Viele kleine und große Ereignisse sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Das Abendblatt geht auf Spurensuche.
Wenn der SSC Phoenix Kisdorf seine Heimspiele austrägt, werden die Fußballschlachten auf der Sportanlage am Strietkamp ausgetragen. Natürlich geht es dabei weitgehend friedlich zu. Zumindest ist aus der jüngeren Vergangenheit nicht bekannt, dass dabei irgendwelche Spieler nachhaltige Schäden an Körper, Seele oder Leib davongetragen haben. Das war allerdings mal anders: In früheren Jahrhunderten wurden genau dort richtige Schlachten ausgetragen – und dabei fügten sich die Menschen gegenseitig erheblichen Schaden zu. Auf dem Strietkamp-Gelände kämpften die Schnapphähne gegen die Schweden. Ein Fußball war nicht im Spiel.
Die Schnapphähne – das klingt zunächst mal ungefährlich. Vielleicht etwas verspielt. Tatsächlich aber steckte dahinter eine besondere Bewegung: Es waren Widerstands- und Freiheitskämpfer, die das Ziel hatten, ihre Heimat zu verteidigen, obwohl sie militärisch nicht ausgebildet waren und nur mit bescheidenen Mitteln ausgerüstet waren. Hätte es die Schnapphähne nicht gegeben, würde die Segeberger Siegesburg auf dem Kalkberg wahrscheinlich heute noch stehen.
In Kisdorf haben die Schnapphähne großen Eindruck hinterlassen. Die Spuren sind bis heute zu erkennen: Neben der Straßen- und Flurbezeichnung Strietkamp gibt es in Kisdorferwohld das Flurstück Schnapphahnstieg und tatsächlich auch einen landwirtschaftlichen Weg, der diesen Namen trägt. Nahe der Einfahrt zum Bauernhof Fölster steht auf einem großem Findling der Name dieses Hofes: Schnapphahn mit den Jahreszahlen, die für diesen Hof bedeutsam sind (1560, 1848, 1998). Die Vorfahren der Fölsters gehörten also einst zu den mutigen Schnapphähnen.
Die Schnapphähne wehrten sich gegen die Schweden
Das Wort „Schnapphahn“ leitet sich aus dem mittelhochdeutschen Wort „snap“ (das Schnappen, der Straßenraub) ab und war ein Sammelbegriff für Räuber, Rebellen und Freiheitskämpfer. In Holstein entstand die Schnapphahn-Bewegung Ende des Dreißigjährigen Krieges während des dänisch-schwedischen Krieges von 1643 bis 1645, bei dem es hauptsächlich um die Vormachtstellung im Ostseeraum ging. Die angreifende Macht Schweden besetzte das heutige Südschweden (damals noch dänisches Gebiet) und Holstein, das herzogliches Gebiet Königs Christian IV. von Dänemark war.
Nachdem sie sich anfangs noch friedlich verhalten hatten, begannen die schwedischen Soldaten, die Bevölkerung zu berauben – sie legten Brände und erpressten Lebensmittel. „Die Zivilbevölkerung litt erbärmlich unter den schwedischen Besatzern“, heißt es in der Chronik der Gemeinde Kisdorf. Die Widerstandsbewegung formierte sich, denn die Einheimischen wollten weiterhin zu Dänemark gehören und ihre Heimat verteidigen. Die Schnapphähne unterstützten mit ihren Aktionen die dänische Armee im Kampf gegen die Schweden. In Holstein rekrutierten sich die Schnapphähne aus Bauern, Kätnern, Gutstagelöhnern (Insten) und Soldaten. Sie nannten sich „die fryen holsteinischen Knechte“.
Sie organisierte sich selbst, handelten autonom und bildeten 40 Mann starke „Rotten“. Ihr selbst gestecktes Ziel war es, die schwach geschützten Versorgungs- und Nachschubkolonnen der schwedischen Armee auf den Handelsstraßen von Hamburg nach Lübeck oder auf dem alten Heerweg nach Norden, der auch durch Kisdorfer Gebiet im Westen des Dorfes führte, anzugreifen und zu berauben.
