Norderstedt. Bäume und Wasser sind begehrte Kunstobjekte von Jolind Kacmarz. Die Künstlerin schwimmt und radelt gern, sagt sie im Interview.
Ihr Leben gilt der Kunst. Ihre Passion der Natur. Und ihre Neugier den Menschen: Jolind Kaczmarz. Abendblatt-Mitarbeiterin Bianca Bödeker hat die Künstlerin in ihrem Atelier zu einem sehr persönlichen Interview getroffen.
Am 9. November jährt sich der Mauerfall in Berlin zum 30. Mal. Sie haben dort in den 1970er-Jahren studiert. Warum Berlin? Wie haben Sie die Stadt damals empfunden?
Jolind Kaczmarz: Nach meiner Ausbildung zur Hauptschullehrerin wollte ich unbedingt in Berlin studieren.
Als Kind schlesischer Flüchtlinge bin ich 1945 in Elmshorn geboren und in Norderstedt aufgewachsen. Und wenn man in einer Umgebung großgeworden ist, in die man als Flüchtling nicht hingehört, dann möchte man doch die Vergangenheit genauer kennenlernen. Das ganz alte Berlin war damals einfach gegenwärtig, das geteilte Deutschland immer Thema unter uns Studenten. Ich habe die Berliner als sehr selbstbewusst erlebt. Das hat mich geprägt. Nach Lehramts- und Kunststudium bin ich 1983 mit einem ziemlichen Selbstbewusstsein nach Norderstedt zurückgekehrt.
Seitdem arbeiten Sie hier als freischaffende Künstlerin. Wie erlebten Sie die Rückkehr vom pulsierenden Berlin in die „Provinz“?
Als ich aus dem lauten Großstadtgetriebe zurückkam, musste ich mir erst mal ruhige Ecken in der Natur suchen, um selbst zur Ruhe zu kommen. Ich nahm das Fahrrad und radelte von See zu See. Um zu schauen: Wie sieht es hier jetzt überhaupt aus? Und was ist hier los? Meine Eindrücke habe ich dann skizziert und aquarelliert.
Was fasziniert Sie so an der Natur?
Die Natur hat zwar hat manchmal etwas Belangloses, Langweiliges. Man kann sich aber auch etwas anschauen: Bäume, Hügel, Gewässer. Nach einiger Zeit habe ich bewusst Wasser und Hügel gesucht. Ich wollte gerne hinuntersehen oder in die bewegte Wasserfläche eintauchen.
Wie kamen Sie aufs Aquarell?
Weil es unterwegs praktisch ist. Das Aquarell bringt gleich Farbe und Stimmung.
Ihre Motive finden Sie auch am Gardasee. Es zieht Sie immer wieder dorthin.
Das hat mit meiner Jugend zu tun. In unserer katholischen Kirchengemeinde fragte mich jemand, ob ich während der Sommerferien am Gardasee für die Jungs der Sankt Ansgar-Schule koche. Ich habe ja gesagt und war zwischen meinem 16. und 18. Lebensjahr dreimal dort. Die Jungs waren im Zeltlager und ich durfte bei einer italienischen Mama wohnen. Ich habe tolle Erinnerungen an die Aufführungen in der Arena di Verona. Das war wie ein Volksfest. So habe ich Italien richtig kennengelernt und dort mit den ersten Skizzen begonnen, die ich zuhause ausarbeitete. Seitdem bin ich immer wieder in Italien gewesen bis hinunter zu den Liparischen Inseln.
Menschen auf Treppen sind ein Sujet, mit dem Sie sich seit einigen Jahren beschäftigen. Wie kam es dazu?
Da ich gerne Menschen angucke und porträtiere, habe ich mir überlegt, in welches attraktive Ambiente ich sie setzen kann. Und kam auf Treppen. Treppen in der Stadt. Treppen sind Orte menschlicher Begegnung. Man hält an, setzt und unterhält sich. Wenn ich zum Bucerius Kunst Forum gehe, sehe ich immer Menschen auf den Treppenstufen gegenüber den Alsterarkaden sitzen. Dort habe ich mal ein paar Fotos gemacht, um zu sehen: Wie sitzen Leute? Und weiter überlegt, wo es sonst noch Treppen gibt. Natürlich in Italien. Da ist ja alles voll. Meine handgezeichneten Eindrücke scanne ich ein, bearbeite und variiere sie spielerisch im Photoshop. Jede Variation coloriere ich per Hand, so dass sich Reihen ähnlicher Bilder ergeben. Einige Treppenbilder habe ich für die kommende Ausstellung des Kunstkreises Norderstedt vom 20. Oktober bis 3. November zum Thema „Begegnungen“ in der Galerie am Rathaus vorgesehen.
