Norderstedt. Norderstedt wird um rund 10.000 auf 90.000 Einwohner wachsen. Gebaut werden müssen vor allem kleine und bezahlbare Wohneinheiten.

In 17 Jahren werden knapp 10.000 weitere Menschen in Norderstedt leben. Die Stadt wird dann die Marke von 90.000 Einwohnern knacken. Davon geht jedenfalls Norderstedts Baudezernent Thomas Bosse aus, der seine These auf die aktuellen Prognosen stützt. Und da strafen die Analysten des Statistikamtes Nord bisherige Annahmen Lügen, wonach eine Norderstedterin durchschnittlich 1,3 Kinder zur Welt bringt. Die Geburtenrate ist gestiegen, nun kalkulieren die Statistiker mit einem Wert von 1,5 oder 1,6 Kindern pro Frau. Hochgerechnet auf das Jahr 2035 steigt die Einwohnerzahl auf gut 88.000.

Das Statistikamt Nord hat die Prognose im Auftrag der Stadt erarbeitet und im Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr vorgestellt. Als Grundlage dienten die Daten aus dem Jahr 2017. Und noch ein zweiter Faktor treibt das Wachstum: Hamburger drängen nach Norderstedt, um hier zu „nesten“, wie Bosse sagt: „Metropolen wie Hamburg ziehen die jungen Leute an, die hier ihre Ausbildung absolvieren oder studieren.“ Doch wenn sie dann noch ein bisschen Stadtleben mit Cafés und Kultur genossen hätten und eine Familie gründen wollten, zögen sie raus in die Peripherie.

Norderstedter empfehlen Stadt als Wohnort

„Norderstedt punktet da mit der guten Verkehrsanbindung nach Hamburg durch die U-Bahn und mit einer überdurchschnittlich guten Infrastruktur“, sagt der Dezernent. Die Qualität von Schulen und Kitas, selbst die Straßen seien im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden gut.

Viele Norderstedter bestätigen Bosses Aussage, was sich aus der Analyse des Instituts für Wohnen und Stadtentwicklung (ALP) ergibt, das für die Stadt den Wohnungsmarkt in Norderstedt untersucht hat. 10.000 zufällig ausgewählte Haushalte wurden zu ihrer Wohnsituation befragt, 2604 haben geantwortet. Davon wiederum würden 89 Prozent Norderstedt als Wohnort weiterempfehlen. Viel Grün, gute Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten, zentrale Lage nannten die Befragten als Pluspunkte.

Zwar stoße Wachstum, vor allem in diesen Dimensionen, auf Widerspruch. Viele Norderstedter fürchteten, dass der Verkehr und die Länge der täglichen Staus weiter zunehmen – eine Sorge, die Bosse zerstreut: „Die Zahlen sprechen eine andere Sprache“. Bosse sieht Wachstum positiv, spüle das doch Steuereinnahmen in den Haushalt und eröffne der Stadt Handlungsmöglichkeiten.

Verkehr stagniert

„Die verbreitete Annahme, der Verkehr in Norderstedt habe deutlich zugenommen, lässt sich durch Zahlen nicht belegen“, sagt Baudezernent Thomas Bosse. 2004 gingen die Prognosen davon aus, dass die Zahl der Autofahrten in der Stadt von 280.000 auf 350.000 im Jahr 2016 zunehmen wird.

Die Analyse 2016 habe 287.000 Fahrten ergeben, ein „minimaler Anstieg weit unter den Vorhersagen“, so Bosse. Damit zeige sich in Norderstedt ein Trend, der in Hamburg schon zum Rückgang des Autoverkehrs geführt habe.

Junge Leute verzichteten aufs eigene Auto, mehr Menschen nutzten Bus Bahn und Rad. Und: Der Verkehr hat sich verschoben, von Rathausallee und Langenharmer Weg hin zum Kreisel Ochsenzoll und zur Schleswig-Holstein-Straße.

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Andererseits müssen die Neubürger ein Dach über den Kopf bekommen. „Das macht mir keine Sorgen“, sagt der Dezernent und verweist auf 18 im Stadtgebiet verstreute Flächen, in denen mindestens 50 Wohneinheiten gebaut werden könnten, die größten Baugebiete sind in der Grafik zu sehen. Das ergebe 4250 bis 4550 Wohneinheiten. Jede davon werde rein statistisch zwei Menschen beherbergen, sodass 9000 Neubürger in Norderstedt eine Heimat finden könnten.

