Der Norderstedter Hans-Jürgen Oltrogge forstet in Eigeninitiative das Stadgebiet auf und setzt sich für einen Klimawald ein.
Die Sonne steht tief und wirft goldenes Licht an den Rand des Rantzauer Forstes. Die Blätter einer Blutbuche fangen es auf und scheinen dadurch regelrecht zu leuchten. Ein wenig Indian Summer in Norderstedt, etwas abseits der Oadby-and-Wigston-Straße, gleich neben dem Parkplatz der Tennisanlage des Norderstedter Sportvereins. Die Blutbuche ist 37 Jahre alt. Hans-Jürgen Oltrogge weiß das ganz genau. Er hat sie gepflanzt.
Das mit den Bäumen, fing bei Oltrogge irgendwann bei einem Waldlauf an. „Du läufst zwischen all diesen Bäumen herum und fragst dich, wie die sich eigentlich vermehren.“ Der Norderstedter recherchiert, lernt alles über Schösslinge, die aus dem Wurzelwerk sprießen, über die Fortpflanzung durch Samen und dass es bei Eichen, Buchen oder Birken männliche und weibliche Bäume gibt, die sich über den Wind mit winzigen Pollenkörnern befruchten.
Und er lernt, wie sehr die Bäume in Gefahr sind. Wie der Mensch sie zunehmend verdrängt und achtlos abholzt. „Der Baum hat keine Lobby“, sagt Oltrogge. Also entscheidet er sich, zu handeln und wird Baum-Aktivist.
In den 70er-Jahren im Karlsruher Schlosspark, seiner alten Heimat, beginnt er, Bäume auf einem gepachteten Grundstück zu pflanzen. Einfach so. Als es ihn 1980 aus beruflichen Gründen zu einem großen Arbeitgeber nach Norderstedt zieht, hat er selbstredend Sämlinge aus dem Karlsruher Schlosspark im Umzugswagen. Zum Beispiel die Blutbuche, unter der er jetzt steht. „1985 baute der NSV hier seine Tennisanlage, und ich durfte meine Blutbuche hier pflanzen. Der ehemalige Vereinsvorsitzende Holger Götz pflanzte eine Eiche.“
Als Baum-Gärtner braucht man langen Atem, ehe sich Erfolge einstellen. Doch wenn man dann wie Oltrogge unter einem prächtig in der Herbstsonne glühenden Baum steht, der einem im Laufe der Jahrzehnte ein Mehrfaches über den Kopf hinaus gewachsen ist, dann kommt schon ein Gefühl von Erhabenheit auf. „Und sehen Sie – dort drüben steht der Baum, den mein Sohn gepflanzt hat. Eine Kastanie. Sie ist jetzt leider abgestorben.“
Die Blutbuche ist nicht der einzige Baum, den Hans-Jürgen Oltrgogge in Norderstedt gepflanzt hat. Den genauen Überblick hat er nicht mehr. „Aber es müssen schon mehr als 30 Bäume sein.“ Und wenn er Verwandten oder Bekannten etwas zum Geburtstag schenken soll, dann sucht er sich einen passenden Sämling und schenkt damit das Erlebnis, den vielleicht ersten Baum des Lebens zu pflanzen. Dabei geht es Oltrogge eher nicht um Gefühlsduselei. Für ihn ist es Aktivismus im Namen des Klimaschutzes.
Wenn er in die Krone seiner Blutbuche schaut, dann freut er sich nicht nur über das bunte Laub, sondern er rechnet im Kopf hoch, wie viele Tonnen des Klima-Killers Kohlendioxid der Baum in seinem Dasein schon aus der Atmosphäre gezogen hat und wie viel Sauerstoff er dafür der Umwelt zurückgab.
