Kreis Segeberg. Zuckersüße Erfolgsgeschichte: Der größte deutsche Online-Versender von Süßigkeiten ist von Norderstedt nach Henstedt-Ulzburg gezogen.
Vielleicht wird es Markus Heide irgendwann, wenn er müde und grau geworden ist und sich aufs Altenteil zurückziehen möchte, so ergehen wie Willy Wonka, dem schillernden Chef der zauberhaften Süßigkeitenfabrik aus dem schaurig-süßen Märchen von Roald Dahl.
Der alte Wonka sucht einen, der sein Lebenswerk fortführen kann, einen, der angesichts des Paradieses seine Nüchternheit bewahrt, der den ewig lockenden Versuchungen widerstehen kann und Disziplin über Genusssucht stellt. Bei Wonka fallen fast alle Kandidaten durch: Der gefräßige Augustus Glupsch, die verwöhnte Veruschka Salz, die kaugummikauende Violetta Beauregarde und der fernsehspielesüchtige Micky Schießer. Sie alle pfeifen auf die Regeln, huldigen der Völlerei und erliegen so dem klebrigen Charme der Schokoladen, Bonbons, Lutscher und süßen Sünden in Wonkas Fabrik – nur der bescheidene Charlie aus ärmlichen Verhältnissen, der bleibt standhaft und hält sich an die Regeln – und erbt zum Lohn die ganze Fabrik.
Nun ist es keine Schokoladen-Fabrik, die Markus Heide sein Eigen nennt. In seinen Hallen an der Emmy-Noether-Straße im unglamourösen Gewerbegebiet in Henstedt-Ulzburg lagert, chaotisch durcheinander auf 12.000 Plätzen in schier unendlichen Regalmetern bis in schwindelerregende Höhe, all das, was die süßen Verführer, jene Haribos, Milkas, Mars, Oreos, Ferreros und Lindts dieser Welt in ihren Fabriken angerührt haben, insgesamt 9000 Produkte, vom einzeln verpackten Bonbon, über die mehrere Kilo schwere Keks-Großpackung bis zur ganzen Palette Schweizer Milchschokolade. Es ist die World of Sweets, die süßeste aller Welten, allerdings durchsetzt mit Chips, Salzstangen, Nüssen und Co, weil die gustatorische Schaukel ja gerne zwischen Süß und Salzig pendelt.
Während der Arbeit dürfen Mitarbeiter nicht naschen
Wenn Dagobert Ducks Geldspeicher die üppigste Fantasie des Geldliebhabers ist, dann ist die neue Halle des größten deutschen Online-Versenders für Süßigkeiten die des Zucker- und Schokolade-Fetischisten. Unter diesem Dach an den Regalen zu stehen und nicht in maßlose Völlerei zu verfallen – da braucht es Disziplin.
„Ich esse Süßigkeiten. Sehr gerne sogar. Aber ich mache auch sehr viel Sport. Bei mir würde das sonst alles sofort ansetzen.“ Markus Heide weiß um die manipulative Kraft der schönen Ware in den Regalen links und rechts und über ihm, und doch steht er ganz gelassen da, locker-sportlich mit dem Hemd über der Hose. In der 4000 Quadratmeter großen Halle riecht es – nein, nicht nach Schokolade oder Bonbon. Es riecht wie in anderen Lagerhallen auch, nach Karton und irgendwie mechanisch. Die Mitarbeiter, die hier umher huschen und in Einkaufswagen die bestellten Waren aus den Regalen fischen, tun dies mit dem selben Impetus wie Kollegen, die Maschinenbauteile kommissionieren. „Während der Arbeit dürfen wir nicht essen“, sagt eine Dame, die gerade dabei ist, eines der jährlich über 220.000 Pakete zu packen, die aus der World of Sweets in die reale Welt transferiert werden. Das ist etwas unfair. Denn oben, in den Büros der süßen Welt, da sitzen die Mitarbeiter neben M&M-Spendern und Tellerchen mit Schokolade. „Wir müssen die Ware ja vorher testen, wenn wir was drüber schreiben sollen“, sagt Markus Heide. Ach so, ja klar. Schlimmes Schicksal. World of Sweets ist ja virtuell und jedes der 9000 Produkte ist fein aufgelistet mit blumiger Beschreibung und sensorischer Einordnung im WWW zu finden.
In der Halle preist Markus Heide nun die Effektivität der neuen Logistik, das Pick-by-Light-System. Übersetzt läuft das in etwa so: Der Kunde – zu 90 Prozent ein deutscher Privathaushalt, ein deutsches Unternehmen oder ein Kiosk – klickt sich im Netz eine Tüte Gummibärchen, drei Curly Wurly und eine Packung Schweizer Schokowaffeln zur Bestellung zurecht, und kurze Zeit später blinken die Regale genau an den Stellen, wo diese süßen Sauereien liegen. Flugs mit schnellem Griff eingesammelt, liegen die Waren bald darauf im Karton und werden kurz darauf verschickt.
