Norderstedt . Jobact ist ein Theaterprojekt für arbeitssuchende junge Erwachsene. Geprobt wird in den Räumen des Tanzsportvereins TSG Creativ Norderstedt.

„Auf der Bühne“, ruft Christian Concilio, „benötigt ihr eine Grundspannung.“ Sofort straffen sich die Körper, die jungen Frauen und Männer gehen aufeinander zu und schreien, dann gehen sie wieder durch- ein­ander: Einige Minuten geht es weiter so – das Warm-up für ein Schauspieltraining der besonderen Art.

In den Räumen des Tanzsportvereins TSG Creativ Norderstedt an der Stormarnstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadtpark treffen sich von Montag bis Donnerstag junge Menschen, die keinen Job haben, zum Teil noch nie gearbeitet haben oder schon lange arbeitslos sind. Unter Anleitung des Schauspielers und Theaterpädagogen Christian Concilio lernen sie Schauspiel und erfahren dabei auf ganz besondere Weise, was es heißt, dem Leben eine Struktur zu geben. Eine Schule fürs Leben, wobei Spiel und Wirklichkeit ineinander übergehen. Das Ergebnis dieses Projekts wird öffentlich im Kulturwerk am See präsentiert.

Jobact, ein Theaterprojekt mit arbeitssuchenden jungen Erwachsenen, wurde konzipiert von der Projektfabrik Witten. Sie will mit ihren Programmen auf der Grundlage künstlerischen Schaffens Potenziale der jungen Menschen an die Oberfläche bringen und freisetzen. Potenziale, von denen die Betroffenen vermutlich selbst nicht wissen, dass sie in ihnen stecken.

Gegründet wurde die Organisation im Herbst 2005, um langzeitarbeitslosen Jugendlichen individuelle Wege zur Berufsfindung zu ermöglichen. Das Jobcenter Norderstedt unterstützt das Projekt, das von Juliana Hahn und Kathrin Lemke sozialpädagogisch betreut wird. Sie sind unter anderem für das Bewerbungstraining zuständig, das jeweils freitags in den Räumen der Christlichen Gemeinde Norderstedt stattfindet.

Die jungen Schauspieler mit Kathrin Lemke (r.), die das Projekt sozialpädagogisch begleitet und Bewerbungstraining mit den Akteuren macht.
Die jungen Schauspieler mit Kathrin Lemke (r.), die das Projekt sozialpädagogisch begleitet und Bewerbungstraining mit den Akteuren macht. © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Christian Concilio bezeichnet sich selbst als einen „Schauspielarbeiter“, der in vielen Filmen und Theaterstücken als Schauspieler oder Regisseur mitgewirkt und eine der renommiertesten deutschen Schauspielakademien besucht hat. Er leitet das Team der zehn Laiendarsteller und konfrontiert sie mit einem anspruchsvollen Stück deutscher Literatur: „Lenz“, die Erzählung von Georg Büchner, in dem es um den sich verschlechternden Geisteszustand des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz geht. Eine Vorlage gibt es nicht, alles wird von den Teilnehmern selbst erarbeitet, teils improvisiert, teils vorher textlich festgelegt. „Lenz#OhneFilter“ ist der Arbeitstitel der Performance mit eigenen Heimattexten und Improvisationen. Der Theaterpädagoge weiß, was er den jungen Leuten zumutet: „Das ist ein schwieriger Text, den oft nicht mal richtige Schauspieler schaffen.“

Büchner war von der Projektfabrik vorgegeben, statt der üblichen Werke wie „Dantons Tod“, „Woyzeck“ oder „Leonce und Lena“ entschied Concilio sich für die Erzählung, in der sich der schizophrene Protagonist viermal in einen Brunnen stürzt, viermal das Gebirge erwandert und in einem Kunstgespräch den Disput zwischen Realismus und Idealismus aufzeigt.

