Kreis Segeberg. Viele Ereignisse sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Abendblatt geht auf Spurensuche. Heute: der kleinste Mensch der Welt.

Das Konfirmationsfoto aus dem Jahr 1910 unterscheidet sich in einer Nuance von anderen Konfirmationsbildern, die Jahr für Jahr aufgenommen werden: Pastor Johannes Mohr aus Garbek hält ein kleines Kind, kaum größer als ein Baby, auf dem Schoß. Das ist nicht sein Kind, sondern ein Konfirmand wie alle anderen Kinder auf diesem Bild – nur eben viel kleiner. Johannes Heinrich Wilhelm Behrens, kurz Heini genannt, ist so klein geblieben: Zeit seines Lebens galt der in Garbek zur Welt gekommene Heinrich als „kleinster Mensch der Welt“. Ganze 75 Zentimeter groß, aber in Zirkuskreisen galt Henry, wie er sich später nannte, als ein Großer.

Die Ursachen für einen extremen Kleinwuchs sind unterschiedlich, woran es bei Heinrich Behrens lag, kann heute nicht mehr geklärt werden. Die Proportionen stimmten bei ihm, aber alles war erheblich kleiner als bei anderen Menschen. In seiner Familie war er der einzige, der unter Kleinwuchs litt. Christoph Frommhagen (84) aus Rohlstorf, der 17 Jahre lang Pastor für Garbek und Umgebung war, hat die Geschichte des kleinen Mannes sorgfältig recherchiert, hat Fotos und Zeitungsausschnitte gesammelt. Am 21. Mai 1894 wurde Heini Behrens als uneheliches Kind in Garbek geboren, lernte später den Beruf des Schneiders und legte somit selbst die Grundlage dafür, dass er stets tipptopp gekleidet durchs Leben ging.

Der ehemalige Pasotr Christoph Frommhagen aus Rohlstorf hat Unterlagen über Henry Behrens zusammengetragen
Der ehemalige Pasotr Christoph Frommhagen aus Rohlstorf hat Unterlagen über Henry Behrens zusammengetragen © HA | Frank Knittermeier

Offenbar war der kleine Heini komödiantisch veranlagt. Zumindest gibt es Erzählungen darüber, dass er auf dem Gut Wensin bei Festivitäten als Unterhalter aufgetreten sein soll. Irgendwann in den 1930er-Jahren verließ er Deutschland – Christoph Frommhagen vermutet, dass er vor den Nazis geflohen ist – und ließ sich in England nieder, wo er unter dem Namen Henry Behrens eine Karriere als Unterhaltungskünstler beim größten englischen Zirkus begann. Hier lernte er auch seine spätere Frau Emmie Lawson aus Leeds kennen, die mit 91 Zentimetern fast einen Kopf größer war, trotzdem aber als kleinste Musikerin der Welt galt. Am 10. September 1932 heiratete das Paar in Leipzig.

Wer sich die Mühe macht, im Internet nach Henry Behrens zu forschen, findet eine Reihe von Fotos aus der damaligen Zeit. Zum Beispiel dieses: Henry Behrens lässt sich, auf einem kleinen Wagen sitzend, von seiner Katze durch London ziehen. Britische Zeitungen berichteten auch von einer „Sensational World Tour“, die Henry und seine Frau als Act „Music in Miniature“ absolvierten. Das Foto zeigt beide mit ihren kleinen Akkordeons. Auf Youtube gibt es einen Kurzfilm der BBC, der Henry Behrens im Jahr 1949 zeigt: Im maßgeschneiderten Anzug spaziert er pfeiferauchend durch London und zieht Blicke auf sich. Der Sprecher verkündet: „Henry ist mit der kleinsten Frau der Welt verheiratet.“

Fünf Elefanten gegen das kleinste Ehepaar der Welt

1956 machte Henry Behrens auch in Deutschland Schlagzeilen: Er hatte den größten Zirkus Englands auf Schadensersatz verklagt, weil fünf Elefanten seine winzige Schaubude überrannt und niedergetrampelt hatten. Aus der zertrümmerten Bude wurde der kleine Mann unversehrt geborgen, aber seine Frau Emmi wurde dabei so schwer verletzt, dass sie nicht mehr als Musikerin auftreten konnte. 41.000 D-Mark Schadensersatz sprach das Gericht dem Ehepaar zu. „Fünf Elefanten gegen das kleinste Ehepaar der Welt – die Tragödie des Liliputaners“, titelte die „Bild“.

Am 26. April 1961 starb Henry Behrens im englischen York an einer Thrombose. Seine Frau war bereits ein Jahr vorher an den Spätfolgen des Elefanten-Unfalls gestorben. In Garbek gibt es heute niemanden mehr, der Johannes Heinrich Wilhelm Behrens noch persönlich erlebt hat. Es kursieren zwar Erzählungen, dass er in seiner Stammkneipe gerne „Lütt un Lütt“ gepichelt haben soll, aber die Spur seiner Familie hat sich aufgelöst. Nur Christoph Frommhagen hat sie zurückverfolgt und sogar einen Stammbaum angelegt.

Schon einige Jahrzehnte vorher hatte es ein kleinwüchsiges Paar aus dem Kreis Segeberg gegeben, das als „die kleinsten Menschen der Welt“ auf der ganzen Welt herumgezeigt wurde. Hinrich Drews wurde 1847 in Kükels geboren, Elise Lohse 1859 in Großenaspe. Der Schausteller Josef Sedlmayr aus Dunstelkingen im Landkreis Heidenheim in Baden Württemberg engagierte beide für die „Schau menschlicher Abnormitäten“ und reiste mit ihnen durch alle Kontinente. „Marquise Louise“ und „Marquis Wolge“ waren die Künstlernamen des Paars, das im wirklichen Leben allerdings nicht verheiratet war. Wie groß beide waren, lässt sich heute nicht mehr sagen. Vermutlich aber zwischen 75 und 85 Zentimeter.

Christa Baltruweid aus Großenaspe ist eine Großnichte von Elise Lohse und konnte, als es ihr noch besser ging, so manch interessante Geschichte über „Tante Elise“ erzählen. Heute ist sie aber nicht mehr in der Lage, sich daran zu erinnern.