Norderstedt. Unterricht, Aufsicht, Elterngespräche, kleine Individualisten – das gehört zum Alltag im Leben von Grundschullehrerin Katrin Heß.
Die Lehrergewerkschaft GEW im Kreis Segeberg hat kürzlich kritisiert, dass viele Lehrer überlastet seien und mehr Pädagogen gefordert. Doch wie stark ist die Belastung in der Praxis? Wie sieht der Alltag von Pädagogen aus? Wir haben darüber mit der Norderstedter Grundschullehrerin Katrin Heß gesprochen und ihr bei der Arbeit zugesehen.
„Vor den Ferien ist der Akku schon ganz schön leer“, sagt Katrin Heß. Die Lehrerin ist froh, dass sie in den Herbstferien wieder Kraft tanken kann, denn: „Die Zeit vor Weihnachten ist die stressigste im Jahr.“ Die 49-Jährige unterrichtet an der Grundschule Lütjenmoor und erlebt täglich, wie der Job an den Kräften zehrt. Die Belastung habe in den vergangenen Jahren zugenommen – auch für die Schüler. Bevor die verlässliche Grundschule vor gut zehn Jahren eingeführt wurde, seien die Erstklässler mit zwei Stunden pro Tag gestartet. Heute müssten sie vom ersten Tag an bis 12 Uhr in der Schule sein.
Das sei anstrengend. Deswegen beginnt die verheiratete Mutter zweier Töchter (acht und 13 Jahre) jede Stunde mit der Frage, wer Hunger hat. Sie gönnt sich und ihren 25 Erstklässlern eine kurze Brotzeit und wartet, bis auch der letzte seine Brotdose und Trinkflasche verstaut hat. „Gelassenheit ist ganz wichtig“, sagt Katrin Heß, die HWS (Heimat-, Welt- und Sachunterricht), Mathe und Deutsch studiert, wie viele Grundschullehrerinnen aber bei Bedarf auch schon mal andere Fächer wie Sport unterrichtet hat.
Es macht keinen Sinn, die Schüler ständig zu vergleichen
Mehr Gelassenheit wünscht sie sich auch von manchen Eltern, gerade den besorgten, den „Helikoptermüttern“, die ihre Kinder ständig umschwirren. Es mache keinen Sinn, Schüler andauernd zu vergleichen, die entwickelten sich nun mal unterschiedlich, wie ein Beispiel zeigt: Während einige „Mama“ in Druckschrift schon zügig, korrekt und mit gleichmäßigen Buchstaben aufs Papier schreiben, tanzen bei anderen die Buchstaben noch durcheinander, fehlt das richtige Maß.
„Die Spanne ist heute viel größer als früher, der Mittelbau schrumpft“, hat Heß, die nach einer Ausbildung zur Diät-Assistentin noch studiert hat und seit 18 Jahren unterrichtet, festgestellt. Leistungsstarke und leistungsschwache, Kinder, die schon lesen können, und solche, für die die Welt der Buchstaben noch komplett fremd ist, gruppentaugliche Jungen und Mädchen und ausgeprägte Individualisten, Kinder aus stabilen Familien und solche, deren Eltern sich gerade trennen – alle treffen in der ersten Klasse völlig unvorbereitet aufeinander. „Welche Probleme im Rucksack mancher Kinder stecken, merken wir oft erst, wenn die Schüler Vertrauen gefasst haben und erzählen. Das erklärt dann auch, warum sie gar nicht lernbereit sein können“, sagt die Pädagogin.
Die Anforderungen hätten sich verschoben, soziale Fähigkeiten wie das Lösen von Konflikten seien viel stärker gefragt, würden aber erst seit einigen Jahren in der Ausbildung vermittelt. Katrin Heß nennt zwei weitere Kernkompetenzen, die mit dem klassischen Vermitteln von Lerninhalten eher nichts zu tun haben: im alltäglichen Gewusel den Überblick behalten und Organisationstalent. Ob Handtücher, um die Rutsche für das „Leserutschen“ trocken zu wischen, oder alte Plastikdecken fürs Tuschen – das passende Material, das zudem im entscheidenden Augenblick auch noch griffbereit sein muss, spielt eine entscheidende Rolle im Unterricht von Grundschülern.
