Auch im Kreis Segeberg wollten die Nationalsozialisten Waffen bauen – die Bemühungen hatten unterschiedliche Erfolge
Der Kreis Segeberg und der Zweite Weltkrieg: Auch hier wollten die Nationalsozialisten Waffen bauen oder zumindest Material zum Antrieb von Waffen herstellen lassen – die Bemühungen hatten unterschiedliche Erfolge. In zwei Fällen klappte es, in einem anderen Fall wurden die Bemühungen eingestellt, bevor das erste Kampfmittel hergestellt werden konnte. Dadurch entging Bad Segeberg dem Schicksal, in einem Atemzug mit Peenemünde, wo die Großrakete V2 mit Flüssigkeitstriebwerk zur Einsatzreife gelangte, genannt zu werden.
In Peenemünde wurde flüssiger Sauerstoff in Verbindung mit hochprozentigem Alkohol zum Antrieb der „Wunderwaffe“ V2 hergestellt und verwendet. In Bad Segeberg sollte reiner Sauerstoff hergestellt und verflüssigt werden, um damit unter anderem kleine U-Boote, aber auch Raketen anzutreiben. Im Herbst 1944 stellte sich für die Marine die Frage, ob ausgerechnet im Segeberger Kalkberg eine Fabrik zur Herstellung von flüssigem Sauerstoff untergebracht werden kann. Die Weitläufigkeit, die Uneinsehbarkeit des Höhlenlabyrinths und die Luftschutzsicherheit erschienen den Machthabern ideal.
„Bad Segeberg, Aktenzeichen 4 – Kommando der K-Verbände“ steht auf der Akte, die erst 2006 wieder aufgefunden wurde. „K-Verbände“ steht als Abkürzung für Kleinkampfverbände der Kriegsmarine. So wurden verschiedene Einheiten der deutschen Kriegsmarine bezeichnet, die im Seekrieg des Zweiten Weltkriegs über Kampfmittel von geringer Größe verfügten. Das waren in erster Linie bemannte Torpedos, Kampfschwimmer, Kleinst-U-Boote und Sprengboote.
Segeberger Kalkberghöhlen wurden eingehend untersucht
Am 9. Oktober 1944 besichtigte der Generalbevollmächtigte des Admirals der K-Verbände, der Lübecker Diplom-Ingenieur W. Tamm, die Segeberger Höhlen und kommt zu diesem Ergebnis: Die Höhlen eignen sich nicht zur Aufnahme von Sauerstoff-Anlagen, da die Höhe nicht ausreichend ist, die Höhlenräume zu klein sind, die Gesteinsschicht darüber viel zu gering und zu bröckelig ist, so dass mit Einsturz gerechnet werden muss. Es wäre eine Halle von 35 Metern Länge, sieben Metern Breite und acht Metern Höhe erforderlich. Landesgeologe Professor Gipp hielt im November 1944 eine Sauerstofffabrik in der Kalkberghöhle ebenfalls für nicht realisierbar, weil nach einem eventuellen Bombenabwurf Wasser des nur 60 Meter entfernten Kleinen Segeberger Sees in die Höhlen eindringen könnte.
Diese als „geheim“ eingestuften Schriftwechsel machen deutlich, dass Bad Segeberg in den letzten Kriegsmonaten vermutlich einer Katastrophe entgangen ist: Wäre die Sauerstofffabrik in den Kalkberghöhlen gebaut worden, hätten die Alliierten die Kreisstadt vermutlich nicht verschont.
Im benachbarten Wahlstedt wurde die Marineleitung jedoch fündig. Die Geschichte der Stadt Wahlstedt ist eng mit der Zeit des Nationalsozialismus und den Vorbereitungen auf den Weltkrieg verbunden. Im Jahr 1937 begann in dem Ort der Aufbau des Marine-Artillerie-Arsenals Fahrenkrug, das zur Vergrößerung des Kieler Marinezeugamtes gebaut wurde. Der Name des Nachbarortes Fahrenkrug wurde gewählt, weil vom dortigen Bahnhof das Anschlussgleis zum Arsenal gelegt wurde.