Auch wenn dieser Form des Kaufs von Süßigkeiten jener Zauber fehlt, den jeder aus seiner Kindheit noch kennt, wenn man sich im Freibad am Kiosk aus der imposanten Großpackung auf dem Tresen des Kiosk-Chefs eine Brauseperlenuhr oder ein paar Tütchen Ahoi-Brause gegen abgezähltes Taschengeld reichen ließ – der Online-Süßigkeiten-Versand des Markus Heide ist eine zuckersüße Erfolgsgeschichte. Die vor 13 Jahren in der Coppernicus-Apotheke in Norderstedt begann, betrieben vom Schwiegervater von Markus Heide, der das Süßholzraspeln nicht lassen konnte und selbst gemachtes Lakritz neben Pillen und Salben verkaufte. Heide, studierter Wirtschaftsinformatiker, der zwei Jahre lang in den USA seine Erfahrungen im E-Commerce gesammelt und sechs Jahre bei verschiedenen Firmen im Online-Geschäft gearbeitet hatte, mietete sich einen 1&1-E-Shop und stellte das leckere Schwiegervater-Lakritz ins Netz. Als im ersten Monat genau eine Bestellung auflief, war Heide so begeistert, dass er sozusagen Zucker leckte und weitermachte. Mehr Lakritz, weitere Hersteller. „Die Kunden in der Apotheke erzählten uns von Sorten, die sie auch mal gerne wieder essen würden.“
Und dazu kamen die Erzählungen von Urlaubern, die im Ausland genascht hatten und die zurück ihn Deutschland ihren Jieper auf die ausländische Ware im Handel nicht gestillt bekamen. Die grenzenlose, virtuelle World of Sweets war geboren. Große Hersteller, die anfangs lächelten und dankend ablehnten, als Markus Heide höflich anfragte, ob man sie vertreiben dürfe, sind heute hier mit ihrem Vollsortiment vertreten, ebenso wie kleine Spezialhersteller, die über die bedeutende Plattform ihren Geschäftserfolg sichern wollen. Wer Rang und Namen hat im Zuckergeschäft, darf in der World of Sweets nicht fehlen – 750 Marken sind es bereits. Tendenz: steigend.
Das Unternehmen übersprang beim Wachstum in den vergangenen 13 Jahren gleich Kindheit und Pubertät und ist jetzt schon ein ausgewachsener Player im süßen Business mit 40 Mitarbeitern und zeitweise 30 Saisonkräften an den Packanlagen. Heide und seine Mitstreiter zogen bislang viermal in größere Räume um, ehe man schließlich in Henstedt-Ulzburg im gerade frei gewordenen Gewerbegebäude eines Papierhändlers landete. In Norderstedt hatte es nichts Passendes gegeben. An der Emmy-Noether-Straße können sie demnächst aber noch eine weitere Halle anbauen – noch mal über 2000 Palettenplätze mehr.
Wenn Markus Heide von all dem spricht, von Logistik, Kapazitäten, von E-Commerce und B2B und B2C, dann ist wenig Platz für zuckersüße Verträumtheit in der World of Sweets. Und wenn er dann noch sagt, dass die Kinder ja nicht die Kundschaft seines Unternehmens seien, sondern Erwachsene, die Snack-Boxen in ihre Unternehmen stellen oder Großbestellungen für Aktionen tätigen oder Süßigkeiten für ihre Geschäfte zum Weiterverkaufen benötigen, dann gewinnt man den Eindruck, Markus Heide könnte vielleicht genausogut mit Maschinenbauteilen handeln – Hauptsache der Vertrieb läuft virtuell und in der Halle, gut geschmiert und optimiert.
Aber dann spricht er doch auch davon, dass ab und an die Kinder von Angestellten mit großen Augen durch die Hallen laufen. Dass er bei seiner Tochter als Candy-King natürlich nicht den schlechtesten Stand hat. Und dass er trotz aller Online-Vermarkterei immer noch ein Fan des guten alten Ladengeschäftes sei. Ihm schwebt vor, eine reale World of Sweets zu bauen, ein kunterbuntes Süßigkeiten-Kabinett, wo es alle süßen Träume zum Anfassen, zum Riechen und Schmecken gibt. „Mit großen Schütten! Im Willy-Wonka-Stil!“ Und wie beim literarischen Vorbild fragt man sich dann: Ist er nun bloß ein großer Verführer, oder ist er selbst der größte Fan seiner Leckereien?
www.worldofsweets.de