Was die Kinder heute eint, sind Tablets und Smartphones, die, so Heß, gelegentlich auch schon in der Kinderkarre liegen. Wischen könnten die Kinder, doch insgesamt schwinden die motorischen Fähigkeiten. Schneiden, kneten, kleben, malen seien in den Elternhäusern auf dem Rückzug. „Fehlende Feinmotorik erschwert es den Schülern, schreiben zu lernen“, sagt die Lehrerin, für die jede Kunststunde mit Pinsel und Tuschkasten in den ersten Wochen zum Abenteuer wird: Viele kämen zum ersten Mal damit in Kontakt, entsprechend aufgeregt seien sie. Wassergläser kippten schon mal um, Farbe lande dort, wo sie nicht hingehört.
Gut aufgestellt
Es gebe Kolleginnen, die individuelle Lernpläne bevorzugten. „Ich versuche, einen gemeinsamen Sockel zu vermitteln, auf dem dann freies und individualisiertes Lernen aufbauen kann“, sagt Katrin Heß, die eine weitere Aufgabe anspricht: die Inklusion, das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne besonderen Förderbedarf. Der stehe aber beim Schulstart noch gar nicht fest. „Da sind wir Grundschullehrer dann gefordert“, sagt die Norderstedterin. Da arbeiten sie und ihre Kolleginnen mit den Sonderpädagogen der Förderzentren zusammen. Doch die sind in mehreren Schulen gefordert und nur zwei Stunden pro Woche in einer Klasse. Um sich abzustimmen, bleibe oft nur ein längeres Telefonat am Nachmittag. Ohnehin ende der Job ja nicht mit dem letzten Klingelzeichen. Eltern wollten, wie sie von Kolleginnen gehört habe, auch schon mal um 21 Uhr wissen, wie sich ihr Kind denn so mache. Die Zahl der Gespräche mit Vätern und Müttern habe zugenommen, es gebe immer drei bis vier Eltern, mit denen sie sich monatlich zum Austausch treffe, obwohl eigentlich nur ein Gespräch pro Jahr vorgesehen sei.
„Du bist halt immer auf Sendung“, sagt Katrin Heß. Am Vormittag in der Schule sowieso, wenn eine Schülerin die Pause nutzt, um der Lehrerin zu berichten, dass ihr Meerschweinchen gestorben ist, wenn Schuhbänder geknotet werden müssen, die Triefnase ein Taschentuch braucht, wenn zwei- bis dreimal pro Woche Aufsicht in den Pausen ansteht und mal wieder Streit auf dem Fußballfeld geschlichtet werden, Lernstoff mit der Kollegin abgestimmt oder die Schulsozialarbeiterin eingeschaltet werden muss. Da läuft der Pädagogen-Motor im Dauerbetrieb. Hinzu kommen Fach- und Zeugniskonferenzen, Elternabende, Klassenfeste, Ausflüge, Klassenfahrten, Fortbildungen und die Mitarbeit in schulinternen Arbeitsgruppen zum Beispiel zum Ganztagsangebot, Schulprogramm oder Medienkonzept.
Die Möglichkeiten, in Teilzeit zu arbeiten, sind bestens
Sie könne schon verstehen, wenn ältere Kolleginnen dem Schulalltag mit seinem Lärm und seinem Gewusel nicht mehr gewachsen seien. Sie selbst sieht sich in der „Blütezeit“, habe ausreichend Erfahrung, um „sich nicht drei Viertel des Tages wundern zu müssen“, und noch ausreichend Kraft für den Job. „Wer den ernst nimmt, kommt mit der vorgeschriebenen Wochenarbeitszeit nicht aus.“ 28 Stunden müssen Grundschullehrer in der Woche erteilen, hinzu kommt die Hälfte für Vor- und Nachbereitung und Korrekturen. „Dennoch war die Entscheidung für den Beruf die beste meines Lebens“, sagt Katrin Heß, die 20 Stunden unterrichtet. Die Teilzeitmöglichkeiten seien „sensationell“, das Gehalt ordentlich. Und wenn sie sehe, wo die Kinder nach vier Jahren stehen, was sie alles gelernt haben, wie selbstständig und selbstverantwortlich die meisten von ihnen arbeiten, dann könnten sie und ihre Kolleginnen sich durchaus auf die Schulter klopfen.