Bad Segeberg. Viele kleine und große Ereignisse sind im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. Das Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben

15 Kilogramm schwer, 1,6 Meter lang – ein ideales Maß für einen Gartenpfosten. Stabil, ausreichend groß. Warum also nicht? Irgendjemand mit einem kleinen Häuschen direkt am Segeberger Kalkberg sah dieses unscheinbare Stück Metall und befand es für gut und ausreichend, um es zu einem Gartenpfosten umzufunktionieren. So war es schließlich nach dem Krieg: Rohmaterial jeder Art war schwer zu bekommen – alles, was irgendwie brauchbar erschien, wurde nutzbar gemacht.

Aber der Hausbesitzer hatte natürlich keine Ahnung, welches Geheimnis hinter dem simplen Eisenrohr steckte. Heute weiß man es: Auf nicht mehr erforschbare Weise überstand der Lauf der Segeberger Wallbüchse die Zerstörung der Siegesburg und die anschließenden Jahrhunderte in der Segeberger Altstadt.

Das Eisenrohr wäre wahrscheinlich längst eingeschmolzen worden, wenn nicht vor etwa 50 Jahren ein aufmerksamer und kundiger Segeberger aus einem großen Haufen Altmetall genau dieses Teil herausgefischt hätte.

Jürgen Tegethoff-Harder, heute 79 Jahre alt, ist es zu verdanken, dass die Wallbüchse, also eine Feuerwaffe, die vermutlich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf der backsteinernen Bollwerksmauer zur Verteidigung der großen Burg auf dem Kalkberg stand, im Museum Alt-Segeberger Bürgerhaus direkt neben dem Rathaus an der Lübecker Straße zu besichtigen ist.

Die Büchse wurde als Zaunpfosten zweckentfremdet

Ein Teil des Geheimnisses ist bis heute nicht gelöst – und es wird auch nie gelöst werden: Wie überstand diese Büchse den Lauf der Jahrhunderte? Wo lagerte sie? Wie genau wurde sie gefunden. Fest steht: Sie wurde gefunden und als Zaunpfosten zweckentfremdet.

Irgendwann vor 60 oder 65 Jahren landete der Zaunpfosten praktisch als Abfall auf dem Schrottplatz des Altmetallhändlers Werner Baurycza, der wiederum ein guter Freund des Autohändlers Jürgen Tegethoff-Harder war, der lange ein VW-Autohaus in Bad Segeberg betrieb. Der passionierte Waffensammler nämlich war praktisch Stammgast auf dem Schrottplatz seines Freundes, um die Berge von Altmetall nach brauchbaren und wenn möglich auch wertvollen Dingen zu durchsuchen. Dabei fiel sein Blick auf das unscheinbare Eisenrohr. Andere hätten es vermutlich als unbrauchbar eingestuft, aber Jürgen Tegethoff-Harder war sofort elektrisiert. Er wusste genau: Dieses Ding ist etwas Besonderes.

„Ich habe einfach einen Blick dafür“, sagt der Segeberger, der in seinem Haus eine umfangreiche Waffensammlung hegt und pflegt. „Das muss so etwa 1965 gewesen sein.“ Das entdeckte er an dem Eisenrohr: Kimme, Zündloch und Metallnasen, die im Mittelalter am Holzschaft eines mobilen Bocks befestigt waren. Seine Recherchen ergaben, dass das schmucklose Rohr einst Lauf einer Wallbüchse, also einer Mischung aus Kanone und Gewehr, war.

Das war’s zunächst. Das historisch wertvolle schmiedeeiserne Rohr wurde Bestandteil seiner Waffensammlung. Jürgen Tegethoff-Harder blieb über Jahrzehnte im Besitz eines interessanten Stücks der Segeberger Geschichte, aber kaum jemand wusste davon.

Inzwischen wurde die Wallbüchse restauriert

Erst 2014 trennte sich der Besitzer von seinem guten Stück. Zunächst überließ Jürgen Tegethoff-Harder es als Leihgabe dem Museum Alt-Segeberger Bürgerhaus, 2015 ging es in den Besitz des Freundeskreises Segeberger Bürgerhaus von 1541 über. Der örtliche Lions Club und die Sparkasse Südholstein unterstützten den Ankauf finanziell.

Unter der Leitung von Museumsleiteer Nils Hinrichsen wurde die gesamte Wallbüchse inzwischen nach historischem Vorbild restauriert. Die Büchse bekam einen Schaft aus Eichenholz, der Lauf wurde geschliffen und ausgehöhlt, das Gestell (Lafette) gebaut.

Der Einsatz von Festungswaffen auf der Siegesburg ist mehrfach und in unterschiedlichen Quellen bezeugt: Auf einem Ölbild von 1595 in der Marienkirche sind drei Geschütze hinter der östlichen Wallmauer zu erkennen. Nach der endgültigen Zerstörung der Burg im Jahre 1644 muss die Waffe irgendwie in die Segeberger Altstadt gelangt sein.

Wo das Geschütz einst gestanden hat, können Besucher des Museums in einem Extra-Raum gleich links hinter dem Eingangstresen erkennen: Dort nämlich steht ein großes Modell der Burg, die auf diese Weise wieder aus dem Dunkel der Geschichte auftaucht. Die Siegesburg, 1128 vom dänischen Herzog Knud Lavard erbaut, war eine der drei größten Höhenburgen Schleswig-Holsteins. Bereits 1130 wurde sie zerstört. Der römisch-deutsche Kaiser Lothar von Supplinburg ordnete nach einem Ratschlag des Missionars Vizelin 1134 einen Neubau der Burg auf dem Kalkberg an, die am Rande des Grenzgebietes zu den slawischen Wagriern als Stützpunkt für die Christianisierung Slawiens dienen sollte.

Nach Jahrhunderten intensiven Abbaus am Kalkberg zeugt heute nur noch die untere Hälfte des einzigen in Fels geschlagenen Burgbrunnens Norddeutschlands in einer steilen Abbauwand mit seinen erhalten gebliebenen rund 42 Metern Tiefe von der einstmals mächtigen Siegesburg.

Das Museum Alt-Segeberger Bürgerhaus, Lübecker Straße 15, ist dienstags bis sonntags jeweils von 12 bis 17 Uhr geöffnet.