Norderstedt. 55 schwere Lastwagen des Betriebsamtes werden bis 2020 mit den Sicherheitssystemen ausgestattet. Die Fahrer sind erleichtert.
Mirko Feddern gibt Gas. Der Mercedes-Benz Econic 2633 LI, ein Müllpresswagen, der voll über 28 Tonnen wiegt, fast acht Meter lang, 2,3 Meter breit und 3,5 Meter hoch ist, rollt an. In der geräumigen Fahrerkabine ist Platz für drei Personen. Wer hier sitzt, bekommt sofort Respekt vor den Ausmaßen des Gefährts, das Mirko Feddern routiniert über den Bauhof der Stadt Norderstedt an der Friedrich-Ebert-Straße lenkt, vorbei an abgestellten Fahrzeugen, Garagen und Kollegen, die in Orange zwischen den Gebäuden umher laufen.
Norderstedt erinnert sich noch an den schrecklichen LKW-Unfall 2017
Sofort kommen die Bilder im Kopf, die Schlagzeilen und Geschichten der näheren Vergangenheit. Von und über Radfahrer, die von abbiegenden Lastwagen übersehen und getötet wurden. Von entsetzten Zeugen, traumatisierten Hinterbliebenen und Lastwagenfahrern, die ihres Lebens nicht mehr froh werden. Norderstedter erinnern sich mit Schrecken an das Schicksal von Carmen Weidenbecher (54), die am 2. August 2017 auf der Ulzburger Straße mit ihrem Elektrofahrrad fuhr und von einem Lastwagen überrollt und getötet wurde. Der Fahrer hatte sie beim Abbiegen zu einer Baustelle übersehen.
„Ich sitze seit mehr als zehn Jahren in Lastwagen, war im Fernverkehr tätig, habe in Hamburg Müllwagen gefahren und nun beim Betriebsamt in Norderstedt“, sagt Mirko Feddern. „Ich habe in den Jahren viel gesehen, aber ich selbst bin, Gott sei Dank, in keine schlimme Situation geraten. Trotzdem: die Angst vor einem Abbiegeunfall fährt immer mit.“
Elf von 55 Fahrzeugen wurden bereits umgerüstet
An seinem Norderstedter Arbeitsplatz kann sich Feddern nun aber deutlich sicherer sein, dass es auch weiterhin nicht zur Katastrophe im Einsatz kommt. Die Norderstedter Politik hat – auch als Reaktion auf den Unfall an der Ulzburger Straße – entschieden, dass die Stadtverwaltung den kompletten Lastwagen-Fuhrpark des Betriebsamtes kurz- bis mittelfristig mit Abbiege-Assistenzsystemen aus- und nachrüsten muss. Für Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder ist die Umsetzung des Beschlusses nicht Bürde, sondern ein Bedürfnis. „Jeder Unfall, der durch solche Assistenzsysteme hätte verhindert werden können, ist einer zuviel“, sagt Roeder. Deswegen arbeite die Stadt mit Hochdruck an der Umrüstung des Fuhrparks.
55 schwere Fahrzeuge des Betriebsamtes müssen aus- und umgerüstet werden. „Das haben wir bereits bei elf Fahrzeugen geschafft, die übrigen 44 kommen Stück für Stück bis Ende 2020 dran“, sagt Roeder. „Damit stehen wir als Stadtverwaltung bei der Umrüstung unserer Flotte ganz gut da.“
Viele Kommunen und Unternehmen versuchen derzeit ihre Flotten auszurüsten – was die Hersteller der Systeme zu spüren bekommen. „Wir müssen uns gedulden mit dem Einbau der Systeme“, sagt Stadtsprecher Bernd-Olaf-Struppek, „da gibt es derzeit lange Lieferzeiten.“ Die Technik an sich in simpel, kostet in der Nachrüstung zwischen 2000 und 3000 Euro. Wenn man neue Fahrzeuge bestellt ist der Assistent Sonderausstattung und schlägt laut Stadt mit 5000 Euro zu Buche.
Die europaweite Pflicht kommt nicht vor 2024
Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es nicht – obwohl weder Verkehrsexperten noch die Bundesregierung dagegen sind. Verkehrsminister Andreas Scheuer kann den nationalen Alleingang aber nicht gehen. Die Anforderungen an Abbiegeassistenten müssten mit der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen abgestimmt werden, bevor die Europäische Union sie Ende 2019 umsetzen kann. Die Pflicht für den Einbau der Systeme in allen Lastwagen innerhalb Europas könnte demnach erst 2024 kommen.
Ende Januar hatte sich der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar für den verpflichtenden Einbau der Assistenten ausgesprochen. Die Experten diskutierten dort auch neue Ampelschaltungen. Damit sollen abbiegende Autofahrer, Radler und Fußgänger eigene Grünphasen haben. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) forderte einen eigenen Grünen Pfeil für Radfahrer, mit dem sie bei Rot rechts abbiegen könnten. Unterstützung dafür kam von der Gewerkschaft der Polizei, deren Vizechef Michael Mertens sagte: „Der Fahrradfahrer ist dann schon weg, wenn der Lkw abbiegt.“ Auch ein ADAC-Sprecher sagte, ein Grüner Pfeil würde es Radfahrern ermöglichen, eine Kreuzung zu verlassen, bevor Autos losfahren.