Norderstedt. Betrüger gab sich als Mitarbeiter von Microsoft aus. Seinem Opfer jagte er Angst ein und nahm ihm 400 Euro ab. 73-Jähriger schämt sich.

Der 73-Jährige aus Norderstedt sitzt zusammengesunken da und blickt betreten auf den Boden. „Ich bin reingefallen, hab’ mich total über den Tisch ziehen lassen. Es ist mir peinlich – aber ich will trotzdem drüber reden. Mein Beispiel soll Warnung sein für andere.“

Die Kriminalität kam über die Telefonleitung und den Internet-Anschluss in sein Haus und in seinen Computer. Der Trickdieb hat ihm eine wilde Geschichte aufgetischt – und der 73-Jährige hat sie gekauft. „400 Euro hat er mir abgenommen. Ich sehe das jetzt als Lehrgeld.“

Senior hat viel Kontakt zur digitalen Welt

Bevor der Mann Details preisgibt, besteht er auf Anonymität. Der Redaktion ist er gut bekannt. Er ist kein Senior ohne Kontakt zur digitalen Welt. Er ist Ingenieur, häufig im Netz unterwegs, nutzt ein Smartphone und Messenger-Dienste, macht Online-Shopping und schickt sich WhatsApp-Nachrichten mit seinen Kindern und Enkelkindern hin und her. Außerdem ist er engagiert als Kommunalpolitiker. Passiert ist es ihm trotzdem. „Das war so perfide gemacht. Er hat mein Vertrauen erlangt.“

Los ging es mit E-Mails. Microsoft meldete sich angeblich aus der Firmenzentrale in Redmond, nahe Seattle. „Mein Rechner sei nicht sicher, er habe keinen ausreichenden Virenschutz. Da war ich noch geistesgegenwärtig und hab’ die alle einfach gelöscht.“ Wenig später öffnen sich Pop-Ups auf dem Rechner-Bildschirm des 73-Jährigen. Sie weisen ihn an, dringend für ausreichenden Virenschutz zu sorgen. Der 73-Jährige ist beunruhigt.

Der Betrüger sprach Englisch – mit indischem Akzent

Am Donnerstag, 25. Oktober, schließlich klingelt gegen 12.30 Uhr das Telefon. „Ein Mike Thomas, Senior Technician von Microsoft, stellte sich mir vor und fragte, warum ich nicht auf die Mails reagiere.“ Der Mann erklärte – auf Englisch und mit starkem indischen Akzent – dass alle Virenschutz-Programme auf dem Rechner des 73-Jährigen „totgeschaltet“ seien und er völlig offen für die Angriffe von außen sei. Er müsse schleunigst eine neue Windows-Version aufspielen, die gerade erst entwickelt worden sei. „Für die lebenslange Nutzung mit zusätzlichem Virenschutzpaket würde mich das 300 Euro kosten, sagte er.“

Anstatt einfach aufzulegen, geht der 73-Jährige auf den Handel ein. „Ich fragte ihn, ob er sich ausweisen könne als Microsoft-Mitarbeiter. Er las mir daraufhin die Identifikationsnummer meines Rechners vor – sie stimmte. Daran könne ich sehen, dass er von Microsoft sei. Ich glaubte ihm.“

