Henstedt-Ulzburg. Anwohner der Lindenstraße in Henstedt-Ulzburg fordern Reduzierung des Bauvorhabens. Verwaltung und Politik stehen hinter dem Projekt.
Der geplante Neubau einer Flüchtlingsunterkunft in Henstedt-Ulzburg sorgt in der direkten Nachbarschaft immer mehr für Unmut. Auf einer Fläche im Westteil der Großgemeinde, zwischen der Lindenstraße und dem Lohekamp, sollen bestehende Schlichtwohnungen durch ein zweigeschossiges Hauptgebäude ersetzt werden. Vorgesehen ist, dass hier ab 2020 bis zu zehn Familien leben, maximal 52 Personen. Das Vorhaben ist eines der Projekte, die am Dienstag (18.30 Uhr, Rathaus, Raum 1.22) Thema sind auf einer gemeinsamen Sitzung des Umwelt- und Planungsausschusses mit dem Sozialausschuss. Im zweiten Fall geht es ebenfalls um ein neues Wohngebäude, allerdings für Einzelpersonen, im Kirchweg, wo bis zu 34 Menschen leben könnten. Die Politik muss über Bauvarianten für beide Maßnahmen befinden, die Investitionen würden knapp 5,6 Millionen Euro betragen.
Doch an der Lindenstraße werden sich die Entscheidungsträger mit deutlicher Kritik und Bedenken der Anwohner auseinandersetzen müssen. Ausdrücklich eine Option: der Gang vor ein Gericht. „Wir fühlen uns überrumpelt. Ende des letzten Jahres kam es an die Öffentlichkeit, dass der Bebauungsplan geändert werden soll. Die Vorgaben, an die wir uns noch halten mussten, sind komplett ausgehebelt worden“, sagt Finja Böhme (35). Die Lehrerin, ihr Mann Stefan (35, IT-Manager) und Sohn Tom (3) leben mit Blick auf die alten Schlichtwohnungen – diese sind marode, eine Sanierung gilt als nicht mehr wirtschaftlich. Sieben Personen sind derzeit hier untergebracht, auch für Obdachlose ist der Standort bisher vorgesehen.
In den vergangenen Jahren haben die Böhmes und weitere Familien in der Umgebung Einfamilienhäuser gebaut. Viele sind aus Norderstedt nach Hen-stedt-Ulzburg gezogen. So auch Serkan Sever (40) und seine Frau, die im Herbst Neubürger wurden. Der IT-Projektmanager erhebt schwere Vorwürfe. „Ich habe mich bei meiner Kaufentscheidung auf den Bebauungsplan verlassen, welcher dort zwei Einfamilienhäuser vorsieht. Gerne auch mit Schlichtwohnungen.“ Jetzt, so sagt er, befürchtet er, bald im Garten vor einer Wand zu sitzen. „Ich fühle mich ein Stück weit hintergangen, wenn ein B-Plan so nach Gutdünken geändert werden kann. Die Flüchtlingsthematik gibt es nicht erst seit gestern. Warum wird erst jetzt reagiert nach der Fertigstellung unserer Häuser?“ Was er andeutet: Im Rathaus habe es schon länger den Plan gegeben, das Grundstück, das der Gemeinde gehört, entsprechend zu nutzen. Hätten die Severs diese Information bereits früher erhalten, dann wären sie vielleicht gar nicht Henstedt-Ulzburger geworden – oder hätten zumindest in den Kaufverhandlungen ganz andere Argumente gehabt.
Gemeinde benötigt ab 2020 Wohnraum für 177 Personen
Bürgermeister Stefan Bauer kennt die Anwohner, teilweise waren sie schon zu Gesprächen bei ihm. Er spricht von einer gesellschaftlichen Aufgabe, die erfüllt werden müsse. „Wir haben eine Verpflichtung, Flüchtlinge unterzubringen. Am Beckersbergring haben wir eine Situation, die wir lösen müssen. Dort leben 177 Personen, die Mietverträge laufen Ende 2019 aus.“ Vergleichbare Projekte werde es auch in anderen Ortsteilen geben, beispielsweise an der Norderstedter Straße auf dem Rhen.
Aus Sicht der Verwaltung und auch der Politik geschieht das unter dem Gesichtspunkt einer dezentralen Unterbringung. Alle Migranten in einem Quartier zu haben, will niemand, auch die Polizei rät davon eindringlich ab aus Sorge vor einer „Ghettoisierung“. Die Befürchtung jedoch, dass die Lindenstraße ein potenzieller Schwerpunkt für Unruhe und Kriminalität werde, teilt Bauer nicht. „Es ist kein Brennpunkt, es gibt keine signifikante Zahl von Straftaten. Wir hatten Einzelfälle, aber eher in Bezug auf Obdachlose.“
Die Anwohner betonen, dass sie sich nicht pauschal gegen Flüchtlingsfamilien in der Nachbarschaft aussprechen. Wohl aber gegen die Größenordnung. Ein dezentrales Konzept können sie nicht erkennen. „Die Entscheidung ist falsch, 52 Menschen unter ein Dach zu stopfen. Es ist ein toller Ansatz, die Gemeinde bunter machen zu wollen, doch das ist nur ein Fleck“, sagt Serkan Sever. „Die Häuser werden uns vor die Nase gesetzt. Wir werden nicht ansatzweise beteiligt, haben kein Mitspracherecht“, fügt Finja Böhme hinzu.
Sie haben einen Gegenvorschlag: Es könnten zwei Häuser gebaut werden für insgesamt vier Familien. Das würde in die vorhandene Struktur passen. Sever: „Wir müssen langfristig denken. Wir leben noch in 10, 20, 30 Jahren hier.“
Notfalls soll ein Gericht dafür sorgen, dass der Neubau kleiner ausfällt. Die Anwohner haben bereits eine Kanzlei engagiert, die in Hamburg genau für solche Fälle bekannt ist: Klemm & Partner. Gero Tuttlewski, einer der Partner, vertritt als Fachanwalt für Baurecht seit Jahren Anwohner, die sich insbesondere in der Hansestadt gegen Flüchtlingsunterkünfte wehren – und hat damit wiederholt Erfolg gehabt, sodass Bauvorhaben zumindest deutlich reduziert werden mussten.
CDU schlägt kleinere Variante für maximal 40 Personen vor
In den politischen Fraktionen gibt es grundsätzlich Unterstützung für das Projekt und auch den Standort. Man müsse „Rückgrat zeigen“, sagt etwa Karin Honerlah (WHU). Michael Meschede von der CDU schlägt zumindest eine kleinere Variante vor. „Das würden wir begrüßen. 40 Personen ist eine Größenordnung, die wir uns auch woanders vorstellen können. Wir wollen keine Zusammenballung an einem Ort.“ Für Horst Ostwald (SPD) ist klar: „Wir werden Probleme bekommen, wo auch immer wir es machen. An der Lindenstraße werden Familien untergebracht. Ich glaube nicht, dass es ein Schwerpunkt für Unruhe wird.“ Ähnlich sieht es Jens Iversen (BfB): „Wir müssen da durch. Das Gebäude an der Lindenstraße ist so baufällig, dass wir neu bauen müssen. Und wir müssen grundsätzlich die Problematik mit der Unterbringung lösen.“