Christopher Schacht (23) aus Henstedt-Ulzburg hat nach dem Abitur 45 Länder besucht. Im Abendblatt erzählt er von seinen Abenteuern.
Mai 2016, irgendwo im Ostchinesischen Meer auf dem Weg von den Philippinen nach Südkorea. Taifun-Saison – wie eigentlich immer an diesem unwirtlichen Teil der Erde. Christopher Schacht und die Crew eines Segelbootes werden zum Spielball der Naturgewalten. „Wir hatten Sturm, es war sehr kalt, und wir hatten zwei Segel draußen, die wir nicht mehr rechtzeitig gerefft hatten.“ Das Boot hängt auf der Seite. „Die Wellen schlugen so stark auf den Bug, das waren Donnerschläge, das vergisst man nicht. Etwas anderes, als zu beten, kann man nicht machen. Man hat keine Ahnung, was außerhalb des Bootes ist, ob da irgendwo ein Frachter kommt.“
Es sind Momente wie dieser, die den Henstedt-Ulzburger heute davon überzeugen, dass ihn eine höhere Kraft begleitet und beschützt haben muss auf seiner unglaublichen, genau 1511 Tage währenden Reise um die Welt. 2013, er hatte soeben sein Abitur bestanden, entschied sich Christopher Schacht, etwas zu tun, was sich wohl jeder irgendwann einmal erträumt, es dann aber doch in der Regel wieder verwirft. „Schon mit 16, 17 Jahren wollte ich unbedingt die Welt sehen, ich war neugierig. Im Urlaub sind wir immer nur an die Nordsee nach Dänemark gefahren. Ich wollte eine Weile frei sein.“ Und diese „Weile“ dauerte vier Jahre.
Christophers Startkapital betrug lediglich 50 Euro
Vielleicht hat alles irgendwie funktioniert, weil er keinen fixen Plan hatte. „Ich hatte eine grobe Idee von dem, was ich sehen wollte, aber das wurde ständig angepasst. Es gibt das Ziel, dass ich einmal um die Welt möchte, aber da muss man flexibel sein.“ 50 Euro, mehr nicht, das war sein Startkapital. Sozusagen ein Wocheneinkauf in der Heimat. „Erstens hat man sowieso nicht genug Geld für eine Weltreise, es sei denn, man ist Millionär. Und zweitens war nach der Schule eine gute Zeit. Als junger Mann darf ich noch Fehler machen. Man lernt die Welt besser von unten als von oben kennen, ist auf dem gleichen Level wie die Leute – ich war gezwungen, sie kennenzulernen. Lächeln und eine Frage, das sind die besten Öffner für Gespräche.“
Er wartete noch den 90. Geburtstag seines Großvaters ab, dann zog er davon. Und war fast sofort wieder am Ende, weil er in Versuchung geriet. „Die allererste Herausforderung hatte ich in meiner ersten Nacht, als ich 35 meiner 50 Euro ausgegeben habe. Ich war mit zwei Schweden in deren Auto nach Amsterdam getrampt. Wir kamen dann in eine Bar, haben gekifft...“ Die Lektion saß, denn ab diesem Moment passte er auf jede Münze auf: „Mein Tageslimit waren maximal fünf Euro – zwei Euro für Essen, drei Euro für den Transport.“
"Ich wollte es ohne Flugzeuge machen"
Man darf sich die Weltumrundung nicht so vorstellen, dass Christopher Schacht in Reisebüros ging oder sich an Flughäfen erkundete. „Ich wollte es ohne Flugzeuge machen, ich bin nicht ein einziges Mal geflogen. Fliegen ist wie Teleportieren, man steigt ein, irgendwann wieder aus, ohne Gefühl für Raum und Zeit. Über Land und auf der See bekommt man ein Gefühl dafür, wie groß die Welt ist.“ Und wie groß? „Groß genug, damit man nie fertig wird, aber klein genug, um herumzureisen.“
