Eekholt. Fachleute diskutieren über den richtigen Umgang mit den Wölfen in der Region. Die Regierung will die Bildung eines Rudels verhindern.
GW(Grauwolf)1120f, so ist ihre offizielle Bezeichnung, verhält sich unauffällig. Manchmal ist sie in Foto- oder Videofallen getappt, sie ernährt sich von Wild, eine Spaziergängerin in der Oeringer Feldmark hat sie einmal gesehen. Das Leben der Wölfin, die sich vermutlich seit dem Frühjahr 2018 im Kreis Segeberg aufhält, ist ein ganz normales. Das ist gut für sie, denn so bleibt der Fähe eine Debatte um ihr eigenes Fortbestehen erspart.
Wie das Abendblatt mehrfach berichtet hat, ist die Lage bei dem Rüden, der in den Kreisen Pinneberg und Steinburg herumstreift, eine ganz andere. GW924m hat Schafe aus Herden gerissen, die vorschriftsgemäß eingezäunt waren. Deswegen soll er auf Entscheidung des zuständigen Landesamtes abgeschossen werden, die Genehmigung hierfür läuft zunächst bis 28. Februar. Ob ihn die beauftragten Jäger erwischen, weiß niemand – ein gesundes Tier kann täglich 80 Kilometer laufen.
Die Koexistenz von Mensch und Wolf steht zur Diskussion, das wissen auch Fachleute wie Wolf von Schenck. Der Geschäftsführer des Wildparks Eekholt ist ein Experte für das Verhalten und die Lebensweise der Tiere – ob im Gehege oder in der freien Natur. Die Segeberger Wölfin konnte dank ihrer DNA zugeordnet werden. „Soweit wir wissen, wurde sie 2017 geboren, sie stammt aus dem Möckerner Rudel bei Magdeburg, das wurde bei einem Damwildriss genetisch nachgewiesen.“
Die drei Artgenossen in Eekholt – Mascha, Janosch und Alexander – könnten die Witterung aufgenommen haben, ihr Geruchssinn reicht zwei Kilometer weit, das Gehör je nach Wind bis zu zehn Kilometer. „Vor 50 Jahren, als der Park gegründet wurde, gab es hier keine Wölfe. Als die Segeberger Wölfin nachweislich näherkam, haben wir die Außenzäune überprüft. Vor einem Jahr haben wir beim Umweltministerium auch einen Antrag zum präventiven Herdenschutz gestellt.“
Die Segeberger Wölfin reißt ausschließlich Wildtiere
Wie die Übersicht der Vorfälle zeigt, beschränkt sich GW1120f auf Wild als Nahrung, steht also im Kontrast zum Tier im Nachbarkreis. Wieso? „Die Schafdichte im Kreis Segeberg ist vergleichsweise niedrig. Aber es gibt in allen Kreisen genug Nahrung.“ Damit meint von Schenck nicht Schafe. Doch genau bei der Unterscheidung von Beute liegt das Problem. Denn der Pinneberger Wolf darf geschossen werden, weil er ungewöhnlicherweise über Zäune springt, die ansonsten sicher genug sein müssten. In Schleswig-Holstein gilt das bei einer Höhe von 1,05 bis 1,08 Metern und 3500 Volt Spannung.
„Ein Argument dafür, dass er geschossen werden soll, ist, damit er kein Rudel bildet und sein Wissen weitergibt“, sagt von Schenck. Aber: „Wenn ein Wolf geschossen wird, ist das nicht die Lösung des Problems.“ Lernverhalten könne sich verändern. Die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe würde zum Beispiel Herdenhunde wie den Kangal oder den Pyrenäenberghund zur Verfügung stellen, das werde durch Fördermittel gezahlt.
Seit dem 13. Februar ist der Kreis Segeberg – genauso wie Pinneberg, Steinburg und Dithmarschen – ein Wolfspräventionsgebiet. Das heißt, Herdenschutz für Schafe wird zu 100 Prozent vom Land bezahlt. „Nicht aber der Aufbau, das wird noch vom Ministerium geprüft“, so Wolf von Schenck.
