Hartenholm. Zu dem Motorsport-Ereignis werden ab Donnerstag auf dem Flugplatz Hartenholm 40.000 Besucher erwartet. Ein Ortstermin.
Und jetzt ist da auch noch die Sache mit den Toilettenhäusern, sagt der Nachbar. Sie haben das Material schon zurechtgelegt, nicht irgendwo auf der anderen Seite des Feldes, sondern kaum 50 Meter vor seiner Einfahrt. „Das ganze Bier muss nach dem Trinken irgendwo hin“, sagt der Mann, und er wird alles tun, damit es nicht seinen Vorgarten trifft. „Nicht wegrennen, Wache halten“. Noch sechs Tage bis zur Invasion, so, wie er das sieht.
Auf der anderen Seite des Ackers im Kreis Segeberg werden die Leitplanken an schwere Betonpoller geschraubt. Der Flugplatz Hartenholm wächst zur Arena für ein Rennspektakel heran – unter der Flagge der nichtsnutzig klempnernden, „Bölkstoff“ trinkenden Comicfigur Werner aus der Feder von Zeichner Rötger Feldmann. 40.000 Besucher werden ab Donnerstag zu dem Festival kommen, für „beinhartes“ Bier, Hardrock, Motorenröhren; für „dengel, dengel, dengel“.
Man mache schon ein „besonderes Fass auf“, sagt der Produktionsleiter Bastian Ohrtmann, selbst im Vergleich zum Metal-Inferno von Wacken, an dem er noch Wochen zuvor mitwirkte. Ohrtmann ist für den Aufbau von „Europas größtem Motorsportfestival“ verantwortlich – und er steht unter Beobachtung. Schon 1988 lud „Werner“ seine Jünger für ein PS-Festival in den Landkreis, geplant waren 100.000 Besucher, es kamen mehr als doppelt so viele. Die Sause endete im Chaos.
„Ein lautes, aber seriöses Fest“
Für Ohrtmann geht es nun darum, „einfach den Job richtig zu machen“, ein lautes, aber seriöses Festival abzuhalten. Für die 2000-Seelen-Dörfer Fuhlenrüe und Hartenholm geht es um mehr, um die Frage, ob sie das nächste Wochenende herbeisehnen oder bloß vorüberwünschen sollen; darum, ob diesmal wirklich alles anders ist.
Der Nachbar hat gesagt, man solle mal den Chef der Kfz-Werkstatt im Ort fragen, der könne vielleicht mehr zu dem Thema sagen. Die direkten Nachbarn des Festivalgeländes haben eine Hamburger Anwältin eingeschaltet, Klage erhoben gegen das Festival. Sie wurde abgelehnt. In einem weiteren Verfahren entschied das Verwaltungsgericht Schleswig am Freitag, dass das Event nachts nicht nennenswert mehr Lärm machen dürfe, als ein Fernseher auf Zimmerlautstärke. Bastian Ohrtmann sagt, er könne Sorgen „total nachvollziehen“ – die Gruppe der Gegner sei aber klein.
Der Werkstattchef kommt gerade von einer Probefahrt, spurtet im Karohemd über seinen Autohof. „Da kann ich gar nichts zu sagen, da bin ich nicht eingebunden“, ruft er, genau wie der Nachbar am Feld will er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Auf dem Dorf kann es schwierig sein, sich klar zu positionieren, vor allem, wenn der Kampf offenbar schon verloren ist.
