Kreis Segeberg. Ein Selbstversuch: Kann man es über die neue Mitfahr-Atkion in Bad Segeberg durch den ganzen Kreis bis nach Norderstedt schaffen?
Es ist ein sonniger Vormittag in Bad Segeberg. Viele Menschen tragen Cowboyhüte, flanieren durch die Straßen und lassen sich gemütlich in den Cafés nieder. Für einen kurzen Moment überlege ich mir, mich dazu zu setzen. Doch eigentlich will ich ja weg von hier. Ich habe heute einen besonderen Plan: Ohne Geld durch den Kreis kommen – genauer gesagt von Bad Segeberg nach Norderstedt. Von der Theodor-Storm-Straße aus bräuchte ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln 1,5 Stunden und würde sieben Euro zahlen. Geht das schneller und vor allem günstiger?
11 Uhr: Ich bin auf der Suche nach der grell-blauen Mitfahrbank – und finde sie einfach nicht. Macht nichts. Irgend ein Anwohner wird mir sicher den Weg weisen. Nachfrage bei Passanten. Antwort: „Eine Mitfahr-Was?“
Hinter der Mitfahrbank steht die Idee, Menschen ohne Auto zum Einkaufen, Arzttermin oder zur nächsten Veranstaltung mitzunehmen. Damit das Konzept aufgeht haben sich knapp 20 Autofahrer in Bad Segeberg als Mitfahrbank-Fahrer registriert und sich einen kleinen blauen Aufkleber auf die Windschutzscheibe geklebt. Herumgesprochen hat sich das Konzept wohl noch nicht. Ich muss zahlreiche Segeberger ansprechen, bis mir ein Schüler des Bildungszentrums den Weg zur nächsten Bank an der Falkenburgerstraße erklärt.
"Dann musst du wieder zwei Stunden warten"
11.15 Uhr: Ein bisschen versteckt steht die Bank, dafür sehr idyllisch direkt unter einem Baum. Ich sitze und warte auf die Mitfahrgelegenheit. Es fühlt sich deutlich entspannter an als Trampen. Da ist es jedesmal irgendwie demütigend, den Autos hinterher zu rennen, die am Ende doch nicht anhalten.
11.45 Uhr: Ich darf meine Position nicht verlassen! Es könnte ja ein Mitfahrbank-Fahrer kommen. Aber mir ist nach etwas Unterhaltung, also rufe ich einem älteren Herrn zu, der soeben auf der anderen Bank Platz genommen hat, er solle sich doch zu mir setzen. Er setzt sich und möchte wissen, was ich hier mache. Euphorisch erzähle ich von meinem Vorhaben. Er dämpft meine Hochstimmung. „Ich würde sowas nie machen! Jetzt wartest du hier noch ‘ne Stunde. Dann kommt einer, der fährt nach Lübeck. Was machst du dann? Dann musst du wieder zwei Stunden warten. Das ist doch Scheiße.“
Auf der Mitfahrbank habe er noch nie jemanden sitzen sehen – und er sei oft da. Er steht auf und geht zurück auf seine Bank. Hat er recht? Verschwende ich hier wirklich meine Zeit? Andererseits – beim Trampen habe ich auch schon länger als eine Stunde an der Straße gestanden, bis überhaupt ein Auto angehalten hat. Da sitze ich lieber noch bisschen auf meiner bequemen Bank.
20 registrierte Mitfahrbank-Fahrer sind zu wenig
12.15 Uhr: Mittlerweile fährt das zehnte Taxi an meiner Bank vorbei und erinnert mich schmerzlich daran, dass ich es so leicht haben könnte. Aber im Gegensatz zu den Menschen im Taxi entschleunige ich gerade und lasse mir mein Leben nicht von Busabfahrtzeiten diktieren. Ich sitze auf meiner Bank, genieße die Stille und lese ein Buch.
Ich bin 21 Jahren. Warten kann meine Generation nicht mehr – wird uns unterstellt. Aber seit dem ich hier sitze, habe ich nicht einmal auf mein Handy geschaut. Mein Vorschlag: Jedes nervöse Kind, das angeblich das Warten verlernt hat, sollte eine Stunde pro Woche auf die Mitfahrbank.
12.45 Uhr: Wenn ich den Bus genommen hätte, wäre ich in jetzt in Norderstedt Mitte ausgestiegen – der Gedanke lässt meine innere Ruhe der Ungeduld weichen. 20 registrierte Mitfahrbank-Fahrer sind zu wenig!
Ich! Will! Hier! Weg!
Die Idee...
Eine Frau auf Krücken kommt angehumpelt. Genau für solche Bürger ist die Mitfahrbank da. Nein, sagt die Frau, lieber gehe sie auf Krücken einkaufen, als sich auf diese Bank zu setzen. „Ich habe hier nie jemanden sitzen sehen.“ Andere Passanten bestätigen mir: Ich bin der Erste, der auf diese „verrückte Idee“ gekommen ist.
Nach zwei Stunden: Strategiewechsel
13.25 Uhr: Nach zwei Stunden warten, reicht es mir – Strategiewechsel. Ich nehme mein Schicksal selbst in die Hand und bastle mir ein Schild zum Trampen. „Richtung Norderstedt“.
13.40 Uhr: Ich stehe beim Parkplatz von Möbel Kraft und halte Schild und Daumen raus. Die Autofahrer lächeln mich unsicher an, machen eine entschuldigende Geste, andere versuchen meinem Blick auszuweichen.
13.55 Uhr: Eine Viertelstunde stehe ich nun schon am Straßenrand. An vorbei fahrenden Autos mangelt es nicht. Endlich, es winkt mir ein bärtiger Mann aus seinem Auto zu. Ich kann es kaum glauben. Ich öffne die Beifahrertür und frage wo er hinfährt. Eine Antwort bekomme ich nicht, sondern einen Zettel mit einer Adresse in Norderstedt hingehalten. Komisch, dass er nicht spricht. Ich steige trotzdem ein.
14 Uhr: Hubert kann nur sehr schwer sprechen – ein Unfall vor vielen Jahren. Rechtsseitige Lähmung und beeinträchtigtes Sprachzentrum. Damit er nur mit einem Fuß und einer Hand fahren kann, hat er sein Auto umbauen lassen. Eigentlich nimmt Hubert keine Anhalter mit. Einmal hat er eine junge Frau mitgenommen, aber dabei ein schlechtes Gefühl gehabt. Ich bin tatsächlich der zweite Anhalter überhaupt in seinem Leben. „Ich habe auf deinem Schild gesehen, wo du hinwolltest. Das gab mir ein gutes Gefühl.“ Es macht großen Spaß von Hubert im klimatisierten Auto gefahren zu werden. Unterhaltsamer als eine Zugfahrt ist es auch.
14.38 Uhr: Norderstedt! Ich verabschiede mich von Hubert. Meine Mission ist geglückt. Fazit: Mitfahrbank? Vergiss es. Warte auf Hubert. Oder fahr mit Bus und Bahn.