Das ärgert Schafhalter, die den zu hohen Aufwand monieren. Der Eekholt-Geschäftsführer hält mit seiner Familie selbst 22 Skudden-Muttertiere auf dem eigenen Hof. „Wir haben teilweise einen festen Zaun, teilweise auch noch innen, 1,10 bis 1,20 Meter mit Elektrolitze. Das haben wir ohne Förderung gemacht.“ Er versucht zu differenzieren. „Das eigentliche Problem ist doch ein anderes. Artgerechte Tierhaltung wird nicht entsprechend honoriert, die Fleischpreise sind zu niedrig. Ein Lamm bringt 2,50 Euro pro Kilo.“
Wolfsrisse sind nur kleiner Teil von Schafsverlusten pro Jahr
Seine Frau Elvira, Tierärztin und Biologin, mahnt bei den Wolfsnächten, einer zweitägigen Infoveranstaltung im Wildpark, ebenfalls vor einer zu einseitigen Sichtweise. „Der Wolf gehört genauso hierher wie das Schaf. Wir müssen aufhören, in Problemen zu denken.“ Der Herdenschutz müsse schneller und effektiver werden. „Man darf es den Wölfen nicht zu einfach machen. Wenn sie erst einmal eine gewischt bekommen haben, bleiben sie weg vom Stromzaun.“ Sie nennt zudem eine Zahl: Jährlich betrüge der Verlust von Schafen in Schleswig-Holstein rund zwölf Prozent, also mehr als 40.000 Tiere. Im Monitoringjahr 2018/2019 seien 80 Wolfsrisse nachgewiesen, also 0,05 Prozent. „Der Wolf ist das i-Tüpfelchen, wenn es um Probleme bei der Schafhaltung geht.“
Wolfgang Springborn, Wolfsbetreuer aus Hasenkrug, der Tierhalter berät, nennt den genehmigten Abschuss des Pinneberger Wolfes eine „richtige Entscheidung“. 799 von 800 Wölfen in Deutschland würden vor den wolfssicheren Zäunen Halt machen, einer eben nicht. „Der Tierbestand ist so, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankommt, so hart es klingt.“ Aus pädagogischer Sicht nennt Springborn einen ganz anderen Aspekt. „1820 wurde hier in Schleswig-Holstein der letzte Wolf geschossen, er lebte aber in den Köpfen weiter. Die Brüder Grimm haben ihm das Image des bösen Wolfes verpasst, das hat jedes Kind gelesen.“
Eine Gefahr für den Menschen geht vom Wolf nicht aus. Manfred Michallik vom Freundeskreis freilebender Wölfe zieht einen Vergleich: Pro Jahr würden zwei bis drei Menschen in Deutschland durch Hundebisse ums Leben kommen. Das seien in den 20 Jahren, seitdem es hierzulande wieder Wölfe gebe, rund 60. Die Zahl der Menschen, die von Wölfen angefallen oder gar getötet wurden: null. „Wir möchten Akzeptanz schaffen und Ängste abbauen. Es wird viel Panik gemacht. Schäfer sind es nicht mehr gewohnt, auf ihre Schafe aufzupassen.“
Mittelfristig ist Folgendes möglich: GW924m überquert die A 7 und kommt in den Kreis Segeberg. Hier würde die Abschussgenehmigung nicht gelten. Es könnten sich erstmals zwei Wölfe in Schleswig-Holstein verpaaren und ein Rudel gründen, was ja eigentlich verhindert werden soll. Elvira von Schenck: „Der Wolf durchstreift ein Gebiet von 400 Quadratkilometern. Er sucht nach einer Frau.“
Eine Übersicht über die Wolfsnachweise in der Region finden Sie in Ihrer Abendblatt-Regionalausgabe Norderstedt.