Norderstedt. Trotz Abitur sehen viele junge Menschen ihre Zukunft in kleinen Betrieben. Das Abendblatt hat mit Auszubildenden gesprochen.

Kevin Schick ist einer von 85 Lehrlingen in Norderstedt, die sich mit dem Abitur in der Tasche für eine Ausbildung im Handwerk entschieden haben. Dieses Jahr hat er bei Elektro Alster Nord eine Ausbildung zum Elektroniker für Energie - und Gebäudetechnik begonnen. Damit gehört er nach wie vor zu einer Minderheit: Im bundesweiten Schnitt hat nur gut ein Viertel aller Absolventen handwerklicher Lehren die Hochschulreife. Auch für den 24-Jährigen war der Weg ins Handwerk nicht von Anfang an klar. „Nach der Schule wollte ich erst einmal etwas anderes machen, habe angefangen zu studieren. Das hat mir nicht gefallen.“ Im Internet ist er auf die Ausbildung gestoßen und hat sich auf die Stelle beworben. Zu Hause ist er mit handwerklichen Tätigkeiten groß geworden, das habe ihn geprägt. „Ich habe keine Lust, im Büro zu sitzen“, erklärt er seine Berufswahl. Und so ist Kevin Schick derzeit der einzige Schüler mit Abitur in seiner Klasse im Berufsbildungszentrum Norderstedt.

Viele Ausbildungsplätze bleiben weiterhin unbesetzt

Immer mehr Schüler machen Abitur, 2016 ist in Schleswig-Holstein zudem der doppelte Jahrgang auf den Markt geströmt. „Der Anteil der Abiturienten ist daher von Jahr zu Jahr weiter gestiegen“, sagt Anna-Lena Schomburg von der Handwerkskammer Lübeck, die für den Kreis Segeberg zuständig ist. Angesichts des Fachkräftemangels bemüht sich das Handwerk auch auf neuen Wegen um die Gunst der Schulabgänger – etwa mit Imagekampagnen in den Sozialen Medien. Und richtet sich auch direkt an Studienabbrecher, die für die Betriebe zu einer immer wichtigeren Zielgruppe werden. So ist auch der Auszubildende Max Mirtschink über ein Studium zur Ausbildung zum Informationselektroniker gekommen. Als ihm klar wurde, dass er nicht weiter studieren will, hat ihm das ein Freund empfohlen. „Ich will etwas Festes haben“, sagt er. „Man ist öfter draußen und sammelt Praxiserfahrung. Im Studium war man das nie.“ Dieses Jahr hat er drei Wochen in Helsinki verbracht, um in einem Betrieb im Ausland Erfahrungen zu sammeln. Nach Ende der Ausbildung kann sich der 22-Jährige durchaus vorstellen, wieder zu studieren – zum Beispiel im Bereich Robotik.

Tatsache ist jedoch: Viele Ausbildungsplätze bleiben weiterhin unbesetzt. Die Gründe für die Entwicklung liegen laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) einerseits im demografischen Wandel: Die Zahl der Schulabgänger wird weiter zurückgehen. Zudem würden sich immer mehr zu einem Studium entschließen. Die Betriebe zeigen sich daher sehr ausbildungsbereit und würden sich immer früher um die Nachwuchsgewinnung bemühen, so Anna-Lena Schomburg. Macht sich der Fachkräftemangel auch in Norderstedter Betrieben bemerkbar? „Ja mit drei Ausrufezeichen“, antwortet Henning Schurbohm, Geschäftsführer von Elektro Alster Nord. Auch Tischlermeister Thomas Jenning kann das für seinen Norderstedter Betrieb „Holzträume Jenning“ bestätigen.

Ausbildungsplätze

Auf der Internsetseite der Handwerkskammer Lübeck finden Interessierte unter www.hwk-luebeck.de/service-center/lehrstellenboerse eine Ausbildungs- und Praktikumsbörse, in der aktuell zu besetzende Stellen ausgeschrieben sind.