Der Betrüger schlägt vor, die Rechnung mit Apple-Store-Wertkarten zu begleichen. „Er sagte, ich solle den Hörer nicht auflegen und einfach im nächsten Supermarkt die Karten kaufen.“ Der 73-Jährige tat, wie ihm gesagt wurde. Schließlich telefonierte er dem Betrüger die Sicherheitscodes der Karten durch. „Er sagte, dass zwei nicht funktionieren. Ich ging noch mal los und holte zwei weitere Karten.“ 400 Euro waren futsch. Schließlich folgte er den Anweisungen des Betrügers, öffnete das Programm Team Viewer, das diesem den Fernzugriff auf den Rechner des 73-Jährigen ermöglichte und schaute dann zu, wie „Mike Thomas“ angeblich den Rechner von Schadprogrammen säuberte. Tatsächlich hatte er den Rechner nun komplett für den Betrüger geöffnet. Der konnte ungehindert sämtliche Daten von der Festplatte holen, alle Kontakte ausspionieren, eventuell seine gespeicherten Zahlungsinformationen aus alten Online-Geschäften oder vom Online-Banking auslesen. „Ich sah den Fortschrittsbalken eines Programms auf meinem Bildschirm wachsen.“ Mittlerweile war es 17.30 Uhr. Das Telefonat erstreckte sich schon über fünf Stunden. Die Frau des 73-Jährigen hatte unterdessen den Sohn informiert. Der rief an und sagte: „Vater, zieh’ jetzt endlich den Stecker und leg auf!“

Die Atmosphäre war nett, man redete über Persönliches

Der 73-Jährige ist völlig konsterniert. „Er schuf eine persönliche Atmosphäre am Telefon. Er erzählte mir aus seinem Leben. Er sei Single und was ich ihm raten könne für das Leben. Ich sagte ihm: Erst wenn du Kinder hast, wirst du richtig erwachsen.“ Er sei ein gutmütiger und gutgläubiger Mensch. „Ich war echt besorgt um meine Rechnersicherheit. Und von dem Dampfer kam ich irgendwie nicht mehr runter.“

Seinen Rechner muss er nun komplett „platt“ machen und alle Daten löschen. Die Passwörter sämtlicher Konten, die er im Internet nutzt, habe er geändert. Allen seinen 600 Kontakten will er Bescheid geben, dass ihnen ähnliches drohen könnte. Die Bank hätte sein Konto aufgelöst. Er bekomme eine neue Nummer, neue Karten, die alten wurden sofort gesperrt. Ob die Betrüger mit seinen Daten in der Zwischenzeit weitere Kosten verursacht haben, wird er erst in ein paar Wochen wissen. Die Apple-Store-Karten waren schon eingesetzt worden und konnten nicht mehr gesperrt werden. „Ich weiß nicht, warum ich so reingefallen bin. Ich habe mir in Gedanken die Boxhandschuhe übergestreift und den Betrüger ordentlich verprügelt. Jetzt geht's mir schon besser. Den Glauben an das Gute im Menschen habe ich nicht verloren!“

Tech Support Scam: 11.000 Fälle im Monat

Der Tech Support Scam, bei dem sich Betrüger als Microsoft-Mitarbeiter ausgeben, ist weltweit seit 2014 verbreitet. Microsoft spricht von 11.000 Kundenbeschwerden pro Monat. Die Verbraucherzentrale Deutschland schätzte die Zahl der Betrugsopfer in Deutschland 2016 auf mindestens 7500. Die Dunkelziffer ist hoch: Viele Opfer melden sich aus Scham nicht bei der Polizei. Laut Microsoft sind es nicht die alten, wenig Internet affinen Menschen, die am häufigsten auf die Masche hereinfallen. 76 Prozent der Opfer seien in Deutschland unter 38 Jahren gewesen. Anzeigen landen als Betrugsdelikt bei den lokalen Kripo-Dienststellen. Das Landeskriminalamt mit seinen Spezialabteilungen für Cyber-Kriminalität, wird erst bei Kapitaldelikten tätig. Die Nummer des Täters ist für die Ermittler ein wichtiger Ermittlungsansatz. Aufgrund der Vielzahl an Verschleierungsmöglichkeiten sei es aber schwierig, Täter zu ermitteln, heißt es bei der Polizeidirektion Bad Segeberg. Der wirksamste Schutz ist es, weder auf Mails noch Pop-Ups zu reagieren. Bei Anrufen der Betrüger sollte man einfach auflegen. Microsoft ruft Kunden nicht an, Updates erfolgen automatisch.