Wie damals gekämpft wurde, ist heute noch in einem Kriegstagebuch nachzulesen, das damals auf der Festung Glückstadt geführt wurde.
Hinterhalt und Blitzangriff am Westerwohld
So hatte am 3. April 1644 die zweite „Rotte“ durch Späher erfahren, dass der schwedische Oberst Schlebusch mit 50 Reitern und 400 Ochsen von Altona auf dem alten Heerweg über Kisdorf kommen sollte. Hans Brunst aus Schmalfeld, Führer der „Rotte“, versteckte seine Leute im Westerwohld, westlich des Heerweges, der heutigen Hamburger Straße. Mit einem Blitzangriff überfielen sie die schwedische Kolonne, die völlig überrascht war. Die Schweden wichen nach Osten aus und - nach einem kurzem Kampf auf dem Flurstück „Strietkamp“ - flohen sie gen Süden.
Die Schnapphähne brachten die erbeuteten Ochsen zur Festung Glückstadt, wo sie 1000 Reichstaler Belohnung erhielten.
Nicht immer gingen die Kämpfe für die Schnapphähne glücklich aus. Bei Quickborn wurden sie von den Schweden in eine Falle gelockt, gefangen genommen und anschließend auf derbste Weise gefoltert und zu Tode gequält. Denn die Freiheitskämpfer galten bei den Schweden als „heimtückisches, räuberisches Lumpenpack, als Krawallmacher und Bauerntölpel“. Die Schnapphähne wurden von ihnen als vogelfrei erklärt und konnten ohne Gerichtsverfahren hingerichtet werden.
Die Siegesburg wurde Opfer der schwedischen Rache
Die Siegesburg auf dem Kalkberg wurde schließlich auch Opfer der schwedischen Rache: Weil ein Segeberger Amtmann die Schnapphähne in ihrem Kampf unterstützt hatte, zerstörte eine schwedische Abteilung die Burg nachhaltig. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges stand nur noch die Ruine der Burg, später wurden auch diese Mauern abgetragen. Die Siegesburg wurde nie wieder aufgebaut.
Die Kriegsschäden waren für viele Dörfer im damaligen Amt Segeberg (heute Kreis Segeberg) katastrophal. Der Bauernvogt Harmen von Hatten nennt in einer Liste die Namen aller Hufner in Kisdorf, deren Gehöfte 1644 abgebrannt waren und die keine Steuern mehr zahlen konnten. Es waren 14 Vollhufen, zwei Halbhufen, fünf Drittelhufen und elf Viertelhufen. Der Amtmann Casper von Buchwaldt zählte im ganzen Amt 296 abgebrannte Häuser.
55 Jahre später, im Nordischen Krieg, als abermals schwedische Truppen in Holstein agierten, werden die Schnapphähne noch einmal aktiv. Am 22. August 1700 griffen wieder freie holsteinische Knechte unter Führung des Cornets Hans Pohlmann, der vorher Kirchspielvogt in Kisdorf war, eine schwedische Aufklärungsabteilung an, die im Kisdorfer Wohld operierte. Gekämpft wurde auf den Flurstücken Striedbrook und Schnapphahnstieg in Kisdorferwohld – dort, wo heute der Hof der Familie Fölster steht. Vier Schnapphähne starben auf dem Feld.
So mutig die Männer aus Kisdorf und Umgebung auch waren – und so oft sie auch in Gefechte mit den Schweden verwickelt waren –, den Lauf der Geschichte konnten sie nicht aufhalten. Die Kisdorfer Historiker um Marlene Hroch, Klaus Huber und Bernhard Kröger kommen zu der Einschätzung, dass die Schnapphähne die Entwicklung der Kriegsereignisse nur in geringem Maße beeinflussen konnten.