Mehr als 30 Bäume hat der Baum-Aktivist gepflanzt
Die Stiftung Klimawald Schleswig-Holstein beschreibt die Leistung eines Baumes auf das Kilogramm genau. Die Modellrechnung gilt für einen 100 Jahre alten Laubbaum. Jahr für Jahr hat er 6298 Kilogramm reinen Kohlendioxids gebunden, an einem Sonnentag bis zu 18 Kilogramm. Er produzierte 4580 Kilogramm Sauerstoff. Ein Baum diesen Alters ernährt etwa 2500 Regenwürmer, filtert eine Tonne Staub und Gifte aus der Luft, bietet Vögeln, Säugetieren und Insekten Lebensraum, Nahrung und Nistplatz, bindet 3000 Liter Wasser, das er phasenweise wie ein Schwamm wieder abgibt. Und bei all dieser Arbeit für die Umwelt, die Fauna und Flora sieht er auch noch richtig gut aus, spendet Schatten und puffert Hitze und Frost ab. Wer so einen produktiven Hundertjährigen absägt, der müsste 2500 Jungbäume mit einem Kronenvolumen von einem Kubikmeter pflanzen, um ihn vollwertig zu ersetzen.
Wer all das weiß, wird nie wieder ohne schlechtes Gewissen einem Baum auf die Rinde rücken können.
„Jeder sollte erkennen, dass er auch in Eigeninitiative viel bewirken kann. Jeder Baum hilft, unser Klima besser zu machen.“ Oltrogge ist fasziniert von der weltweiten Aktion Plant for the Planet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2020 die beeindruckende Anzahl von 1000 Milliarden Bäumen zu pflanzen – 15.2 Milliarden Bäume sind es derzeit. Die Aktion wurde 2007 vom damals neunjährigen Felix Finkbeiner aus München gegründet, der inspiriert wurde vom Beispiel der kenianischen Professorin und Gründerin des Green Belt Movements, Wangari Maathai. In Afrika wurden durch Maathais Initiative in 30 Jahren 30 Millionen Bäume gepflanzt. Felix Finkbeiner appellierte an die Kinder der Welt, mit dem Pflanzen von Bäumen auf eigene Faust einen CO2-Ausgleich zu schaffen.
In Norderstedt kämpft Oltrogge für die Idee eines Klimawaldes, eine städtische Fläche, die extra für das Anpflanzen von Bäumen ausgewiesen wird. „Vielleicht könnten dort kleine und große Norderstedter ihren persönlichen Baum pflanzen“, sagt Oltrogge. Tatsächlich nimmt die Idee in der Stadtverwaltung konkrete Formen an. Eine Fläche an der Schleswig-Holstein-Straße ist für die Idee Klimawald offenbar vorgesehen und steht kurz vor der Übergabe an die Stadt. Allerdings möchte die Verwaltung dort kein aktives Bäumeanpflanzen unterstützen. Vielmehr soll sich der Wald in Sukzession selbst entwickeln – sprich, die Fläche wird nicht angefasst und sich selbst überlassen. Es dauert zwischen 20 und 100 Jahren, ehe sich Bäume hier durchsetzen. Mit der Idee der Stiftung Klimawald Schleswig-Holstein hat dies nicht viel zu tun. Sechs dieser Waldstücke hat die Stiftung bereits angelegt. „Wir verfolgen das Konzept einer nachhaltigen Forstwirtschaft“, sagt Stiftungsvorstand Franz Isfort, Oberforstrat der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. „Sukzessionsflächen halten wir dabei für weniger sinnvoll. Wir wollen viele Bäume anpflanzen, die schnell möglichst viel CO2 speichern.“ Es werde das Ziel der Kaskadennutzung verfolgt. Die Bäume werden irgendwann gefällt, etwa als Baumaterial verwertet. Sie ersetzen dabei CO2-lastige Materialien wie Aluminium und sorgen für weitere Einsparungen. In einem letzten Schritt kann das Holz energetisch verwertet werden. „Wenn der Baum einfach in der Natur verrottet, setzt er das über Jahre gespeicherte Kohlendioxid einfach wieder frei“, sagt Isfort. Den Norderstedtern bietet sich Isfort als Gesprächspartner an. „Bei der Umsetzung helfen wir gerne. Schließlich geht es darum, dass so viele Bäume wie möglich wachsen.“
Oder ganz besondere. Hans-Jürgen Oltrogge führt zu einer prominenten Stelle am Rande des Forstes und deutet auf drei hellgrüne Zwerge, die bei guter Pflege zu echten Riesen werden. Sequoiadendron giganteum – der Riesenmammutbaum. Oltrogge schaut ab und zu nach dem Rechten bei den dreien und füttert sie mit Torf und Substrat. Wenn er Erfolg hat, wird dieser in 100 Jahren in der gesamten Stadt gut sichtbar sein.