Bönningstedt. Eine Carrera-Bahn ist für viele ein Kinderspielzeug. In Bönningstedt fahren Männer ihre Autos um die Wette.
Vier Augen jagen zwei Rasern nach. Martin Redel und Gerhard Stein sind am Drücker. Ein Ford und ein Porsche schießen um die Kurve. Die Autos scheren dabei nach hinten aus, ohne einander hier aus der Spur zu schubsen. Beide Wagen liegen Kopf an Kopf. Hinter den Fahrern schrauben vier Männer an ihren Kleinwagen, wo bei das hier wörtlich zu nehmen ist: Es sind Rennwagen für die Carrera-Bahn. „Schrauben“ bedeutet daher genau genommen: Autos mit einem Pinsel reinigen, Reifen schleifen. Viele Menschen verbinden mit dem Wort Carrera-Bahn ein Kinderspielzeug.
Diese Männer nicht. 14 sind sie an diesem Herbsttag an der Zahl, alle im Alter zwischen 40 und Mitte 60. Und sie haben den Anspruch, echte Rennen zu fahren. GT Mastercöpps nennt sich das, Schauplatz ihrer Wettfahrten ist der
Boennering in Bönningstedt. Wie bei der Automobil-Rennserie der GT Masters sind auch hier nur Fahrzeuge der Klasse Gran Turismo zugelassen. „Wenn ich mit meinem Ford ein fehlerfreies Rennen fahre, hat der Lamborghini keine Chance“, fachsimpelt Martin Redel, der Vorstandsmitglied im Verein Boennering ist.
Konkurrent Gerhard Stein tritt mit einem Aston Martin und einem gesunden Selbstbewusstsein an: Er wolle so weit vorn wie möglich landen – „und Martin oft genug rausschmeißen“, fügt er grinsend hinzu. Dass Stein das zweimal jährlich ausgerichtete GT-Event große Freude bereitet, zeigt schon der Anfahrtsweg, den er dafür auf sich nimmt: Der in Rheinland-Pfalz geborene 64-Jährige ist aus Essen angereist.
Verein mit 29 Mitgliedern aus ganz Deutschland
Auf der großen Straße fährt Stein einen Toyota Avensis, sein Carrera-Fuhrpark umfasst verschiedene Marken, darunter 60 Porsche-Modelle. Hinzu kommen zwei hauseigene Rennbahnen. „Carrera-Fahrer bin ich, seitdem ich acht Jahre alt bin“, erzählt Stein. Am Nürburgring hat er einige Wettkämpfe live verfolgt. „Langstreckenrennen sind meine Leidenschaft. Hier kann ich sie selbst ausleben.“
Eine eigene Carrera-Bahn hat sich Martin Redel, einer der drei Gründer des Boennerings, als Kind immer gewünscht. Im Februar 2007 dann kauft er sich mit ein paar Freunden drei Starter-Pakete für einen Dänemark-Urlaub. Dass daraus einmal ein Verein mit 29 Mitgliedern aus ganz Deutschland und einer Rennbahn von 29 Meter Länge entstehen würde, ahnt im Frühjahr vor elf Jahren noch niemand. „Das Ganze hat uns aber alle irgendwie angefixt, wir sind dort ewig lange gefahren“, sagt Kornath. Nach Urlaubsende spielen sie in den Büroräumen seines Arbeitsplatzes nach Feierabend weiter. Schnell wird den Rennfahrern klar: Sie brauchen eine Bleibe. Die findet Martin Redel ein Jahr später in einem leer stehenden Bönningstedter Fotostudio, das früher einmal eine Brotfabrik gewesen ist.
Frank Lobers wird auf die kleine, aber wachsende Gruppe ein halbes Jahr nach Gründung aufmerksam, als ihm ein befreundeter Carrera-Händler „von ein paar Verrückten, die seinen halben Laden leergekauft haben“, erzählt. Der 44-Jährige, der Modellbau schon immer geliebt hat, drückt der Rennbahn den technischen Stempel auf. „95 Prozent der Bestandteile unserer Bahn stammen von Carrera. Wir passen sie dann nach unserem Gusto an“, sagt Lobers, der vieles umgebaut hat.
70 Euro kostet ein Wagen – Profis zahlen Sechsfache
Beispiele? Um geschwungene, anspruchsvollere Kurven in die Runde zu integrieren, hat Lobers Streckenteile zerschnitten und mit einem größeren Radius angeordnet. Ein zweites Element ist der Boxenstopp: „Unsere Software ist so eingestellt, dass jedes Auto pro Runde sieben Prozent Akku verliert.“ Nach spätestens 14 Runden muss jeder Rennfahrer einmal auf die Außenbahn zum Tanken. Und damit beim Carrera-Fahren niemand außen vor bleiben muss, entwickelt Lobers auch Steuerungsalternativen für Menschen mit Behinderung, die einen Standard-Gasdrücker nicht bedienen können: Durch die Zusammenarbeit mit zwei weiteren Experten kann der Verein im Februar dieses Jahres eine weltweit einzigartige Bedienung einweihen, bei der eine Infrarotkamera Augenbewegungen in Geschwindigkeit umwandelt (das Abendblatt berichtete).
Der Boennering möchte ein Verein für jeden sein, der sich für die kleinen Vierräder begeistert. Für einen Highend-Wagen legen Profis bis zu 400 Euro auf den Tisch. „Die werden bei uns aber nicht gefahren“, stellt Martin Redel klar. Hier sei jeder mit einem Raser für 70 Euro voll dabei. Anspruchsvolle Rennwettbewerbe, die Einsteigern wie jahrzehntelangen Carrera-Fahrern Freude bereiten – das ist der Spagat, der dem Team aus Bönningstedt bis hierhin gelungen ist.
Rennen am Boennering verlangt Konzentration
Er selbst, der Hobbyfahrer aus dem Dänemark-Urlaub, hat durch die eigene Bahn einen neuen Bezug zum großen Motorsport entwickelt: „Seitdem ich Carrera fahre, habe ich viel mehr Respekt vor der Formel 1.“ Ein zehnminütiges Rennen am Boennering verlange bereits volle Konzentration. „Danach bin ich erst mal fertig. Und die Formel-1-Fahrer haben ja noch eine ganz andere körperliche Belastung.“
Am Ende können übrigens weder er noch sein Essener Rivale Stein ihre gesteckten Ziele erfüllen: Durch Reparaturarbeiten wegen Motorproblemen muss Redel aussetzen, landet auf Rang neun. Stein belegt Platz 13.