Viele Jahre arbeiteten Sie parallel als Bildhauerin. Warum beides?
Das hat angefangen mit einem alten Kirschbaum aus unserem Garten. Der war nicht mehr zu retten und musste gefällt werden. Der Stamm stand lange in meiner Werkstatt. Dann habe ich einfach mal ausprobiert, etwas daraus zu gestalten. Entstanden ist eine Figur mit einem Reliefkopf. Das habe ich körperlich gut hingekriegt, auch später bei den Steinen. Ich arbeitete das Minimum an Plastizität aus, denn Bildhauen kostet enorm viel Kraft. Das Plastische finde ich immer noch gut. Ich bin ein haptischer Mensch, und das Begreifen fasziniert mich. Als Bildhauerin arbeite ich nun nicht mehr, es ist körperlich einfach zu anstrengend. Aber ich stelle meine Werke ab und zu noch aus.
Wie empfinden Sie die Kunstszene in Norderstedt?
Die ist schon recht progressiv. Der Kunstkreis Norderstedt hat ja auch die Absicht, modern zu sein. Leider gibt es hier nur wenige Künstler, die auch davon leben. Das ist schade. Das Miteinander mit der Stadt Norderstedt ist produktiv. Sie hat den Kunstkreis gefördert durch Ausstellungen und mit einem finanziellem Kulturbeitrag. Wir sind von der Größe sehr gut aufgestellt, das liegt wohl auch an der Nähe zu Hamburg.
Dem Kunstkreis gehören Sie seit 30 Jahren an. Viele Jahre haben Sie sich hier als Vorsitzende engagiert für dessen Interessen eingesetzt. Was zeichnet Sie als Mensch aus?
Ich denke, dass ich selbstständig, arbeitseifrig und handwerklich begabt bin. Die Ästhetik in der Geschichte und Gegenwart, Politik, Bücher und Computer interessieren mich. Und Menschen machen mich neugierig.
Wen würden Sie gern einmal treffen? Was würden Sie ihn fragen?
Kürzlich wurde im NDR das Buch „Das Duell. Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki“ von Volker Weidermann vorgestellt. In dem Moment dachte ich: Wieso habe ich mich eigentlich wenig mit Günter Grass beschäftigt? Ich hätte ihn gern einmal gefragt, wie er seine grafische und schriftstellerische Arbeit verbunden hat. Leider kann ich ihn nicht mehr fragen, werde aber mal wieder ein Buch von ihm lesen.
Was lesen Sie denn gerade?
Über die Fernausleihe gibt es online zum Stöbern „Ansichten der Natur“ von Alexander von Humboldt mit seinen faszinierenden Forschungsreisen.
Wenn Sie auf Reisen sind, was haben Sie immer dabei?
Fotoapparat, Skizzenblock und einen Badeanzug. Ich schwimme gern.
Und wo tauchen Sie in der Umgebung ein?
Natürlich im Wilstedter Baggersee. Wenn es eben geht, fahre ich dahin. Seit einiger Zeit nun mit dem Mofa. Mein Nachbar meinte: „Kauf’ dir doch ein Mofa, das ist einfacher für dich, als immer mit dem Fahrrad zu fahren.“ Dann sind wir zusammen nach Henstedt in die Mofawerkstatt gefahren und haben eins gekauft. Auf der Segeberger Chaussee erkennt man mich schon als die mit dem großen Zeichenblock hintendrauf.
Was macht Sie glücklich?
Wenn ich zum Baggersee oder zum Segeberger See fahren kann. Ich genieße es, dort zu sitzen und auf den See zu gucken. Auf dieses immer Gleiche. Oder wenn ich an die Ostsee fahre. Man kommt durch den von Bäumen oder Häusern gesäumten Weg und dann öffnet sich vor einem das offene Meer. Schon als Kind bin ich in der Ostsee geschwommen. Dieses Lebensgefühl ist in mir. Ja, das macht mich glücklich.
Verraten Sie uns Ihre Lebensphilosophie?
Ich mache am liebsten alles für die Kunst, anderes ist nebensächlich. Das hat sich während meines Lebens so ergeben.
Infos: home.wtnet.de/~jkaczmarz
Themenausstellung „Begegnungen“ des Kunstkreises Norderstedt, Galerie im Rathaus. Eröffnung: 20. Oktober, 16.00, bis 3. November. Öffnungszeiten: Mo., Di., Do., Fr. von 11.00 bis 18.30, So von 14.00 bis 18.00