Kiel/Bad Bramstedt. Eine junge Mutter starb 2017 auf der A 7 bei Bad Bramstedt. Das Schöffengericht in Kiel muss klären, ob Ablenkung die Unfallursache war
Zwei Jahre nach einem tödlichen Verkehrsunfall auf der A 7 bei Bad Bramstedt muss sich ein Autofahrer vor dem Kieler Landgericht erneut wegen fahrlässiger Tötung durch mangelnde Aufmerksamkeit am Steuer verantworten.
Kurz vor dem Aufprall auf einen Kleinwagen soll der 72-jährige Angeklagte wegen Nutzung eines Mobiltelefons abgelenkt gewesen sein. Gegen den Freispruch, den er im Juni 2018 vor dem Schöffengericht in Neumünster erzielt hatte, legten Staatsanwaltschaft und der Angehörige des Opfers (33) Berufung ein.
In erster Instanz hatte die Anklage 18 Monate auf Bewährung und 5000 Euro Schmerzensgeld für die Hinterbliebenen gefordert. Zwar ging das Schöffengericht davon aus, dass der Rentner aus Nordfriesland an einem Vormittag im Januar 2017 auf der Fahrt in Richtung Norden tatsächlich bei 120 km/h sein Handy bediente, um eine WhatsApp zu beantworten. Einen zeitnahen Einsatz seines iPhones bestätigte auch gestern ein technischer Sachverständiger.
Der Angeklagte schweigt während des Prozesses
Das Schöffengericht konnte aber im ersten Prozess nicht ausschließen, dass die getötete Mutter eines damals neun Monate alten Jungen den schweren Unfall allein verschuldete. Für den Angeklagten sei der Zusammenstoß mit dem gelben Polo möglicherweise unvermeidbar gewesen. Der Ehemann des Opfers tritt erneut als Nebenkläger auf. Sein kleiner Sohn überlebte den Unfall mit Kopfprellungen und einem Gurthämatom. Im Berufungsprozess schweigt der Angeklagte. Ein Kfz-Sachverständiger schloss aus dem Spurenbild am Unfallort, die Frau sei mit nur 52 bis 62 km/h vom Standstreifen auf die rechte Fahrbahn eingeschert, als der Angeklagte ihren Kleinwagen mit etwa doppelter Geschwindigkeit von der Überholspur kommend erfasste. Beide Fahrzeuge hatten laut Gutachten bei dem Zusammenstoß ihren Geradeaus-Kurs noch nicht erreicht.
Hatte der Angeklagte an jenem Vormittag den gelben Polo am rechten Rand der kaum befahrenen Autobahn nach dem Überholen eines Kleinlasters überhaupt nicht oder zu spät wahrgenommen?
Auch das Kind hätte bei dem Unfall sterben können
Für den Staatsanwalt lag die Unfallursache im ersten Prozess klar auf der Hand: „Der Angeklagte hatte seinen Blick beim Überholvorgang nicht dort, wo er hingehörte.“ Laut Vorwurf stieß er „ungebremst“ auf den Polo. Auch das Kind hätte sterben können, sagte er. Das Schöffengericht sah in der Handynutzung „ein immenses Binden der Aufmerksamkeit“. Möglicherweise sei das Hindernis deshalb für den Angeklagten „plötzlich da“ gewesen.
Nach aktuellen Zahlen des Automobilclubs Mobil in Deutschland ist die Ablenkung durch das Smartphone mittlerweile zur Unfallursache Nummer 1 in Deutschland geworden: „Bei etwa 100.000 Unfällen im Jahr sterben mehr als 500 Menschen und rund 25 000 werden verletzt, weil sie ihre volle Aufmerksamkeit nicht dem Verkehrsgeschehen widmen“, teilt der Verein mit.
Die Kieler Berufungskammer vertagte sich am Montag nach vierstündiger Sitzung. Das Urteil wird am 21. Mai erwartet.