Norderstedt . Die Einrichtung am Schützenwall in Norderstedt unterstützt 800 Menschen in der Woche mit Lebensmittelspenden.
Und dann kommt sogar ein leibhaftiger Ritter durch die Tür der Tafel Norderstedt am Schützenwall 49. Der Ritter hat zwar kein Streitross vor der Tür angebunden, dafür aber einen japanischen Kleintransporter voller Rührkuchenpackungen geparkt. Ritter ist er, weil er Teil des 900 Jahre alten, spanischen Ordens Saint-Sauveur du Montreal ist, der bis heute in ganz Europa Gutes tut. Und palettenweise Rührkuchen hat der Ritter übrig, weil eine Veranstaltung ins Wasser fiel und der Kuchen leider nicht wegging. Nun sollen ihn eben Bedürftige bekommen. „Bis Donnerstag noch haltbar“, sagt Ingrid Ernst. „Kriegen wir weg. Vielen Dank!“
Alltag in der Tafel Norderstedt. An die zwölf Tonnen Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum erreicht ober überschritten ist, werden hier Woche um Woche an derzeit etwa 800 Bedürftige verteilt. Sie werden in der Regel nicht von Rittern, sondern von Supermärkten und Geschäften in der Region gespendet. Flüchtlinge aus den Norderstedter Unterkünften, Rentner, bei denen die Rente nicht reicht, Langzeitarbeitslose, Obdachlose oder sonst wie Gestrauchelte – sie alle sind dankbar für das, was andere wegwerfen.
Ingrid Ernst (65) macht den ehrenamtlichen Vorstandsjob jetzt schon seit 15 Jahren. Eigentlich würde sie gerne langsam aufhören. Dafür müsste ein Nachfolger her, doch der oder die ist nicht in Sicht. „Ich sage allen, die hier anfangen, dass sie einen starken Rücken brauchen – in jeder Beziehung. Physisch und psychisch.“ 20-Kilo-Lebensmittelkisten schleppen und Bedürftigkeit in all seinen Formen ertragen können – die Grundeigenschaften eines guten Tafel-Helfers. Etwa 160 sind es derzeit, entweder als Fahrer für die Lebensmittel oder als Helfer in der Ausgabe. „Ich denke, dass es Sinn machen würde, die Leitungsarbeit in die Hände eines bezahlten Geschäftsführers zu legen“, sagt Ernst. Ein Modell wäre es, wenn mehrere Firmen monatlich Teilbeträge spenden, mit denen sich die Stelle finanzieren lassen würde. Dann hätte das händeringende Suchen nach ehrenamtlichem Führungspersonal ein Ende.
„Die Tafel Norderstedt ist eigentlich ein mittelständischer Betrieb“, sagt Margrit Grebe. Seit zwei Jahren ist die Tangstedterin bei der Tafel dabei. Ihre kaufmännische Erfahrung brachte sie in die Organisation ein, bereinigte die Zahlen der Tafel und führte eine Kontrolle bei der Ausgabe ein, die diesen Namen auch verdient. Jeder, der was will, muss sich vorher ausweisen. „Wir haben jetzt Laptops, auf denen wir die Namen mit unseren Listen abgleichen.“ Jeder darf nämlich nur zweimal im Monat zur einer der elf Ausgabestellen der Tafel in Norderstedt, Hamburg und Umgebung kommen. Und schummeln ist jetzt nicht mehr möglich. „Seither haben wir plötzlich gut 100 Kunden weniger und konnten eine Ausgabe einsparen“, sagt Grebe.
Den Bedürftigen macht hier niemand einen Vorwurf. „Aber es gibt einen nicht größer werdenden Kuchen, den wir an immer mehr Leute verteilen müssen“, sagt Ernst. „Und wer zu oft kommt, nimmt anderen etwas weg.“ Nach den großen Flüchtlingswellen in den vergangenen Jahren, als mehr als 1000 Menschen bei der Tafel regelmäßig Schlange standen, haben sich die Zahlen nun normalisiert.
Investiert hat die Tafel in einen neuen Container, in dem haltbare Lebensmittel lagern. „Und da zeigte sich wieder, wie außergewöhnlich die Spenden- und Hilfsbereitschaft in Norderstedt ist“, sagt Ingrid Ernst. Die Firma Eggers spendete das Fundament für den Container, die Stadt das Grundstück, die Stadtwerke die Solarpanele auf dem Dach und Elektro Wiening die Installationen. Und damit die 500 bis 600 Kilo an Bio-Müll, die bei der Tafel in der Woche anfallen, im Sommer kein Eigenleben entwickeln, spendete das Bauzentrum Beckmann noch dazu ein Holzhäuschen mit Klimaanlage für die mitunter 20 Bio-Tonnen. „Und das Betriebsamt Norderstedt holt unseren Bio-Müll jetzt kostenlos ab. Da sparen wir gut 6000 Euro im Jahr“, sagt Margrit Grebe.
Im Team der Tafel werden laufend ehrenamtliche Helfer benötigt. „Wir würden uns vor allem auch mal jüngere Menschen wünschen“, sagt Grebe. Den meistens sind es die Rentner, die ihr Mehr an Zeit in die Tafel investieren. Und die meisten sind lange dabei. „Ich würde sagen, das Team in Norderstedt ist ziemlich perfekt.“ Aber – wie gesagt: Der Rücken muss hier stark sein, und das ist er nun mal nicht ewig.