Ein Mitarbeiter der Werkstatt sagt zwischen zwei Schraubendrehungen, man könne so ein Großevent, dass wie ein Raumschiff in der Gemeinde landet, immer von zwei Seiten sehen: „Meine Jungs gehen auf jeden Fall hin, da ist ja endlich mal was los hier.“ Der Chef ruft im Weggehen dann doch noch, man müsse sich bloß die Geschichten der alten Dorfbewohner wie Hans Wrage gegenüber hören, aus jenen Tagen 1988. „Der saß damals tagelang mit der Schrotflinte in der Küche.“
Plötzlich schliefen Rocker in den Scheunen
Hans Wrage empfängt mit einem warmen Lächeln und plattdeutschem Snack. Er hat fast sein ganzes Leben hier verbracht, die anliegenden Wälder sind das Revier des Hobbyjägers, die aufgestellten Zäune von 40 Kilometern Länge entlang der Felder brächten schon das Wild und die Natur durcheinander. „Ordentlich aufgebaut wurde das damals auch“, sagt Wrage. „Aber die Menschenmasse war das Problem.“
Auf einmal war in jenem Spätsommer sein Vorgarten voller Zelte, sagt Wrage. Die Bierseligen hätten die Blumen abgeschnitten und die Zäune abmontiert, um sie als Feuerholz zu benutzen. Auf seinem Scheunenboden schliefen plötzlich 60 Rocker. „Hier waren auch berittene Polizisten stationiert, die wurden verjagt und haben die Pferde zurückgelassen. Die musste dann anschließend eine ganze Hundertschaft da rausholen.“
Die Situation war da schon außer Kontrolle geraten, im Dorf erzählen sie sich noch immer die Geschichten, wie überall nur noch Menschen wuselten und der Verkehr zusammenbrach. Stockbetrunkene, die im bis nach Hamburg reichenden Stau steckten, seien einfach seitwärts aus ihren Autos herausgekippt. Die Polizisten hätten sie wieder hereingerückt, wachgeschüttelt und bloß weiter auf den Weg geschickt.
Es gibt ältere Herren, die noch immer stolz davon erzählen, wie sie sich samt Motorrad mit den Festivalbesuchern verbrüderten. Bei allem Chaos gab es keine Verletzten, die Schäden wurden später ersetzt. Auch die Bauern in Fuhlenrüe haben nach einem Sommer der Dürre eine zusätzliche Einnahme, da sie ihr Land für die Zeltstadt der Festivalbesucher am nächsten Wochenende zur Verfügung stellen. Am Schaufenster der Bäckerei in Hartenholm kleben schon Plakate mit Werner-Spezial-Angeboten.
Auch der Bürgermeister ist innerlich zerrissen
Der Produktionsleiter Bastian Ohrtmann streift am Donnerstagmittag ruhig über das Gelände. Alle Auflagen wurden erfüllt und alles genau geplant. „Früher hat man einfach Strohballen als Streckenbegrenzung da hingelegt. Das kann man mit heute nicht mehr vergleichen.“ Der Zeichner Feldmann wird bald mit seinem Motorrad, dem „Red Porsche Killer“ erwartet. Er bringe auch einen Schamanen für die Gnade der Götter beim großen Rennen (siehe Infokasten) mit, ganz im Ernst.
Am Büro des Bürgermeisters von Hartenholm, Karl-Heinz Panten, schieben sich bereits regelmäßig Mannschaftswagen der Polizei vorbei. Die Einsatzdirektion in Bad Segeberg teilt mit, dass bei ihnen seit Monaten die Vorbereitungen liefen. Auch insgesamt 25 Feuerwehren, der Zoll, Ordnungsamt sollen für einen „friedlichen und geordneten Ablauf“ sorgen.
Alles im Fluss also? Das Dorf Hartenholm sei noch gespalten, sagt Bürgermeister Panten. „Niemand will den Organisatoren die Professionalität absprechen, trotzdem bleiben Unwägbarkeiten.“ Sein Amtskollege in Fuhlenrüe war schnell vom Festival begeistert, Panten ist vorsichtiger. „Es ist auch nicht so, dass wir alle ohne diese Veranstaltung nicht wüssten, wohin mit unserer Zeit.“ Wie ernst es wird, wird er am Donnerstag wissen, wenn die ersten Besucher anreisen. „Im besten Fall geht es vorbei, ohne dass wir noch Jahrzehnte darüber sprechen müssen.“