Kisdorf. Mit Gedenktafeln hält der Heimatbund die Erinnerung an den Marsch 1945 von Hamburg nach Kiel wach. Nun hängt auch eine in der Gemeinde Kisdorf.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs räumten Gestapo und SS das Konzentrationslager Hamburg-Fuhlsbüttel, das berüchtigte „Kola-Fu“. Die Nazis trieben die Häftlinge vom 12. bis 15. April 1945 auf dem Todesmarsch über die Chaussee Altona–Kiel ins „Arbeitserziehungslager Nordmark“ in Kiel-Hassee. Die SS erschoss mindestens neun Menschen, darunter Josef Tichy.

Nach dem tschechischen Gefangenen der NS-Herrschaft nennt sich eine Gruppe der Biografie-Arbeitsgruppe „Todesmarsch Hamburg – Kiel 1945“, die am Donnerstag, 13. Juni, am Ende des Kistlohwegs in Kisdorf-Feld eine Gedenktafel enthüllt, dort wo die SS Josef Tichy am 12. April 1945 ermordete – weil er nicht mehr laufen konnte.

Nur wenige Tage vor der deutschen Kapitulation trieben SS-Männer mehr als 800 Juden, NS-Kritiker und „Asoziale“ in Sträflingskleidung durch die Ortschaften und über die Landstraßen. Am hellen Tag. Trotzdem wollte es niemand gesehen haben. Der Grund für die Todesmärsche: Die Nazis wollten verhindern, dass die Gefangenen den Alliierten als Zeugen ihres unmenschlichen Regimes dienen konnten.

Die Biografiegruppe „Todesmarsch Hamburg–Kiel 1945“ hat Namen und Daten von mehr als einem Viertel der 800 Gefangenen recherchiert und Kontakte zu Überlebenden und ihren Nachfahren hergestellt.

Josef Tichy war ein Buchhalter aus Lochenitz

Die Biografie-Arbeitsgruppe „Todesmarsch Hamburg–Kiel“ hat viele Details aus Prager Archiven über Josef Tichys Leben erforscht. Tichy wurde am 16. Januar 1894 in Lochenitz bei Königgrätz in Böhmen, heute Lochenice in Tschechien, geboren. Er arbeitete mehrere Jahre als Buchhalter.

Josef Tichy: Bild aus den Akten der Strafanstalt Bernau 1944.
Josef Tichy: Bild aus den Akten der Strafanstalt Bernau 1944. © Klaus Huber | Klaus Huber

Im Ersten Weltkrieg zog ihn Österreich ins Infanterie-Regiment Nr. 4 ein. Aufgrund eines Lungenspitzen-Katarrhs entließ ihn das Militär 1915. Er arbeitete unter anderem in der Bäckerei seines Vaters und übernahm die Bäckerei 1927. Tichy war nie verheiratet. Am 20. März nahm ihn die NS-Besatzungs-Behörde wegen Besitzes eines Rundfunkgeräts, alter Waffen, Säbel und Munition fest. Die Nazis konnten ihm aber nicht nachweisen, dass er „Feindsender“ gehört und deren Nachrichten verbreitet hatte.

Ein Sondergericht beim Landgericht in Prag beschreibt ihn laut der von der Arbeitsgruppe erforschten Unterlagen als „Sonderling mit verschrobenen Ansichten, als weltfremdes, menschenscheues Wesen, der in ärmlichen Verhältnissen lebe, obwohl er wirtschaftlich gut situiert sei“.

Ein Amtshilfsarzt urteilte, er sei ein „schizoider Psychopath“ und stempelte ihn zum Geisteskranken. Das Prager Gericht verurteilte Josef Tichy am 11. Oktober 1944 zu sechs Jahren, sechs Monaten und drei Wochen Zuchthaus. Am 22. November 1944 lieferten ihn die NS-Schergen in die Strafanstalt Bernau am Chiemsee ein, am 12. Dezember ins Zuchthaus Gollnow, am 13. Dezember nach Prag-Pankratz. Wann ihn die SS ins Hamburger KZ „Kola-Fu“ deportierte, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass Gestapo und SS auch Josef Tichy am 12. April 1945 mit auf den Todesmarsch quer durch Schleswig-Holstein zum „Arbeitserziehungslager Nordmark“ trieben.

Die Grabstelle Tichys auf dem Friedhof Kaltenkirchen.
Die Grabstelle Tichys auf dem Friedhof Kaltenkirchen. © HA | Helge Buttkereit

Eine Augenzeugin beobachtete, wie Josef Tichy am 12. April 1945 „an der Ulzburger Gemeindegrenze in Kisdorf-Feld bei dem Gehöft des Otto Braasch“ zusammenbrach und ihn ein SS-Wachposten erschoss und auf den Toten eintrat. Dann wurde Josef Tichy im Straßengraben verscharrt.

Am 21. Juli 1945 wurde er auf Befehl der britischen Alliierten exhumiert, auf dem Friedhof Kaltenkirchen beerdigt und im Februar 1968 mit Josef Beck und Hugo Kochendörffer, die die SS am 13. April 1945 auf dem Todesmarsch erschoss, in die Reihe 1 der Kriegsgefangenen umgebettet.