Bad Segeberg. Kinder statt Kunst? Um das fast 125-jährige Gebäude in Bad Segeberg streiten derzeit verschiedene Interessengruppen.

Die Villa Flath an der Bismarckallee 5 in Bad Segeberg ist ein Haus mit wechselvoller Geschichte. 1893 baute der Seifenfabrikant Johann Wilhelm Wittmack das Haus an der Bismarckstraße 11 und kaufte die Villen an der Bismarckstraße 5 und 21. Auch die Zukunft des fast 125-jährigen Gebäudes könnte interessant werden, denn die Villa und seine Nebengebäude wecken zurzeit viele Begehrlichkeiten in der Kur- und Kreisstadt. So würde der Kindergarten „Sidonie-Werner-Kinderhaus“ der Synagoge Mishkan Ha’Zafon, die Synagoge des Nordens in Bad Segeberg, in der Villa gern eine Kindertagesstätte einrichten.

Holzbildhauer Otto Flath war gläubiger Christ
Holzbildhauer Otto Flath war gläubiger Christ © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Die Jüdische Gemeinde Segeberg als Trägerin der Kindertagesstätte hat bei der Stadtverwaltung einen entsprechenden Antrag eingereicht. Der Standort hat für die Juden im Kreis Segeberg eine große Bedeutung, weil sie an die Vorgänger-Gemeinde anknüpft, die durch die NS-Schergen vernichtet wurde. Von 90 jüdischen Bürgern Segebergs sind mindestens 55 namentlich bekannt, die nach 1933 ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Zudem war die heutige Villa Flath von 1908 bis 1938 ein jüdisches Waisenheim, geleitet von der Hamburger Sozialpolitikerin Sidonie Werner. Nach dem Sidonie-Werner-Waisenheim nennt die Jüdische Gemeinde auch ihren Kindergarten in der Synagoge. Aufgrund dieser Verbundenheit beantragte die Jüdische Gemeinde, dass sie einen neuen Kindergarten im ehemaligen Sidonie-Werner-Waisenheim einrichten kann. Das Problem: Der Antrag, der von den Gremien der Stadt positiv gesehen wird, brachte nicht nur die Künstler Segebergs und Umgebung auf den Plan, sondern auch den Förderkreis Kulturforum Otto Flath. Der wiederum streitet sich um die Villa nicht nur mit der Stadt, sondern auch mit dem Stiftungsbeirat der Stiftung Otto Flath als Nachlass-Verwalterin des Erbes des Holzbildhauers, der von 1939 bis zu seinem Tod 1987 in der Villa lebte und arbeitete.

Um das Debakel zu entzerren, beschlossen Segebergs Politiker während der letzten Stadtvertretersitzung, die Villa der Stiftung Otto Flath zu überantworten. Villa, benachbarte Gebäude, Grund und Boden bleiben im Besitz der Stadt, wie es im Testament Otto Flaths vorgesehen ist.

„So will es auch die Stiftungsaufsicht des Landes Schleswig-Holstein, und dem folgen wir jetzt“, sagen Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld (SPD) und Ursula Michalak (CDU), Vorsitzende des Flath-Stiftungsbeirats. Sie gehen konform mit den anderen Fraktionen der Stadtvertretung. „Jetzt müssen der Stiftungsbeirat und die Verwaltung prüfen, was in der Villa überhaupt erlaubt und möglich ist“, sagt Wolfgang Tödt von der Freien Wählergemeinschaft Bad Segeberg, BBS.

Die Villa Flath kostet 18.000 Euro Miete pro Jahr

Auch SPD-Stadtvertreter Jens Lichte will wissen, ob beispielsweise ein Umbau der Villa machbar ist oder nicht. Die Jüdische Gemeinde plant, hinter der Villa einen Glasgang zum Garten zu bauen. „Alle Bewerber, die die Villa Flath nutzen möchten, müssen sich jetzt beim Stiftungsrat und dem Stiftungsvorstand bewerben“, sagt Ursula Michalak. Die Begehrlichkeiten, die Villa für 18.000 Euro Miete pro Jahr zu nutzen, treibt schon seit Monaten Segeberger Vereine um. Zurzeit wird sie vom Verein für Jugend und Kultur der Stadt für die Kreismusikschule und für Ausstellungen genutzt. Die Stadt ist Mitglied im Verein für Jugend und Kultur. Zudem können Segeberger Künstler und Kunstvereine im Erdgeschoss der Villa Ausstellungen veranstalten. Die Halle ist den Holzbildhauer-Werken Otto Flaths vorbehalten. Den ersten Stock nutzt der Verein für Jugend und Kultur für Kurse der Jugendmusikschule.

