Kisdorf. Als Betreuerin hat Susanna M. Farkas in Senioreneinrichtungen gearbeitet. Jetzt hat sie das Erlebte aufgeschrieben.
Als Sängerin eines ungarischen Ensembles, das sich Operetten-, Schlager- und Musicalmelodien verschrieben hatte, war Susanna M. Farkas immer wieder in Seniorenheimen zu Gast. Die Begegnungen mit alten Menschen gefielen der Frau mit ungarischen Wurzeln, die erst mit 33 Jahren in die Fußstapfen ihrer Mutter, einer Opernsängerin in der ehemaligen DDR, getreten ist. Bei diesen Auftritten hat sie eine Frage besonders beschäftigt: Wie blicken Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen, auf das zurück, was hinter ihnen liegt?
Um Antworten auf ihre Fragen zu finden, die sie schon in ihrem Philosophiestudium beschäftigt hatten, ließ sie sich nach der Novellierung des Pflegegesetzes zur Betreuerin für eine sogenannte Aktivierung der Senioren ausbilden. Sie arbeitete in einem Pflegeheim und in einer Senioren-Residenz.
In beiden Einrichtungen folgte auf ihre Neugier und ihren Tatendrang schnell Ernüchterung. „Ich habe gern dort gearbeitet, weil ich viel von den alten Menschen lernen konnte. Aber es tat unendlich weh, wenn man nur mal kurz ,Guten Tag‘ sagen konnte. Als Betreuer ist man, wie das Pflegepersonal auch, unter ständigem Zeitdruck“, sagt Susanna M. Farkas.
Musik liegt der gebürtigen Ungarin im Blut
Sie wurde zur Einzelbetreuung eingesetzt. Zehn Minuten lang sollte sie die Senioren „aktivieren“, danach war der nächste dran. „Das Wichtigste, was Senioren brauchen, ist Ruhe. Wenn ich dort gehetzt ankomme, überträgt sich das auf die ganze Station“, erzählt die Buchautorin, die dennoch versucht hat, ein wenig Abwechslung in den Alltag der Menschen zu bringen und ihnen zuzuhören. „Die meisten sind einsam. Um manche kümmern sich deren Kinder, um viele aber auch nicht“, bedauert sie und schildert den Fall einer Frau, der sie bewegt hat. Mit Anfang 40 habe sie einen Schlaganfall gehabt und sei bereits 20 Jahre im Heim gewesen. „Es kam nie jemand zu Besuch. Dabei hat die Frau sechs Kinder.“
Etwas sei ihr bei ihrer Tätigkeit als Betreuerin aufgefallen: „Mit Senioren, die noch Besuch von ihren Angehörigen bekommen, geht das Pflegepersonal ganz anders um.“ Ihre Anklage stützt sie auf Erlebnisse. So habe eine alte Frau nach Kaffee verlangt. Die Antwort, die sie darauf bekommen habe, sei „Wie heißt das Zauberwort?“ gewesen. „Ohne ,bitte’ gab es für sie nichts. So darf man mit einem alten Menschen nicht reden“, sagt Farkas überzeugt.
Das Buch
In vielen Gesprächen habe sie Schicksale erfahren und die Erkenntnis: „Das Sterben beginnt, wenn alte Menschen alles aufgeben müssen, um in ein Heim zu gehen. Sie haben Angst davor, ausgeliefert zu sein, nichts mehr alleine tun zu können und auf andere angewiesen zu sein. Vor dem eigentlichen Tod aber haben sie keine Angst.“ Dennoch liege es ihnen auf der Seele, über den Tod reden zu können.
„Untereinander reden sie über Krankheiten, nicht aber über das, wovor sie wirklich Angst haben. Keiner will seine Schwächen zugeben“, sagt Susanna M. Farkas.
Der Leidensdruck und die Einsamkeit seien eine schwere Last für die Senioren, die aber auch für Pfleger und Betreuer nur schwer zu ertragen sei. „In den Zimmern ist unglaubliches Leid. Diese Menschen stehen vor der größten Aufgabe des Lebens und werden allein gelassen. Weit und breit ist kein Pastor oder Seelsorger zu sehen, der sie begleitet“, klagt Farkas an. Neben dem Wunsch, dass auch jüngere Menschen über ihr Leben nachdenken, gab es für sie einen weiteren Grund für ihr Buch: „Ich möchte den stummen Leben in den Heimen eine Stimme geben, damit sie erhört werden.“