Norderstedt. Beschäftigte wurden von der Insolvenz des Traditionsunternehmens überrascht - nun übernimmt eine Mitarbeiterinitiative die Firma.

Es ist still geworden auf den Fluren der ehemaligen Tetenal Europe GmbH. Bis vor einigen Wochen waren hier noch 120 Mitarbeiter beschäftigt – jetzt sind es nur noch 35. Als das in Norderstedt ansässige Traditionsunternehmen im vergangenen Herbst Insolvenz angemeldet hat, trauerten Fotofans auf der ganzen Welt um Tetenal.

Was kaum ein Laie weiß: Trotz der Digitalisierung des Filmgeschäfts drehen Hollywood-Regisseure wie Quentin Tarantino, Christopher Nolan oder Steven Spielberg ihre Blockbuster immer noch leidenschaftlich gern analog. Um ihre Filme zu entwickeln, nutzen sie Fotochemie – von Tetenal aus der Stadt Norderstedt.

„In diesem Jahr war eine Vielzahl von Filmen für die Oscars nominiert, die analog gedreht und mit unserer Chemie entwickelt worden sind“, sagt Carsten Gehring. Der ehemalige Vertriebsleiter von Tetenal wurde von der Insolvenz eiskalt überrascht. „Ich konnte es nicht glauben. Der analoge Fotomarkt ist zwar deutlich zurückgegangen, aber seit einigen Jahren ist eine Trendwende zu spüren“, sagt der 54-Jährige.

Gehring arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Unternehmen. Die anno 1847 vom Berliner Geschäftsmann Theodor Teichgräber gegründete Tetenal ist die weltweit älteste Fotofirma. „Wir wollten uns nicht kampflos geschlagen geben“, betont Gehring.

Und deswegen hat er gemeinsam mit Stefania Grimme, Burkhardt Müller und Norbert Köster-Beestermöller die Mitarbeiterinitiative „New Tetenal“ ins Leben gerufen. Ihr Antrieb: Sie wollen nicht weniger als die langjährige Tradition retten. „Workshops haben uns gezeigt, dass noch eine ganze Menge aus der Firma herauszuholen ist. Das hat mir Mut gemacht weiterzumachen“, sagt Stefania Grimme.

Ende März hatte das alte Unternehmen ausproduziert

Tetenal war 1847 vom Berliner Geschäftsmann Theodor Teichgräber gegründet worden und musste nach mehr als 170 Jahren Insolvenz anmelden.
Tetenal war 1847 vom Berliner Geschäftsmann Theodor Teichgräber gegründet worden und musste nach mehr als 170 Jahren Insolvenz anmelden. © Tetenal | Tetenal

Die 38-Jährige hat erst im Juli des vergangenen Jahres bei Tetenal als Produktionsleiterin angefangen – wenige Monate später erwischte auch sie die plötzliche Insolvenz. Wie alle anderen Mitarbeiter wurde sie gekündigt. „Ich habe mich während der schweren Zeit nicht einmal anderswo beworben, weil ich davon ausgegangen bin, dass es weitergeht“, sagt sie. Jetzt sitzt Grimme in der Geschäftsführung.

Ende März hatte das alte Unternehmen ausproduziert, seit dem 1. April ist die neu gegründete Tetenal 1847 GmbH am Start. Der Hoffnungsträger der analogen Fotoindustrie. An den Wänden auf den Fluren kleben nun bunte Zettel mit neuen Ideen – transparent, für jeden sichtbar. Noch in diesem Jahr will das Mitarbeiter-Start-up in andere Räume umziehen. Zwar will Tetenal bis auf 40 Beschäftigte anwachsen, dennoch ist das alte Gebäude am Schützenwall zu groß geworden. Einen neuen Standort hat das Team noch nicht gefunden, fest steht nur: Das Unternehmen bleibt in Norderstedt. Die ehemaligen Tochterfirmen in England, Frankreich und Polen sind von der Insolvenz in Deutschland nicht betroffen.

Mitarbeiter loben die familiäre Atmosphäre im Betrieb

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass sich Angestellte so sehr mit einem Unternehmen identifizieren wie bei Tetenal. Ob es ein Geheimnis gibt? „Die familiäre Atmosphäre ist etwas Besonderes. Trotz der schweren Zeiten haben sich die Mitarbeiter immer stark engagiert. Man muss schon ein hohes Maß an Eigenmotivation aufbringen, um solche Tiefs wie die Insolvenz zu überstehen“, sagt Carsten Gehring. Diese Phase habe zusammengeschweißt. Der harte Kern von 35 Mitarbeitern stamme noch aus der alten Firma. „Sie haben an uns geglaubt. Und diesen Schwung wollen wir jetzt mitnehmen.“

Die neue Tetenal ist mit Produktionen bis weit in den Sommer ausgelastet. Anstatt wie bisher will sich das Start-up nicht nur auf gewerbliche Verwender wie Fotolabore konzentrieren, sondern auch private Endverbraucher erreichen. Stefania Grimme: „Schallplatten sind in den vergangenen Jahren genauso wie Polaroids wieder in Mode gekommen. Warum nicht auch die analoge Fotografie?“

Auch Carsten Gehring ist davon überzeugt, dass der Mensch analog und nicht digital tickt. „Die digitale Flut löst Stress aus. Sie ist beliebig, verschwindet einfach. Analog hingegen ist greifbar. Der Markt wächst wieder“, sagt er.

Natürlich sorgt sich die neue Geschäftsführung, bestehend aus Grimme und Gehring, hin und wieder um die Zukunft von Tetenal. Alltag ist noch lange nicht wieder eingekehrt. Im Gegenteil. „Jeden Tag liegen uns neue Steine im Weg“, sagt Gehring. Aber er sei sehr optimistisch. „Wir haben im Prinzip wieder bei Null angefangen. Was soll der Pessimismus? Es kann nur gut werden. Wir haben schon so viele Herausforderungen gemeistert.“

Weitere Infos: Seit mehr als 170 Jahren ist die Tetenal Europe GmbH eineInstanz in der Entwicklung von fotografischen Chemikalien. Im Jahr 1847 gründete der Berliner Unternehmer Theodor Teichgräber die Firma, 1910 wurde Tetenal als Warenzeichen eingetragen. Im Herbst des vergangenen Jahres hat das in Norderstedt ansässige Traditionsunternehmen einen Antrag auf Sanierung unter Insolvenzschutz gestellt.120 Mitarbeiter wurden gekündigt – doch die Initiative „New Tetenal“ will die Firma retten. Ehemalige Mitarbeiter haben die Tetenal 1847 GmbH gegründet, die seit April am Start ist.

Wir haben im Prinzip wieder bei Null angefangen. Aber was soll der Pessimismus? Es kann nur gut werden
Carsten Gehring