Zudem können Ausbildungssuchende auch selbst ein Profil anlegen und ein Lehrstellengesuch aufgeben .

Weitere Möglichkeiten der Recherche bieten die Industrie- und Handwerkskammer unter www.ihk-lehrstellenboerse.de/ und die Agentur für Arbeit unter www.jobboerse.arbeitsagentur.de.

Die Initiative „Studienabbruch und dann“ des Bildungsministeriums informiert über den Weg ins Handwerk nach einem Studienabbruch unter www.studienabbruch-und-dann.de.

Auch mit dem „Lehrstellenradar“ können Jugendliche online auf der Seite www.lehrstellen-radar.de oder per App nach Ausbildungsplätzen im Handwerk suchen.

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Es sind auch die Veränderungen im Beruf, die die Suche nach dem passenden Kandidaten mehr und mehr erschweren. „Die technischen Anforderungen haben sich geändert, damit sind auch wir gewachsen. Wie eigentlich überall im Handwerk“, sagt Henning Schurbohm. Viele Handwerksbetriebe nehmen aus diesem Grund gerne Abiturienten und Studienabbrecher auf. „Es gibt auch Abiturienten, die jede Holzfaser ausdiskutieren müssen“, sagt Jenning und lacht. Insgesamt sei der Abschluss aber vorteilhaft für den Beruf, weil damit in der Regel eine gute Allgemeinbildung und ein kompetenter Umgang mit dem Kunden gegeben sei. Philipp Lange ist Tischler-Azubi bei Jenning und sieht das ähnlich. Abitur und Handwerkslehre schließen sich für ihn keinesfalls aus. „Es wird viel zu sehr suggeriert, dass Geld wichtiger ist als der Spaß an der Arbeit“, findet der Auszubildende. Und so führte auch sein eigener Weg über eine angefangene Ausbildung im Finanzamt und ein abgebrochenes Studium der Holzwirtschaft in die Tischler-Lehre. Sein Traumberuf: „Wenn ich abends nach Hause komme, möchte ich sehen, dass ich etwas fertiggestellt habe.“ Dass er den Kunden mit seiner Arbeit eine Freude bereitet und so ein unmittelbares Feedback bekommt, das motiviert ihn – etwas, was ihm im Finanzamt gefehlt hat. Philipp Lange sieht die Schule in der Pflicht und kritisiert, dass praktischer Unterricht, etwa der Werkunterricht, immer mehr vom Stundenplan verschwinde.

Die Turbo-Lehre stößt auf geteilte Meinungen

 Tischlermeister Thomas Jenning und sein Auszubildender Philipp Lange in der Werkstatt von
Tischlermeister Thomas Jenning und sein Auszubildender Philipp Lange in der Werkstatt von "Holzträume Jenning" © HA | Judith Rötgers

Neue Modelle und Wege sollen das Handwerk für Schulabgänger daher attraktiver machen. So ist es in einigen Fachrichtungen inzwischen möglich, den Gesellenbrief mit dem Meistertitel und einem Hochschulabschluss zu kombinieren – und das alles in vier Jahren. In den Norderstedter Betrieben stößt diese Turbo-Lehre auf geteilte Meinungen. Bei Elektro Alster Nord durchlaufen momentan zwei der Azubis eine solche kombinierte Ausbildung. Dagegen empfindet Thomas Jenning das Modell als eine Entwertung des Meistertitels und erinnert sich, wie hart er selbst für den Meister arbeiten musste. Auch Lehrling Philipp Lange sieht die neuen Wege skeptisch: „Ich bin froh, dass ich Erfahrungen sammeln kann. Leute anleiten, das muss man erst lernen“. Fünf bis sechs Jahre als Geselle zu sammeln, sieht er als durchaus sinnvoll ein.

Trotzt der Schwierigkeit, passende Fachkräfte zu finden, sieht Tischlermeister Jenning gute Zeiten voraus: „Das Qualitätsbewusstsein kommt wieder“, meint er und hofft, dass sich damit in Zukunft auch mehr junge Menschen für das Handwerk entscheiden.