Die Schwierigkeiten beginnen, als der 28 Jahre alte Syrer aus Alveslohe nach Hamburg ziehen will, um dort eine Lehre zu machen.

Tabletten schlucken, insgesamt 140 Stück, mit Wodka herunterspülen. Dieses Ende hatte Mohammed S. (Name geändert) für sich gewählt. Weil er nicht mehr weiter wusste, es ihn schier erdrückte, von deutschen Behörden hin und her geschickt zu werden. Dass jemand in Deutschland so von Behörden behandelt werden könnte, das hätte er nie gedacht. Und doch ist es ihm, dem 28 Jahre alten syrischen Flüchtling, so widerfahren. Dass er am Leben ist, hat er Gaby Schabram zu verdanken, einer engagierten Flüchtlingslotsin aus Kaltenkirchen.

Sechs Monate saß Mohammed, der aus Latakia, einer Hafenstadt am Mittelmeer, stammt, in einem syrischen Gefängnis. Er hatte sich kritisch über das Assad-Regime geäußert, das reichte, um verhaftet zu werden. Rückenprobleme hat er seitdem, er wurde gefoltert, möchte aber nicht ins Detail gehen. „Es war die Hölle.“ Sein Ökonomiestudium war nach der Entlassung wenig wert, er wollte nur weg aus seinem Heimatland. Seine Familie lebt weiterhin in Syrien, weswegen Mohammed seinen richtigen Namen nicht öffentlich nennen möchte.

Mohammed S. möchte Hörgeräte-Akustiker werden

„Er ist in der Erstaufnahme in Boostedt gelandet, kam dann in die Tennishalle nach Kaltenkirchen. Ich habe ihn dort über das Café Kosmos kennengelernt. Er hat gesagt, er würde gern Deutsch lernen – ich habe gesagt, ich würde das mit ihm machen“, sagt Gaby Schabram. Das war Ende 2015. Seitdem hat sich vieles verändert. Mit den Sprachkenntnissen kommt die Integration. Das dachte Mohammed jedenfalls, zumal er fest entschlossen war, auch beruflich neu anzufangen. Die Voraussetzungen für ein Studium erfüllt er jedoch nicht, das bekam er an der Universität Hamburg mitgeteilt. Seine Suche führte ihn zu einer Ausbildung: Hörgeräte-Akustiker. „Er wollte einen Job, bei dem er nicht nur sitzt, aber auch nicht schwer tragen muss“, sagt Schabram. Es sind die Folgen der Folter, die ihm körperlich zu schaffen machen.

Mohammed machte ein Praktikum bei einer Hamburger Firma, überzeugte und erhielt eine Lehrstelle zum Februar 2018. Bis dahin sollte Mohammed seine Deutschkenntnisse auf ein B2-Niveau bringen. Nur: Gemeldet war er in Alveslohe. Also hätte seine sogenannte Wohnsitzauflage, derzufolge er den Kreis Segeberg nicht verlassen darf, gestrichen werden müssen. „Er hatte noch keinen Ausbildungsvertrag, aber die schriftliche Zusage“, sagt Schabram. Ab diesem Moment steht Aussage gegen Aussage. S. beantragte eine Änderung des Wohnsitzes. Die zuständige Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde in Bad Segeberg soll gesagt haben: Wenn sich die Hamburger Ausländerbehörde nicht binnen zwei Wochen melden, wäre der Umzug automatisch genehmigt. Eingereicht wurde der Antrag auf Genehmigung des Umzugs am 16. Juli – nach Hamburg geschickt wurde er aber erst am 24. August, und zwar nicht von der eigentlich zuständigen Sachbearbeiterin, die im Urlaub war, sondern von einer Kollegin. „Sie haben Glück, dass ich das Schreiben heute zufällig abgeschickt habe“, an diese Aussage erinnert sich Gaby Schabram.