Stattdessen hieß die Maxime: „Hand gegen Koje“. Denn ein Großteil der Erde ist nun einmal mit Wasser bedeckt. Auf sieben verschiedenen Booten war er unterwegs, die erste Fahrt ging von Gibraltar auf die Kapverden, und zwar nicht als Passagier, schon gar nicht als blinder, sondern als Arbeitskraft. Er übernahm Zimmererarbeiten, reparierte und schrubbte die Decks, lernte viele handwerkliche Kniffe. „Das war auch einer der Gründe, warum ich reisen wollte. Nach dem Abitur ist man ja ein ziemlicher Fachidiot.“
Nur durch Jobs konnte er überhaupt irgendwann wieder weiterziehen. Im Dschungel von Britisch-Guyana schürfte er Gold, in Rio de Janeiro verkaufte er Fruchtsalat, in Peru war er Tankwart, in der bolivianischen Uyuni-Salzwüste Tourguide. Das Verrückteste: „In Südkorea habe ich an einer medizinischen Studie teilgenommen und dafür 2000 Dollar bekommen. Die haben an mir Wachstumshormone getestet. Mein Geld habe ich immer in bar bei mir gehabt, ich hatte keine Kreditkarte. Die 2000 Dollar waren in Japan dann schnell weg.“
Seine Bekanntschaften haben ihn viel gelehrt über das Zusammenleben aller Menschen auf dem Globus. „Es sind sehr, sehr viele Freundschaften entstanden. Ich habe eine Excel-Kontaktliste mit mehr als 100 Namen – Venezuela, Brasilien, Peru, Panama, im Pazifik auf Fiji, den Philippinen, Korea, Vietnam, Indien, Pakistan, Iran... Am längsten war ich in Korea, ein halbes Jahr. Ansonsten durchschnittlich einen Monat, das war meistens genug, um einen Eindruck zu bekommen und zu sagen: Okay, ich weiß wie es wäre, hier zu leben.“
Über schlechte Straßen wird überall geschimpft
Was beispielsweise nicht ging: „Ich habe mich in Russland für ein Visa beworben, aber das haben sie mir nicht gegeben, weil ich es von Japan aus gemacht habe. Ich hätte dafür nach Deutschland gemusst.“ Das war aber eine Ausnahme. „Der deutsche Pass ist zusammen mit dem schwedischen der beste der Welt. Überall mögen sie die Deutschen. Mein Opa sagt, es ist nach dem Zweiten Weltkrieg unglaublich, dass Deutschland in einem so positiven Licht steht. Als ich auf den Salomon-Inseln war, wussten sie sogar über die Flüchtlingskrise in Deutschland Bescheid. In Peru haben mir Leute erzählt, dass sie auch einmal jemanden wie Hitler brauchen. Da dachte ich nur: Oh!“ Skurril hingegen: Über schlechte Straßen und die Unfähigkeit von Regierungen, diese zu reparieren, schimpfen nicht nur die Deutschen gern und häufig – sondern die Menschen in so gut wie jedem Land, das er bereist hat.
Was er ansonsten festgestellt hat, klingt trivial. „Wir sind alle Menschen – in unterschiedlicher Umgebung. So war ich im Iran bei einem Mann Anfang 20, der Militärdienst hatte. Wir waren müde, lagen mit dem Kopf auf dem Schreibtisch, das Handy in der Hand, es lief irgendwelche Chartmusik aus Amerika.“
So friedlich war es aber nicht immer. „Bei Menschen, die mich ausrauben wollten, habe ich das rechtzeitig gemerkt.“ Er war in Balutschistan, einer der gefährlichsten Regionen der Welt – Iran, Afghanistan, Pakistan. Rebellen, Sicherheitskräfte, die eher schießen, bevor sie fragen. Und mittendrin Christopher Schacht. Er besorgt sich angemessene Kleidung, einen Salwar Kamiz – hellblau. „Ich fand, damit würde ich nicht aggressiv aussehen.“
Schacht melde sich drei Wochen nicht bei seinen Eltern
Seine Eltern Kirsten und Jürgen waren 2014 nach Henstedt-Ulzburg gezogen, sein Vater wurde damals neuer Pastor der Kreuzkirche. Als er sich einmal drei Wochen lang nicht meldete, befürchteten diese, es sei ein Unglück geschehen und ihr Sohn sei tot. Über einen befreundeten Küster schickten sie ihm einen GPS-Tracker nach Rio de Janeiro, so konnte er wenigstens Lebenszeichen absenden.
