Der Henstedt-Ulzburger Autor war mit seinem VW-Bus in Deutschland unterwegs und hat ungewöhnliche Männer und Frauen besucht.
Wie ticken die Deutschen in unseren bewegten Zeiten? Was bewegt sie? Wie kommen sie klar? Welche Nischen haben sie sich geschaffen, um sich ganz persönlich zu entfalten? Der Henstedt-Ulzburger Buchautor und Journalist Oliver Lück ist diesen Fragen nachgegangen und hat die Republik bereist. Für sein drittes Buch hat er eine Reise von Mensch zu Mensch gemacht und interessante Geschichten gesammelt. In jedem Bundesland eine: „Buntland, 16 Menschen, 16 Geschichten“ heißt sein Buch, das in diesen Tagen im Rowohlt Verlag erscheint.
Oliver Lück, Jahrgang 1972, ist ein Menschensammler. Das macht er schon seit vielen Jahren. Zunächst für Zeitschriften und Online-Magazine, seit einigen Jahren schreibt er auch Bücher, wobei er seine Kreise eingeengt hat. In „Neues vom Nachbarn“ stellt er interessante Menschen aus Europa vor (2012), für „Flaschenpostgeschichten“ (2016) machte er sich im Ostseeraum auf die Spur von an den Strand gespülten Briefen hinter grünem Glas. Jetzt war er mit seinem VW-Bus „nur“ in Deutschland unterwegs, immer mit seinem Hund Locke, der vor drei Monaten verstorben ist.
Mit den ersten beiden Büchern hat der Henstedt-Ulzburger offenbar das Interesse vieler gefunden: Die beiden Sachbücher erreichten hohe Auflagen und werden bis heute viel verkauft. Viele Lück-Lesungen in ganz Deutschland locken interessierte Leser in Massen an. Einen ähnlichen Erfolg erwartet der Verlag Rohwolt offenbar auch von „Buntland“: Das Taschenbuch geht mit einer fünfstelligen Erstauflage an den Start. Davon können viele andere Buchautoren nur träumen – und Oliver Lück kann von dem Buchgesamtpaket (Verkauf und Lesereisen) seine inzwischen fünfköpfige Familie gut ernähren. Auch das kommt in der deutschen Autorenlandschaft nicht so häufig vor. Zwei Jahre Zeit hat sich Oliver Lück für sein neues Buch gelassen. Es sind ungewöhnliche Menschen, mit denen er Kontakt aufgenommen hat und deren Leben er beschreibt. Einige kannte er bereits aus seinem langjährigen Reporterleben. Zum Beispiel einen Liberianer, der als blinder Passagier an Bord eines Frachters von der Elfenbeinküste nach Hamburg reiste und dort nun ein geheimes Leben führt: Seit 17 Jahren lebt er im Untergrund, weil er in der Hansestadt kein Bleiberecht hat. „Ich bin der schwarze Mann“, sagt er in dem Buch. „Ich bin das Fremde in Person, selbst in einer internationalen Stadt wie Hamburg.“ Vor 15 Jahren hatte Oliver Lück bereits über diesen Mann geschrieben, jetzt hat er ihn wieder aufgesucht und ihn über seine Lebensgeschichte befragt.
Für seine Schleswig-Holstein-Geschichte hat sich Oliver Lück einen Lebenstraum erfüllt: Er hat Samson aus der Sesamstraße besucht. Peter Röders aus Idstedt, einem Dorf zwischen Flensburg und Eckernförde, steckte viele Jahre im Samson-Kostüm, spielte und sprach den Zottelbär, jetzt sind er und seine Frau selbst begnadete Puppenbildner, die Fantasiewesen für viele Auftraggeber herstellen. Nebenbei erfuhr Oliver Lück in Idstedt: Puppenspielen ist ein Knochenjob.
Die Politik spielt in den „Buntland“-Geschichten eine unterschwellige Rolle. „Das hing immer mit den Lebensgeschichten der jeweiligen Personen zusammen“, sagt Oliver Lück. „Ich wollte aber kein politisches Buch schreiben.“ Als er zum Beispiel den Bewohner einer uralten Mühle in Baden-Württemberg aufsuchte, stellte sich heraus, dass dieser einst Kontakte zur RAF hatte, selbst aber nicht den Weg der Gewalt wählte.
Für Niedersachsen hat er eine schwer behinderte Umweltaktivistin, die ihren Protest zum Beruf gemacht hat, aufgesucht. Ein Berufsornithologe aus Sachsen ist frustriert über den Bau eines Windparks am Nationalpark Wattenmeer, obwohl er genau in diesem Gebiet für ein Umweltgutachten an einem Nachmittag 45.000 Weißwangengänse gezählt hat. In Sachsen-Anhalt versteht eine Frau die Welt nicht mehr, weil in ihrem Dorf so viele auf die AfD hereingefallen sind: 27,2 Prozent bei der Bundestagswahl ließ sie aus allen Wolken fallen.
Eigentlich hat Oliver Lück die ehemalige Lehrerin wegen ihres Hobbys aufgesucht: Sie hatte extra Englisch gelernt, um im Internet eine beliebte amerikanische TV-Serie aus den 90er-Jahren weiterzuspinnen. Inzwischen hat sie Millionen Leser auf der ganzen Welt, und die damalige Hauptdarstellerin lud sie sogar zu einer exklusiven Party in ihre Hollywood-Villa ein.
Ein Mann aus Brandenburg unternahm mehrere Fluchtversuche aus der DDR, landete im Zuchthaus, wurde von der Bundesrepublik freigekauft und lebt seit 20 Jahren wieder freiwillig in seiner alten Heimat. Dazwischen führte er ein abenteuerliches Leben, zwischen Südsee und Deutschland und erlebte mehr, als ein normaler Mensch verkraften kann. Im Saarland besuchte Oliver Lück Menschen, die mit einem Hüpfer von Deutschland nach Frankreich und umgekehrt wechseln können, in Berlin einen Imbissbudenbesitzer auf einer Verkehrsinsel, in Nordrhein-Westfalen einen Mann, der seit 50 Jahren auf der Straße lebt und Kuscheltiere tauscht, in Rheinland-Pfalz einen Winzer, der Pferd statt Traktor benutzt und damit erstaunliche Ergebnisse erzielt. „Ich habe für alle Gesprächspartner eine gewisse Sympathie entwickelt“, sagt Oliver Lück. „Von allen habe ich eine Menge gelernt.“ Er findet es gut, dass sein Buch in diesen stürmischen Zeiten erscheint. „Es ist unser Land, und jeder hat es selbst in der Hand, was er darauf macht.“
Und es geht weiter: 2019 erscheint bei Dumont von Oliver Lück ein Bildband über seine Reisen und Begegnungen mit Menschen.
Oliver Lück, „Buntland – 16 Menschen,
16 Geschichten“, rororo, 253 Seiten, 10,99 Euro. ISBN 978-3-499-63350-8. Oliver Lück liest unter anderem in Bad Bramstedt (28. September), Henstedt-Ulzburg (26. Oktober), Quickborn (13. November) und Wahlstedt (29. November). Alle Termine seiner Lesereise unter www.lueckundlocke.de im Internet.