Er ging davon aus, dass der Umzug genehmigt sei

Trotzdem: Besagte 14-Tages-Frist verstrich nach ihrer Ansicht. „Aus diesem Grund hat er sich auf den Weg gemacht, um eine Wohnung zu suchen – die alte Wohnung kündigte er“, sagt die Flüchtlingslotsin. Ein Schock war dann, was sie und Mohammed am 18. September in Bad Segeberg zu hören bekamen. Hamburg habe den Umzugsantrag am 13. September abgelehnt, da kein Ausbildungsvertrag vorlag. Gaby Schabram wollte das Fax ausgehändigt bekommen, um das Eingangsdatum zu überprüfen – blitzte aber ab. „Ich unterstelle, dass das Schreiben am 17. September eingegangen ist. Demnach wäre die Frist abgelaufen und die Behörde hätte die Wohnsitzauflage ändern müssen.“

Mohammed S. erhielt zudem folgende Auskunft: Das mit der „14-Tage-Frist“ habe er falsch verstanden. Nun sitzt er zwischen den Stühlen. Denn, so Gaby Schabram: „Er hatte inzwischen in Lokstedt eine 25-Quadratmeter-Unterkunft gefunden.“ Und das für ihn bisher zuständige Jobcenter Kaltenkirchen habe auch gar keine Probleme gemacht, sondern den Umzug genehmigt und die Kosten übernommen. „Woran sollten wir zweifeln?“

Die ganze Situation entwickelt sich zu einem Drama. Das Jobcenter in Hamburg erkennt Mohammed S. nicht an, zahlt also keine Grundsicherung. Er müsse in den Kreis Segeberg zurück und sich dort eine neue Wohnung suchen. Für den überforderten Mann nicht zu schaffen. Gaby Schabram hat längst auch eigene finanzielle Opfer gebracht. „Ich habe die Kaution und die Miete in Hamburg übernommen, auch für den Monat danach. Mohammed hat 2000 Euro von mir erhalten.“

Der Syrer kann nicht nachvollziehen, warum die Behörden nicht alles dafür tun, um einen wie ihm, der sich so schnell wie möglich integrieren möchte, das Leben leichter zu machen. „Ich kenne Leute, die seit fünf Jahren schwarzarbeiten, keine Papiere haben, aber das ist der Behörde egal. Ich halte mich an alle Regeln, lerne Deutsch – und diejenigen, die sich nicht an Regeln halten, die lassen sie in Ruhe.“

Heute wohnt S. weiterhin in Lok­stedt. Gaby Schabram hat ihm eine Fachanwältin besorgt. Über den Rechtsweg, notfalls vor dem Verwaltungsgericht, soll erreicht werden, dass er nachträglich die Genehmigung für den Umzug erhält und alle noch ausstehenden Zahlungen. Ob er seine Lehre tatsächlich machen kann, steht noch nicht fest. Schabram rät ihm, den Kontakt zu dem Arbeitgeber aufrechtzuhalten, um vielleicht im August 2018 anfangen zu können. Die für einen Beginn im Februar nötigen Deutschstunden hat S. aufgrund seiner persönlichen Situation nicht besuchen können. Im Gegenteil: Um überhaupt Geld zu haben, jobbt er in Zeitarbeit, schraubt Kaffeemaschinen zusammen. Vermittelt hat ihm das seine Betreuerin, die auf einer Dienstreise zufällig eine Personaldisponentin aus Hamburg kennenlernte, ihr die Geschichte erzählte – und als Antwort erhielt: „Wann kann er vorbeikommen?“

Mohammed S., der in der Bundesrepublik ein Bleiberecht bis 9. November 2019 hat, sagt, es sei „schade für Deutschland“, wie mit ihm umgegangen werde. Und Gaby Schabram ist hörbar frustriert. „Eigentlich machen wir die Arbeit der Behörden. Aber uns behandeln sie als Feinde, als Gegner.“

Das sagt die Segeberger Ausländerbehörde:

Oliver Bonus, Leiter der Ausländerbehörde, bestätigt, dass es eine „Verschweigefrist“ gibt. Das heißt: Die Wohnsitzumlage kann gestrichen werden, wenn die aufnehmende Behörde sich nicht binnen 14 Tagen nicht meldet. „Wenn wir nichts hören, gehen wir von einer stillschweigenden Zustimmung aus.“ Allerdings könne diese Frist auch unterbrochen werden – das kann sogar mehrere Monate dauern. „Der Sinn und Zweck einer Wohnsitzauflage ist eine gerechte Lasten- und Kostenverteilung, damit nicht alle nach Hamburg ziehen.“ Jeder Einzelfall werde geprüft. So berechtige auch eine Lehrstelle nicht pauschal zum Umzug, wenn etwa eine zumutbare Bahnverbindung bestehe.