Trocken erzählt er von einem Erlebnis in der pakistanischen Stadt Quetta. „Ich war auf einer Polizeistation, da war Ausgangssperre. Quetta ist eine Bandenhochburg, Drogen gehen durch diese Stadt. Dann haben sie zur Mittagszeit das Tor geöffnet, und es kam ein Wagen rein mit Einschusslöchern. Die Frontscheibe war voller Blutspritzer. 20 Minuten vorher hatten sie einen Typen abgeknallt. Der Polizeioffizier tippte mir dann auf die Schulter und sagte: Die gleiche Sorge habe ich um dich.“ Doch Christopher Schacht hatte Vertrauen – auch dank eines erstarkten Glaubens. „Ich habe vorher nie in der Bibel gelesen. Als ich aufgebrochen bin, habe ich an Gott und Jesus geglaubt, aber das hat nicht mein Leben so beeinflusst, wie es das jetzt tut. Jetzt richtet sich mein Leben danach aus.“
Mit Michal fand Christopher Schacht sein Glück
Fast wie ein Gleichnis berichtet er von einem Erlebnis aus der Südsee. „Ich war auf einer kleinen Insel der Fijis, dort haben sie immer glücklich gelebt mit ihren heißen Quellen.“ Gearbeitet wurde wenig, es war nicht nötig. „Dann kamen Segler, die haben den Einheimischen Hollywoodfilme auf DVD gezeigt. Das war das Schlimmste, was man ihnen zeigen konnte. Von diesem Moment an dachten sie, sie sind arm, sie wurden unzufrieden.“ Das führt ihn heute zu der Erkenntnis: „Ich habe gemerkt: Viele Menschen sind nicht glücklich, auch wenn sie einen hohen Lebensstandard haben. Es liegt also nicht unbedingt an den äußeren Umständen, wie glücklich wir sind. Ich glaube, nein ich weiß, dass Religion und Philosophie entscheidende Punkte sind.“ Und materielle Dinge? „Ich sehe das als Mittel. Viele Leute wollen mehr Geld, um einfach mehr zu haben, aber das macht nicht glücklicher.“
Er selbst fand sein persönliches Glück mit Michal, einer Architekturstudentin aus Mainz. „Als ich auf Fiji war, hat ,Focus Online’ einen Artikel über mich ins Internet gestellt. Michal hat das gelesen, mich angeschrieben, und wir sind in Kontakt geblieben. Wir haben uns 15 Monate lang geschrieben, ohne uns gesehen zu haben.“ Im April 2017 sahen sie sich das erste Mal in Mumbai, es entwickelte sich mehr als nur eine Freundschaft. Auf der letzten Etappe seiner Reise, in Rom, trafen sie sich kürzlich wieder.
Der 23-Jährige studiert nun am Theologischen Seminar Beröa
Wenn er jetzt über die Zeit spricht, fasst er die Reise so zusammen: „Im ersten Jahr habe ich gelernt, wie Reisen funktioniert, da hatte ich gar nicht die Zeit, um Länder und Kulturen kennenzulernen. Ich kümmerte mich um Visas, auch darum, wie man Schlafplätze bekommt, habe mir Essen und Arbeit organisiert. Im zweiten Jahr hatte ich mehr Zeit, mir die Welt anzugucken. Im dritten Jahr habe ich viel über mich selbst gelernt. Und im vierten Jahr habe ich begonnen, etwas weiterzugeben. Das Glück verdoppelt sich, indem man es teilt.“
Diese Mission will er fortführen. Vielleicht wird er ein Buch über seine Erlebnisse schreiben, vor allem aber studiert Christopher Schacht nun am Theologischen Seminar Beröa im hessischen Erzhausen, einer Einrichtung des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden. Er möchte Seminare geben, um das Christentum zu vermitteln und den Menschen helfen, eine höhere Lebensqualität zu finden. „Ich habe viele Ideen, möchte aber trotzdem studieren, um mit einer größeren Autorität sprechen zu können.“