„Natürlich sind einige Teilnehmer nach den ersten Tagen mit dem Gedanken nach Hause gegangen, mich umzubringen“, sagt Concilio und blickt lachend in die Runde der jungen Schauspieler. Einige von ihnen nicken. Aber jetzt, nach zweieinhalb Monaten harter Arbeit, ist vieles anders: „Die wollen keine Schauspieler werden, machen aber den ganzen Scheiß mit.“ Der Theaterpädagoge ist voller Hochachtung gegenüber den Mitwirkenden, die sich freiwillig für den Kursus gemeldet haben.

„Lenz“ – das Projekt stand anfangs wie ein unüberwindbarer Berg vor den meisten Teilnehmern. Inzwischen hat es eine Struktur bekommen, und fast jeder ist über sich hinausgewachsen, hat Fähigkeiten an sich entdeckt, die vorher auch nicht ansatzweise für möglich gehalten wurden. „Ich habe mich für dieses Projekt entschieden, um mein Leben wieder zu strukturieren“, sagt Amie (26). Für Philipp (25), der in seinem Leben nach einer Folge von persönlichen Schicksalsschlägen noch nie gearbeitet hat, steht ganz klar fest: „Das Mitwirken hier gibt uns Selbstbewusstsein.“ Ein Selbstbewusstsein, das er bisher nie hatte. Jetzt aber wirkt er wie ein junger Mann, der genau weiß, was er im Leben erreichen will: Den Schulabschluss nachholen, einen Beruf erlernen, im Leben etwas darstellen.

Wer mitmacht, muss Hemmungen überwinden

Tatsächlich fordert Christian Concilio viel von seinen Teilnehmern. Sie mussten ein Konzept erarbeiten, den Text zusammenstellen, den schwierigen Text lernen, Ideen präsentieren, bei den Proben aus sich herausgehen, sich präsentieren. Er gibt ihnen Anleitungen: „Ein guter Schauspieler ist der, dessen Wort man durch den Ausdruck versteht.“ Er ermuntert sie: „Ich finde es gut, mehr auf das Publikum zuzugehen, die Leute mit hineinzunehmen.“ Er fordert sie schon beim Aufwärmen auf: „Ich klatsche in die Hände, und ihr müsst einen Zustand einnehmen, den ihr aus einem Film kennt; denn ihr spielt vor 200 Leuten, die Bilder sehen wollen.“

Wer mitmacht, muss aus sich herausgehen, muss Hemmungen und Scheu ablegen. Während der etwa halbstündigen „Pressevorführung“ funktioniert das außergewöhnlich gut. Die Protagonisten dieses Vormittags liefern Vorstellungen ab, die überraschend ambitioniert, fast schon professionell wirken. Das Team ist zusammengewachsen.

Aber in den nächsten drei Monaten gibt es noch einiges zu tun. Denn die Mitwirkenden gestalten alles selbst: Plakate, Pressetexte und die Entwicklung weiterer Ideen. Da sind zum Beispiel die Abstürze von Lenz: „Wir stellen uns die Sprünge in den Brunnen als Schattenspiele vor“, sagt Vincent. Christian Concilio findet das gut und unterstützt die Darsteller, fordert sie. Andre (20) zum Beispiel hat sich als komisches Talent erwiesen; er soll für den Witz im Stück zuständig sein. „Ein Naturtalent als Komiker“, hat er festgestellt.

Auf ein Bühnenbild wird vermutlich verzichtet, um nicht vom Kern der Geschichte abzulenken. Dafür unterstützen eine Choreografin vom Hamburger Schauspielhaus und eine Chorleiterin das kleine Schauspielunternehmen. Denn Lieder sollen eine wichtige Funktion übernehmen.

„Manchmal ist diese Arbeit hier anstrengend, denn jeder ist ein ganz eigener Typ“, sagt Christian Concilio. „Manchmal bin ich überrascht, manchmal auch genervt.“ Aber er ist überzeugt von dem Konzept, das Selbstbewusstsein von jungen Menschen zu stärken und ihnen dabei zu helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.