Die Mieten sind mit die höchsten im Norden

Das wird nicht reichen, heißt es im Wohnungsmarktkonzept von ALP. Die Fachleute gehen davon aus, dass bis 2035 zusätzlich 6540 Wohnungen gebaut werden müssen, gut 2000 mehr als die bisher vorgesehenen. Wo sollen die entstehen? „Zum Bauen auf der Wiese kommt die innere Verdichtung hinzu. Da, wo heute ein Einfamilienhaus aus den 50er- oder 60er-Jahren abgerissen wird, stellen Investoren drei bis vier Reihenhäuser hin“, sagt Bosse. Das reiche aus, um das zu bedienen, was die Gutachter mit Ersatzbedarf tituliert haben, rund 1830 Wohneinheiten.

Schließlich sprechen sie sich für weitere 550 Wohneinheiten als Fluktuationsreserve aus – vorübergehend leer stehende Wohnungen, die den Umzug erleichtern sollen. Immerhin haben 38 Prozent der Befragten einen Umzugswunsch geäußert, doch das Wohnungsangebot sei zu knapp, die Miete zu hoch. Schon seit Jahrzehnten ist Wohnen in Norderstedt sehr teuer, mit Ausnahme von Sylt sind die Mieten hier am höchsten im Norden. Mehr als zehn Euro kalt müssen Mieter pro Quadratmeter laut ALP-Analyse inzwischen zahlen, von 2013 bis 2018 sind die Mietpreise um 16 Prozent gestiegen, deutlich stärker als die Einkommen. 35 Prozent des Einkommens geben Mieter für das Wohnen aus, bei den Eigentümern sind es 18 Prozent.

Zahl der Seniorenhaushalte nimmt am stärksten zu

Fazit: Es fehlen bezahlbare und kleine Wohnungen und damit genau die, die Senioren brauchen. Die Zahl der Seniorenhaushalte insgesamt werde bis 2035 um 20 Prozent und damit deutlich am stärksten zunehmen. Gebraucht werde Wohnraum für Singles und Paare im Rentenalter. Wächst der Bestand, könnten Senioren ihre Einzelhäuser leichter gegen angemessene Wohnungen tauschen. „Mit dem Service-Wohnen in zentraler Lage kommen wir dem Bedarf schon näher“, sagt Bosse und verweist auf die rund 70 geplanten Service-Wohnungen auf der Wiese an der Ulzburger Straße nördlich des Rüsternwegs.

ALP rät, künftig maximal ein Drittel Einfamilienhäuser zu bauen, der Großteil sollte auf Mehrfamilienhäuser entfallen. 30 bis 40 Prozent sollte auf geförderten Wohnraum entfallen, momentan liegt der von der Stadtvertretung festgelegte Anteil bei 30 Prozent. „Der vielfach gebrauchte Begriff der Sozialwohnung vermittelt ein schiefes Bild. Früher konnte sich ein Oberstudienrat als Alleinverdiener mit Frau und zwei Kindern locker eine angemessene Wohnung leisten. Das ist bei den heutigen Mietpreisen nicht mehr möglich“, sagt der Dezernent. Aber Menschen in vergleichbarer Situation könnten den zweiten Förderweg nutzen, bei dem die Miete auf 7,50 Euro pro Quadratmeter gedeckelt ist. 5,50 Euro sind es beim ersten Förderweg.

30 bis 40 Prozent der Neubauwohnungen sollten frei vermietet werden, und die Gutachter haben zwischen die beiden gängigen Kategorien ein drittes Segment geschoben: preisreduzierte Mieten, was laut Bosse zwischen 9 und 11 Euro pro Quadratmeter bedeutet, denn es würden in Norderstedt durchaus Wohnungen für 13 oder 14 Euro pro Quadratmeter vermietet.

Stadt will preisreduzierten Wohnraum schaffen

Wie sollen preisreduzierte Wohnungen entstehen? „Es ist eine wesentliche Aufgabe des lokalen Bündnisses für Wohnen, gemeinsam mit den Wohnungsbaugesellschaften diese Nische zu bedienen, und da sind wir auf einem guten Weg“, sagt Bosse. Die Stadt könne über die Bauleitplanung und städtebauliche Verträge Einfluss nehmen, beispielsweise die Größe der neuen Wohnungen festlegen.

Die Baukosten ließen sich reduzieren, in dem ökologische oder soziale Anforderungen reduziert werden. Norderstedt gehe da oft über den gesetzlich vorgeschriebenen Standard hinaus. Um Wohnraum im mittleren Preissegment schaffen zu können, müssten die Wohnungsbaugesellschaften die Chance haben, bei neuen Bauvorhaben geförderte, preisreduzierte und frei vermietbare Wohnungen zu kombinieren.