Norderstedt. Kathrin Bandel und Janne Jenkner sind Teil von Foodsharing. Dass viele Lebensmittel weggeworfen werden, wollen sie nicht akzeptieren.
13 Millionen Tonnen Lebensmittel schmeißen die Deutschen jährlich in den Müll. Auf jeden einzelnen Norderstedter kommen also 83 Kilogramm an verschwendeter Nahrung. Besonders traurig: Mindestens 37 Kilogramm davon wären absolut vermeidbar gewesen, sagen Studien der Uni Stuttgart.
Was kann jeder Bürger tun, um Lebensmittel zu retten? Wenn er sie nicht selbst isst, finden sich vielleicht andere Esser – Foodsharing heißt die Bewegung, die 2012 in Berlin entstand und mittlerweile 200.000 Nutzer in ganz Europa hat. Die Lebensmittelrettung wird über das Internet (foodsharing.de) organisiert. Das Konzept ist einfach: Wer Lebensmittel abzugeben hat, bietet sie über die Website an. Und wer etwas Leckeres findet, der kann es sich abholen.
Die Lebensmittel-Teiler sind im Kreis Segeberg besonders in Norderstedt aktiv, sagt Kathrin Bandel. Sie ist seit drei Jahren bei Foodsharing und mittlerweile Botschafterin für den Kreis Segeberg. Das bedeutet, sie koordiniert das ehrenamtliche Engagement und teilt die sogenannten Foodsaver ein. 160 ehrenamtliche Lebensmittelretter gibt es. Sie stellen Lebensmittel von zu Hause aus online, die übrig sind und abgeholt werden können. Foodsharer hingegen fahren auch zu großen Betrieben, mit denen die Initiative eine Kooperation hat, und holen Lebensmittel ab, die die Supermärkte, Läden oder Geschäfte wegschmeißen würden.
Seit Beginn ihres Engagements hat Bandel schon 12.000 Kilogramm Lebensmittel gerettet. Die regelmäßig abgeholten Lebensmittel nimmt sie mit zu sich nach Hause, sortiert sie und stellt sie online, indem sie einen „Essenskorb“ auf der Foodsharing-Website anlegt. Dafür beschreibt sie genau, was sie abzugeben hat und macht ein Foto davon. Wer nun auf der Suche im Kreis ist, kann sie anschreiben und sich das Essen abholen.
Wer Foodsharer werden will, muss ein kleines Quiz auf der Website zur Lebensmittelverschwendung machen und wird mit den Foodsharern vor Ort zusammengebracht. Erste Probeabholungen bei Betrieben werden dann gemeinsam unternommen. „Damit man sich besser kennenlernt und einen Eindruck von der Person hat“, sagt Bandel. Sie muss sich auf die Foodsharer verlassen können, da sie als Betriebsverantwortliche und Botschaftern für alles gerade stehen muss. Die Betriebe geben oft genaue Zeiten an, wann abgeholt werden soll und stellen die Lebensmittel bereit. Wenn dann niemand kommt, ist die Kooperation gefährdet. Abgeholt wird bei manchen kleinen Läden nur einmal in der Woche, bei großen Filialen von Bäckereien auch mal einmal am Tag.
Bandel tritt an die Betriebe selber heran und versucht, sie für die Initiative zu gewinnen. Nicht jeder ist begeistert, und auch rechtlich gibt es immer wieder Schwierigkeiten. „Das Schöne ist: Das Bewusstsein ändert sich bei den Betrieben“, sagt Janne Jenkner, Foodsaverin im Kreis seit zwei Jahren. Das Ziel sei es, als Foodsaver überflüssig zu werden. Denn Betriebe, die nichts abzugeben haben, machen alles richtig. „Der Grundgedanke ist, dass nichts im Müll landen soll“, sagt sie.
Im Gegensatz zum verbotenen „Containern“, bei dem Menschen noch essbare Lebensmittel aus den Mülleimern der Supermärkte mitnehmen, ist Foodsharing die legale Alternative. „Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Betrieben und Regeln, für die wir garantieren“, sagt Bandel. Im Gegensatz zu den Tafeln für Bedürftige, dienen die Foodsharer vorrangig der Nachhaltigkeit. Auch wenn die Abnehmer der Lebensmittel oft Menschen sind, die kein Geld haben.
Die Lebensmittelretter wollen erreichen, dass die Menschen ihr Konsumverhalten reflektieren. Bei einer Umfrage der Uni Stuttgart sagten 85 Prozent der Haushalte, dass unter den weggeworfenen Lebensmitteln auch vermeidbarerer Müll gewesen sei. 58 Prozent der Lebensmittel werden weggeschmissen, weil sie verdorben waren oder nicht mehr genießbar aussehen.
Immer noch sorgt das Mindesthaltbarkeitsdatum von Produkten zu Missverständnissen beim Konsumenten. Viele glauben, dass Lebensmittel ist ab dem Datum ungenießbar sind. „Mindesthaltbarkeitsdatum ist das eine, das andere ist der Hinweis ,Zu verzehren bis’ – ein großer Unterschied“, sagt Bandel. Letzterer wird bei leicht verderblichen Produkten wie Hackfleisch benutzt, die nach dem angegebenen Datum aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verbraucht werden sollten. Das Mindesthaltbarkeitsdatum hingegen definiert nur, dass bei der richtigen Lagerung Farbe, Geruch, Geschmack und Konsistenz des Produkts eine Weile erhalten bleiben. Der Hersteller sichert sich damit gegen Regressansprüche ab.
Bei Foodsharing agieren alle als Privatpersonen, so dass sie an lebensmittelrechtliche Vorgaben nicht gebunden sind. Foodsaver nehmen abgelaufene Lebensmittel an und solche, bei denen die Kühlkette unterbrochen wurde. Allerdings informieren sie jeden Abholer darüber, wo das Produkt herkommt und auch, dass beispielsweise das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
„Wenn man einmal mit Foodsharing anfängt, ändert sich dein gesamtes Verhältnis zum Essen“, sagt Bandel. Die Welt im Überfluss um einen herum erscheint plötzlich absurd. Dass sich daran nichts ändert, sei doch verrückt. Eines würde die Arbeit im Kreis erleichtern: Die Einrichtung eines Fairteilers. Das sind öffentliche Kühlschränke oder Regale, in die jeder Lebensmittel hineinlegen oder herausholen kann. Sie stehen in sozialen Einrichtungen, in öffentlichen Gebäuden des Kreises oder der Kommune oder im Hinterhof einer Wohnung. Standort und Öffnungszeit werden auf der Foodsharing-Website aufgelistet. Theoretisch kann jeder einen Fairteiler installieren, doch müssen sie offiziell betreut und sauber gehalten werden.