Kreis Segeberg. Gemeinden im Kreis Segeberg müssen viele Anfragen von Flüchtlingen ablehnen. Das Thema wird offen bei den Verantwortlichen diskutiert
Es ist ein Sonderfall, der immer wieder die Gemüter erregt: das Kirchenasyl. Flüchtlinge, denen die Abschiebung droht, begeben sich unter die Obhut einer Kirchengemeinde, werden von ihr versorgt und betreut – in der Hoffnung, dass damit die Entscheidung der zuständigen Behörden revidiert wird. Immer wieder erhalten Kirchengemeinden auch im Kreis Segeberg Anfragen von Flüchtlingen, die bei ihnen Unterschlupf und Hilfe suchen. „Wir haben eine große Menge an Anfragen, die aber nicht alle bedient werden können“, sagt Propst Kurt Riecke vom Kirchenkreis Altholstein mit Sitz in Bad Bramstedt. „Das Kirchenasyl erfolgt in enger Absprache mit den Behörden“, sagt Riecke.
Zuständig sind die Landkreise. Und die ärgern sich immer wieder über die Kirchengemeinden. Der Landrat des Kreises Rendsburg-Eckernförde, Rolf Schwemer, kritisierte jüngst eine Gemeinde, die in Flintbek bei Kiel einen Flüchtling im Keller eines Kita-Gebäudes untergebracht hatte – allerdings ohne Zugang zur Kindertagesstätte. Ein anderer Flüchtling im Kirchenasyl in Bünsdorf bei Rendsburg hatte Kontakt mit Kindern und Jugendlichen, bevor bei ihm Tuberkulose diagnostiziert wurde und damit die Gefahr der Ansteckung mit der schweren Krankheit bestand. Rendsburgs Landrat kritisiert, dass das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch die Tolerierung des Kirchenasyls den zivilen Ungehorsam gegen sich selbst legitimiert. „Damit kratzt der Staat an seinem eigenen Fundament“, so Schwemer. Insbesondere ärgert es ihn, dass vor allem Flüchtlinge im Kirchenasyl leben, die anlässlich des Dublin-Verfahrens in das EU-Ausland abgeschoben werden sollen.
Im Kreis Segeberg sind die Diskussionen noch nicht hochgekocht. Landrat Jan Peter Schröder mag sich der Kritik seines Kollegen aus Rendsburg nicht anschließen: „In dieser seit jeher strittigen Frage hat jeder seine Sichtweise und ein Richtig oder Falsch kann und sollte es nur im Einzelfall geben.“ Eine genaue Zahl, wie viele Menschen derzeit in den Kirchengemeinden Asyl erhalten, gibt es nicht. Die Kreisverwaltung schätzt, dass das Kirchenasyl aktuell vier bis fünf Personen betrifft. Im ganzen Kreis Segeberg. Landesweit gab es Anfang August nach Angaben von Dietlind Jochims, Flüchtlingspastorin der evangelisch-lutherischen Nordkirche, insgesamt 18 evangelische Kirchenasyle, in denen 49 Personen lebten. Zusätzlich meldet das Erzbistum Hamburg zwölf Fälle in katholischen Einrichtungen in Schleswig-Holstein.
Kirchenasyl ist eine diskrete Angelegenheit. Propst Riecke will keine konkreten Fälle nennen und sagt nur allgemein: „Das Thema wird sehr offen in den Gemeinden diskutiert. Es gab auch Gemeinden, die gesagt haben: Das schaffen wir nicht.“
Erfahrung mit mehreren Einzelfällen hat Pastor Christian Stehr von der Kirchengemeinde Vicelin-Schalom in Norderstedt. Vor drei Jahren beispielsweise lebte er längere Zeit mit einer Roma-Familie Tür an Tür, die aus Sicht der Gemeinde gut integriert war und der eine Abschiebung nach Serbien drohte, wo Roma ein Leben als Ausgestoßene am Rande der Gesellschaft führen. Die Abschiebung konnte verhindert werden. Der Fall der Roma war vorerst der letzte von drei Kirchenasylen, die die Gemeinde in der Amtszeit von Christian Stehr als Pastor gewährte. Derzeit ist das Schalom eine Baustelle. „Es gibt Anfragen, sie werden aber derzeit ohne Prüfung mit nein beantwortet. Wir haben einfach den Platz nicht“, sagt Stehr. Nach der Wiedereröffnung könne sich das ändern.
Auch in der Geschichte des Kirchenasyls der vergangenen Jahrzehnte spielt die Schalom-Kirche am Lütjenmoor eine besondere Rolle. Bis heute klingt die Besetzung der Kirche durch Flüchtlinge und ihre Unterstützer aus dem Jahr 1991 nach, die rechtlich kein Kirchenasyl war, die für Aufsehen gesorgt hatte. Die Besetzer wollten verhindern, im Osten Deutschlands einquartiert zu werden. Sie hatten Angst vor Angriffen von Rechtsextremen. Die Besetzung damals hat die Kirchengemeinde viel Kraft gekostet. Für Pastor Stehr ist klar, dass es soweit nicht mehr kommen dürfe. Im Kirchenasyl müsse es um konkrete Personen gehen, nicht um ein Politikum.
Auch Pastor Mathias Krüger von der Kreuzkirche in Henstedt-Ulzburg schaut bei Anfragen auf den Einzelfall. Die Person müsste schon vorher Kontakt zur Kirche und zur Gemeinde gehabt haben. „Gerade Christen wollen wir unterstützen.“ Hier habe er schon einige Entscheidungen des Bundesamtes erlebt, die er nicht nachvollziehen kann. Im Notfall wäre seine Gemeinde bereit, durch Kirchenasyl zu helfen, so Krüger. Flüchtlingspastorin Jochims rät: „Gut ist es, wenn Kirchengemeinderäte grundsätzlich beraten, was sie sich vorstellen können, was ihre Kriterien und Möglichkeiten sind, wenn sie die Beratungsstrukturen kennen.“