Auf einer Fläche von 314 Hektar, umgeben von einem zehn Kilometer langen und zwei Meter hohen Maschendrahtzaun, wurde bis 1945 Küsten- und Schifffahrtsartilleriemunition in großen Mengen aus zugelieferten Einzelteilen produziert. Leere Hülsen wurden wiederhergestellt, Geschütze der Küstenartillerie umgerüstet und instand gesetzt. Das Marine-Artillerie-Arsenal Fahrenkrug-Wahlstedt hatte im Mai 1945 eine Gesamtbelegschaft von 1991 Personen – viele von ihnen Zwangsarbeiter. Begonnen hatte die Produktion 1939 mit 30 Angestellten, 300 männlichen und 200 weiblichen Arbeitern – schon ein Jahr später waren es doppelt so viele.
In Wahlstedt wurden von 210 Bunkern 165 gesprengt
Am 3. Mai 1945 besetzten britische Soldaten das Arsenal, im Frühjahr 1946 begannen die Sprengungen der Bunker, die erst 1953 endeten. Die meisten Ziegelbauten, die Versorgungsanlagen und Gleisanlagen blieben verschont. Die restlichen Munitions- und Pulvervorräte wurden bis 1953 vernichtet, sämtliche Einrichtungsgegenstände aus den Produktions-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäuden demontiert und der Baumbestand um die einzelnen Gebäude abgeholzt und nach England verschifft.
Das Hamburger Abendblatt berichtete am 15. November 1948: „Das ehemalige Marine-Artillerie-Arsenal Wahlstedt bei Segeberg hat sich in ein friedliches Miniatur-Industriegebiet verwan-delt. Vor etwa einem Jahr gab die Militärregierung einen Teil der Gebäude frei, nachdem von den 210 Bunkern 165 gesprengt und die übrigen entfestigt wurden. In diesen Hallen, Häusern und Bunkern sind seitdem 12 Betriebe eingerichtet worden.“
Von den etwa 100 Gebäuden des Marine-Artillerie-Arsenals stehen noch 70. Sie werden bis heute von vielen Industriebetrieben genutzt. Von den einst 233 Munitionshäusern, im Volksmund Bunker genannt, im Segeberger Forst existieren nur noch sieben. Sie befinden sich im Besitz von Unternehmen und Privatpersonen. In einem der Gebäude, dem Wasserwerksbunker, befindet sich heute ein Infozentrum mit vielen Exponaten aus der Geschichte des Arsenals sowie seiner Nutzung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Auch die Gemeinde Trappenkamp war für die Marine einst ein strategisch wichtiger Ort. Das Marinesperrwaffenarsenal Trappenkamp wurde 1936 als Erstes seiner Art in Dienst gestellt. Hier wurden Sperrwaffen zusammengebaut und so gewartet, dass sie kriegsfertig und sofort einsatzbereit waren.
Zu den „Sperrwaffen“ zählen alle in Betracht kommenden Seeminenarten, Wasserbomben-Sperren wie Netze, Trossen- und Balkensperren, Minensuch- und Räumgeräte zur Beseitigung von Minen, Schiffsschutzgeräte, die Minen gefahrlos beseitigen oder die Detonation schwächen sollen, sowie Sprenggeräte. Das Arsenal bestand aus 95 Minenlagerhäusern, 17 Sprengbüchsen-häusern, 13 Zündlagerhäusern, drei Minenarbeitshäusern, drei Munitionsarbeitshäusern, drei Großzubehörhäusern und drei Zubehörhäusern.
In Trappenkamp existieren noch 80 Hochbunker
Bedingt durch die große Anzahl von Flüchtlingen wurden die Häuser der ehemals militärischen Anlage nach Kriegsende zu Wohnungen umgebaut. Heute gibt es noch etwa 80 Hochbunker im Ort, in denen zum Beispiel eine Physiotherapie- und eine Arztpraxis untergebracht sind. Außerdem befindet sich der Bewegungsraum eines Kindergartens in einem ehemaligen Bunker, ein anderer beherbergt als Museum Exponate aus der Geschichte der Gemeinde.
Ungeklärt ist noch, ob es V1-Flugbomben in Kaltenkirchen gegeben hat. Ein französischer Zeitzeuge, inzwischen 96 Jahre alt, erinnert sich, in der Nähe des Konzentrationslagers Kaltenkirchen-Springhirsch eine V1 inklusive Abschussrampe gesehen zu haben. Tatsächlich gibt es einige Hundert Meter nordöstlich des Lagers eine unerforschte Rampe und einen kleinen Bunker im Wald. Der Beleg für eine V1-Stellung mitten in Schleswig-Holstein wäre auch für Historiker eine Neuigkeit.