1932 starb Sidonie Werner in diesem Heim

Die Villa war von 1908 bis zur Vertreibung durch die NS-Regierung ein jüdisches Waisenheim, gegründet und geleitet von der jüdischen Sozialpolitikerin Sidonie Werner aus Hamburg, die den Israelitisch-Humanitären Frauenverein Hamburg mitgründete. Bis zuletzt leitete Sidonie Werner das jüdische Waisenheim mit Haushaltsschule an der Bismarckallee. Am 27. Dezember 1932 starb Sidonie Werner in diesem Heim. Bis Anfang 1939 wurde das Sidonie-Werner-Waisenheim als jüdisches Kinderheim geführt, dann von den Nazis geschlossen. Sidonie Werners Nachfolgerin Gertrud Katzenstein wurde deportiert und kam 1942 im KZ Theresienstadt um. Die Mitarbeiterin Frieda Epstein wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Für beide NS-Opfer legte die Jüdische Gemeinde Segeberg Stolpersteine vor der Villa Flath.

Die drei Häuser, die sich in jüdischem Besitz befanden, wurden von der NS-Stadtverwaltung enteignet, „arisiert“ und zum Verkauf angeboten. Wilhelm Burmester, mit seiner Ehefrau Ellen Förderer von Otto Flath, kaufte das Anwesen vom damaligen NS-Bürgermeister Hans Koch für nur 14.000 Reichsmark. Nach Wilhelm Burmesters Tod blieb es im Besitz von Ellen Burmester, die Otto Flath weiter unterstützte und mit ihm in der Villa wohnte.

Laut Kulturforum sei ein Umbau nicht erlaubt

„Die Stadtvertretung hat dem Antrag der Jüdischen Gemeinde auf Erweiterung des Kindergartens um ein bis zwei Gruppen in den Kita-Bedarfsplan aufgenommen, aber wir sehen das nicht an den Standort Villa Flath gekoppelt“, sagen Ursula Michalak und Wolfgang Tödt. Der BBS-Politiker, auch Vorsitzender des Bauausschusses, bedauert, dass es keine klare Rechtsauskunft über das Testament von Otto Flath gebe.

Ob die Villa also für einen Kindergarten umgebaut werden könne, sei ebenso fraglich, wie die Tauglichkeit der Räume nach dem Kita-Gesetz. „Wir müssten zudem prüfen, welche Kosten durch einen Umbau zu einer Kita auf uns zukommen“, sagt SPD-Stadtvertreter Jens Lichte. Nach Aussage des Förderkreises Kulturforum Otto Flath sei ein Umbau nicht erlaubt.

„Otto Flath hat verfügt, dass das Haus so bleiben soll, wie es zu seinen Lebzeiten war, damit sich die Menschen auch nach seinem Tod an ihn erinnern“, sagt indes Bürgermeister Schönfeld. Doch schon der erste Testamentsvollstrecker habe die Villa umbauen lassen. Zudem habe Otto Flath nie gewollt, dass andere Künstler durch Ausstellungen in der Villa seine Werke verdrängen. Schönfeld freut es aber, dass die Jüdische Gemeinde als Träger zwei weitere Kita-Gruppen einrichten möchte: „Ich würde es gut finden, wenn sich die Jüdische Gemeinde bereit fände, die Kita auch an einem anderen Standort einzurichten“, sagt Schönfeld. Bleibt indes die Frage, ob die heutige liberale Jüdische Gemeinde als eventuelle Rechtsnachfolgerin Ansprüche auf die Villa anmelden kann, die vor dem Holocaust jüdisches Eigentum war und von der NS-Regierung enteignet wurde.