Norderstedt . Stadt erhält vom Forschungsministerium 800.000 Euro, um Konzepte gegen die Wohnungsnot zu entwickeln – zum Beispiel Mikro-Apartments.

Eine deutsche „Zukunftsstadt“ zu sein, das können nicht viele Kommunen in der Bundesrepublik von sich behaupten. Norderstedt aber schon. Schon zum fünften Mal in Folge in den vergangenen zwei Jahrzehnten überweist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) der Stadtverwaltung Fördergelder, damit in Norderstedt in Sachen Nachhaltigkeit geforscht werden kann. Wenn der Bund wissen will, wie die Deutschen in Zukunft leben sollen, dann schaut er im Reallabor Norderstedt vorbei.

Aktuell fließen 800.000 Euro an das Amt Nachhaltiges Norderstedt, dem Herbert Brüning als Leiter vorsteht. „Wir haben als eine von acht Städten in Deutschland die dritte Phase des Wettbewerbs ,Zukunftsstadt“ erreicht.“ Mit dem Geld soll in Norderstedt nun konkretisiert werden, wie bezahlbare, nachhaltige und wertige Wohnformen der Zukunft aussehen können. In Norderstedt wird untersucht, ob Mikro-Apartments die Antwort auf eine der drängendsten Frage derzeitiger und künftiger Stadtentwicklung sein könnte: Was tun gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum?

Während die Stadt in den ersten beiden Phasen des „Zukunftsstadt“-Wettbewerbs gemeinsam mit Bürgern und Experten die Grundlagen einer nachhaltigen Stadtentwicklung definiert und ein umfassendes Konzept für ein Norderstedt der Zukunft erarbeitet hatte, steht nun in der dritten Phase die Überführung der Idee in die Realität an. „Dass wir dabei nur den Aspekt Wohnen betrachten, war so nicht geplant“, sagt Brüning. Beworben hatten sich die Norderstedter nämlich mit ihrem Gesamtkonzept. „Aber die komplette Umsetzung war dem Ministerium zu teuer – da wäre für die übrigen sieben Städte im Wettbewerb nichts mehr an Fördergeld übrig geblieben.“ Die Norderstedter aber waren die einzigen, die auch das Wohnen als wichtigen Bestandteil der Nachhaltigkeit in einer Kommunen skizziert hatten. So bekam die Stadt für dieses Teilaspekt ihres Konzeptes den Zuschlag.

„Die bundesweite Bedeutung des Projektes ist in Anbetracht der vielerorts brisanten Lage auf dem Wohnungsmarkt hoch“, sagt Herbert Brüning. Im August soll eine dreijährige Projektphase in Norderstedt starten. Darin sollen Weg gefunden werden, hin zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die für immer mehr Wohnraum nicht immer mehr Fläche versiegelt, die auf kurze Wege für die Bürger innerhalb der Stadt achtet und dies über eine höhere Dichte bei gleichzeitig nicht schwindender Lebensqualität garantiert. Nicht aus den Augen verloren werden dürfen die Aspekte Chancengerechtigkeit und Teilhabe. „Eine nachhaltige Stadtentwicklung bestraft die Menschen nicht dafür, dass sie zu wenig Geld haben für hochwertigen Wohnraum.“ Ein spannender Aspekt des Forschungsprojektes in Norderstedt: Kann man Wohnquartiere entwickeln, die sowohl hochwertig als auch bezahlbar sind, die Alten wie Jungen das bieten, was sie brauchen?

Intelligente Wohnprojekte mit Mikro-Apartments sind für Brüning eine Option. Diese Kleinstwohnungen machen derzeit in vielen Ländern Karriere, weil sie für eine wichtige Zielgruppe das perfekte Dach über dem Kopf sind. Studenten etwa, oder jene hochmobile, neue Generation an Arbeitnehmern, die für gut bezahlte Jobs in wechselnden Metropolen eine adäquate Bleibe auf Zeit suchen. Die multifunktionalen Wohnungen, die mit wenigen Quadratmetern Wohnfläche auskommen und sich durch intelligente Möblierung im Handumdrehen für unterschiedliche Nutzungen umbauen lassen, könnten aber auch für Geringverdiener und Senioren eine Option sein, sagt Brüning. „Das kleine Apartment reicht für die Privatsphäre, wenn ich andere Funktionen – die Küche, das Bad – in Gemeinschaftsräume auslagere“, sagt Brüning. Wohlgemerkt: Das soll kein Zurück zum Bad auf dem Gang wie in den 50er-Jahren sein. Sondern eine Aufgabenstellung für Architekten, wie solche Ideen komfortabel und bezahlbar ausgestaltet werden könnten. „Die durchschnittliche Rente der Frau in Deutschland liegt bei 630 Euro, die des Mannes bei 1100 Euro – dem muss sich die Stadtentwicklung stellen.“

In Norderstedt sollen bis Ende 2019 potenzielle Zielgruppen nach ihrer Meinung gefragt werden. Unter welchen Rahmenbedingungen oder Voraussetzungen würden Mikro-Apartments für Senioren, Geringverdiener oder Studenten zur attraktiven Form des bezahlbaren Wohnens? Daran anschließen soll sich ein Ideenwettbewerb für Architekten und Stadtentwickler, die dann konkrete Umsetzungen liefern sollen. „Dabei möchten wir der Kreativität keine Grenzen setzen – weil wir ja nicht wissen, welche Aspekte wir vielleicht noch gar nicht bedacht haben“, sagt Brüning. Vorgegeben wird den Planern nur, dass Wohnraum für 360 Euro warm je Einheit entsteht, dass die Wohnungen Barriere frei sind, eine komfortable und hochwertige Ausstattung haben und nachhaltig zu bauen und zu betreiben sind.

Am Ende wird ein Siegerentwurf stehen. Und eine Norderstedter Idee, die vielleicht in ganz Deutschland Wohnraum-Probleme löst.