Norderstedt . Sicherheit der Kinder: Eltern, Schulen und die Polizei stehen oft zwischen Vernunft und Hysterie – wie zwei aktuelle Fälle zeigen.

Die Sorge mancher Eltern um ihre Kinder verwandelt sich schnell in nackte Angst, wenn Geschichten wie diese kursieren. Berichtet wird im Kreis der Eltern, dass am Donnerstag, 30. November, gegen 15 Uhr ein unbekannter Mann hinter dem Zaun des Pausenhofs der Grundschule Friedrichsgabe aufgetaucht sei, das Gesicht verdeckt mit einem Tuch. Er habe den spielenden Kindern von Hundewelpen in seinem Auto erzählt und vorgeschlagen, dass sie doch mal mitkommen sollen. Kinder sollen diese Geschichte glaubhaft berichtet haben.

In den Diskussionsforen sozialer Netzwerke potenziert sich die Geschichte nach dem Stille-Post-Prinzip – und wird immer dramatischer. Am Ende erreichen Hinweise die Redaktion des Abendblattes, dass Kinder von einem unbekannten Mann ins Auto gerissen wurden.

Die Polizei geht allen Hinweisen nach

Zwei Tage zuvor, am Dienstag, 28. November, gegen 10 Uhr, laufen Kinder der Grundschule Heidberg aufgeregt vom Pausenhof zu Lehrerin Melanie Laubach. Sie berichten ihr von einem Mann mit Maske, der im Moorbekpark stünde. Laubach kontrolliert das, erkennt tatsächlich in einiger Entfernung einen Mann mit „etwas weißem im Gesicht“. Sie versucht, ihn zur Rede zu stellen, der Mann entfernt sich und verschwindet schließlich. Die hinzugerufene Polizei kann ihn auch nicht finden. Laubach verstärkt die Aufsicht auf dem Pausenhof.

Unter manchen Eltern, die sich im Internet austauschen, wird aus dem Mann mit der Maske ein Horrorclown, der die Kinder über eine Dreiviertelstunde lang mit einem Messer bedroht habe. Wenn es um die Sicherheit der Kinder geht, befinden sich Eltern, die Lehrer an den Schulen und die Beamten der Polizei im Spannungsfeld zwischen begründeter Sorge und unkalkulierbarer Hysterie. Einerseits muss jedem noch so unwahrscheinlichen Hinweis auf mögliche Gefährder nachgegangen werden. Andererseits wird die Verbreitung von unbestätigten Gerüchten und die übertriebene Angst verunsicherter Eltern dann erst zum eigentlichen Problem.

Die Grundschule Friedrichsgabe
Die Grundschule Friedrichsgabe © HA | Andreas Burgmayer

„Für uns ist das eine schwierige Situation, wenn sich auf Facebook verbreitet, dass der Mitschnacker unterwegs ist“, sagt Hauptkommissar Frank Schlichting, der das Sachgebiet Kriminalitäts-Prävention bei der Polizeidirektion Segeberg leitet. Es sei schwierig, die Hysterie mancher Eltern wieder einzufangen. „Ich kenne einen Fall, da hatte der Mitschnacker plötzlich einen Namen und im Netz wurde gezielt gegen den Mann gehetzt – bis sich herausstellte, dass er bereits seit drei Jahren verstorben war.“

Grundsätzlich gehe die Polizei den Hinweisen immer nach. „Wir haben die Polizei informiert. Und die Beamten haben uns versprochen, verstärkt Streifen fahren zu lassen“, sagt Anette Korn, Schulleiterin der Grundschule Fried­richsgabe. „Aber hier wurde niemand ins Auto gezerrt. Es gab lediglich die Geschichte der Kinder, dass angeblich ein Mann aufgetaucht sei.“

Melanie Laubach von der Grundschule Heidberg hatte den Eindruck, dass der unbekannte Mann allenfalls jemanden erschrecken wollte. „Aber der wollte keine Kinder mitnehmen.“ Viele Eltern hätten besonnen reagiert. „Andere leider überhaupt nicht.“ Deswegen hätte die Schulleitung alle Kinder in der Aula zusammengetrommelt und ihnen genau erklärt, was vorgefallen sei. „Wir empfahlen ihnen, sich nicht alleine, sondern möglichst zu zweit auf den Heimweg zu machen“, sagt Laubach.

Für Frank Schlichting ist das beispielhaftes Verhalten. „Mehr können wir als Polizei in dieser Situation auch nicht tun. Wenn Eltern das nicht reicht, müssen sie ihre Kinder morgens an die Hand nehmen, sie bis zur Tür der Schule bringen und sie nach Schulschluss dort wieder abholen.“ Doch bei bestätigten oder unbestätigten Zwischenfällen sollten sie grundsätzlich nicht auf Facebook posten, sondern sich zunächst an die Polizei wenden. Nur so könnten unselige Falschmeldungen und die daraus resultierende Hysterie und Verunsicherung vermieden werden.

„Für uns ist das schwierig, wenn auf Facebook steht, dass ein Mitschnacker unterwegs ist“, sagt Hauptkommissar Frank Schlichting
„Für uns ist das schwierig, wenn auf Facebook steht, dass ein Mitschnacker unterwegs ist“, sagt Hauptkommissar Frank Schlichting © LNBILD | Heike Hiltrop

Das tatsächlich Gefährdungspotenzial hält Schlichting für eher gering. „80 Prozent aller Übergriffe auf Kinder ereignen sich im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis“, sagt der Hauptkommissar. In vielleicht 15 Prozent der Fälle sind behinderte oder anderweitig hilfsbedürftige Kinder die Opfer. „Bleiben noch fünf Prozent“, sagt Schlichting. „Ich habe mal mit einem Kind gesprochen, das tatsächlich von einem unbekannten Mann angesprochen worden war – es hatte noch ein Jahr danach schreckliche Angst.“ Kann man diese echte Angst von der unterscheiden, die unberechtigt ist und auf Hörensagen basiert? „Jedes Kind ist anders. Das müssen Eltern bewerten. Im Zweifel sollte man zur Polizei gehen, da gibt es Experten“, sagt Schlichting.

Wenn er an den Schulen des Kreises Präventionskurse mit Kindern macht oder Vorträge vor Eltern hält, dann erinnert er die Eltern daran, ihren Kindern das Nein-Sagen beizubringen. „Man sollte es nicht glauben: Aber gerade die Erstklässler laufen in gefährlichen Situationen nicht weg. Manche sagen nicht nein zu einem Erwachsenen und denken, dass sie nicht einfach abhauen dürfen.“ Schlichting empfiehlt allen Schulen die Aufklärungsprogramme der Petze in Kiel.

Das Präventionsbüro informiert im Auftrag des Schulministeriums an Kitas und Schulen über Kinderrechte und Themen wie sexuelle Übergriffe, Mobbing, Gewalt oder Abzocke. Frank Schlichting: „Es geht um die Stärkung der Selbstständigkeit der Kinder.“