder Spekulationen über Verbindungen zum rechtsterroristischen NSU auf. 2006 wurde in Kassel Halit Yozgat, der Inhaber eines Internetcafés, von der Terrororganisation getötet. T. werden außerdem Verbindungen zu Stephan E. nachgesagt, der im Juni dieses Jahres den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke getötet haben soll und in Untersuchungshaft sitzt.
Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) will die Bundesanwaltschaft klären, ob die brasilianische Waffe des Kalibers 38 Spezial, mit der Lübcke ermordet wurde, zu jenen gehört, die der damalige schleswig-holsteinische NPD-Landesvorsitzende Peter Borchert für Combat 18 Pinneberg besorgt haben soll. Borchert und T. kennen sich offenbar. Sie sollen gemeinsam in Kassel in Haft gesessen haben.
Die Entwicklung der rechten Szene im Raum Bad Segeberg verläuft nach Einschätzung des Verfassungsschutzes nach einem typischen Muster. Aus einer anfangs virtuellen Gruppierung im Netz ohne feste Organisationsstruktur haben sich organisierte Gruppierungen mit aggressiv-kämpferischem Auftreten in der Realwelt entwickelt. Über Einzelheiten seiner operativen Aktivitäten in der Region schweigt sich das Landesamt aus. Sicher dürfte sein, dass die Geheimdienstler die rechtsextreme Szene genau beobachten. „Wir stehen denen auf den Füßen“, sagt Polizeisprecherin Silke Westphal.