Norderstedt. Mirco Czerwonka aus Norderstedt verbrachte 14 Monate auf der Neumayer-Station III. Während der Polarnacht lebte er 65 Tage in Dunkelheit.

Eine weiße Schneelandschaft erstreckt sich bis zum Horizont. Weit und breit gibt es nichts als Eis. Winde pfeifen mit bis zu 150 Kilometern pro Stunde über den Boden. Der nächste Supermarkt liegt rund 3000 Kilometer entfernt in Südamerika. So sah die Welt von Mirco Czerwonka für 14 Monate aus. Der Norderstedter lebte abgeschieden von der Zivilisation auf der Neumayer-Station III in der Antarktis.

„Es war ein unglaubliches Erlebnis“, schwärmt Czerwonka, der erst vor wenigen Tagen aus dem Eis in seine Heimat zurückgekehrt ist. Der 31-Jährige arbeitet als Geophysiker für das Alfred-Wegener-Institut. Er bekam im vergangenen Jahr die einmalige Chance, auf der Forschungsstation an der Küste des östlichen Weddell-Meeres zu überwintern. Neumayer ist die Basis für deutsche Antarktisforschung. Hier werden Messreihen fortgeführt, die bis in die frühen 1980er-Jahre zurückreichen.

In den antarktischen Sommermonaten (etwa September bis März) leben bis zu 50 Menschen aus der ganzen Welt in der Station, im Winter (etwa März bis September) nur noch zehn – ein Koch, vier Ingenieure, ein Arzt und vier Wissenschaftler. Zu ihnen gehörte auch Mirco Czerwonka.

„Wir haben die meiste Zeit in der Station verbracht“, sagt der Garstedter, der 2007 sein Abitur am Coppernicus-Gymnasium absolviert hat. Trotzdem habe er nicht das Gefühl gehabt, im Schnee eingeschlossen zu sein. Im Gegenteil. „Die unendliche Weite war faszinierend.“ Die Station wurde nach dem Geophysiker Georg von Neumayer benannt, steht auf 16 Stützen und liegt sechs Meter über dem Eis. Knapp die Hälfte der 4890 Quadratmeter großen Fläche wird beheizt. Draußen hingegen herrscht bittere Kälte.

Geophysiker Mirco Czerwonka bei der Arbeit: Wenn er in die Kälte ging, hat er drei Schcithen Kleidung getragen.
Geophysiker Mirco Czerwonka bei der Arbeit: Wenn er in die Kälte ging, hat er drei Schcithen Kleidung getragen. © Mirco Czerwonka

Die tiefste Temperatur, die Czerwonka miterlebte, lag bei minus 43 Grad. Von einem „warmen“ Sommertag spricht man in der Antarktis, wenn sich das Thermometer um den Gefrierpunkt bewegt. „Mit der Kälte hatte ich kein Problem. Die Dienstkleidung hat uns gegen sie geschützt.“ Das bedeutete: Wenn sich der Wissenschaftler raus ins Eis wagte, trug er drei Schichten Kleidung übereinander.

Zu den Aufgaben von Czerwonka zählte unter anderem die Messung des Magnetfelds. Es schützt die Erde vor kosmischer Strahlung, befindet sich jedoch in einem ständigen Wandel. Außerdem registrierten mehrere Seismometer Erdbeben in der Antarktis und auf der ganzen Welt. Der Geophysiker sammelte die Daten und wertet sie in den kommenden Wochen am Institut in Bremerhaven aus. Der Nachteil: In dieser Zeit fällt er erneut bei der freiwilligen Feuerwehr Garstedt aus.

Schon als kleiner Junge begeisterte sich Czerwonka für das Feuerlöschen. Im Alter von zehn Jahren wurde er Mitglied der Jugendfeuerwehr. Seitdem arbeitet er als ehrenamtlicher Feuerwehrmann. „Ich finde es schön, anderen Menschen zu helfen“, sagt er. Außerdem macht ihm die Arbeit im Team Spaß. „Wir löschen gemeinsam Brände. Das gibt einem ein gutes Gefühl.“ Seine Kameraden haben ihn bei der Rückkehr aus der Antarktis am Flughafen abgeholt.

Übrigens: Im Notfall hätte Czerwonka auch in der Neumayer-Station III ein Feuer löschen müssen. Das zehnköpfige Überwinterungs-Team wurde in einem Schnellkursus geschult. Jedes Mitglied musste einen Feuerlöscher bedienen können und sich im Ernstfall zutrauen, einen Brand zu bekämpfen. Doch ein Feuerwehrmann wurde auf der Station zum Glück noch nie gebraucht.

Von Ende Mai bis Ende Juli ging die Sonne nicht mehr auf

Czerwonka lebte während der Expedition 65 Tage in Dunkelheit. Von Ende Mai bis Ende Juli geht in der Atka-Bucht die Sonne nicht mehr auf – es herrscht Polarnacht. „Sterne, Milchstraße und Polarlichter waren in dieser Zeit besonders gut zu erkennen“, sagt der Geophysiker. Um nicht in eine depressive Stimmung zu verfallen, gab es in den Zimmern künstliches Licht. Zudem schluckte Czerwonka Vitamin-D-Tabletten. „Die Dunkelheit hat mir weniger ausgemacht als der Polartag.“

Denn: Umgekehrt geht in der Antarktis von Mitte November bis Ende Januar die Sonne nicht mehr unter. „Du bleibst länger wach. Das raubt dir natürlich mehr Energie.“ Immerhin konnten in den Schlafcontainern die Fenster abgedunkelt werden. Neben den spektakulären Wetterphänomenen war das Weihnachtsfest ein besonderes Erlebnis für Mirco Czerwonka.

Weit weg von der eigenen Familie feierte er Heiligabend mit rund 50 fremden Menschen auf der Station. Sie wurde ein wenig dekoriert – mit zwei Tannenbäumen aus Holz und Plastik. Die neuen „Überwinterer“ haben gemeinsam mit den Köchen ein etwas aufwendigeres Essen zubereitet. Und: Es gab sogar Geschenke. Verwandte und Freunde konnten Präsente an das Alfred-Wegener-Institut nach Bremerhaven schicken. Von dort aus wurden sie in die Antarktis geflogen. Durch WhatsApp, Facebook und ein Festnetz-Telefon konnte Czerwonka die ganze Zeit über Kontakt zur Außenwelt halten.

Der Abschied von der Neumayer-Station III ist dem Norddeutschen nach exakt 428 Tagen schwer gefallen. Die Erfahrung in der Antarktis wird wohl einmalig bleiben. Aber: Das Alfred-Wegener-Institut betreibt auch auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen eine Arktis-Station. „Vielleicht bewerbe ich mich dort“, sagt Czerwonka. Mit Kälte, Eis und Schnee kennt sich der Geophysiker jedenfalls jetzt aus.