Norderstedt. Das Gedächtnis der Stadt Norderstedt bekommt endlich einen zentralen Standort und will sich dort den Bürgern stärker öffnen.
Eine hübsche rote Schleife hält ein Rolle von Protest-Papieren zusammen. Die Eltern haben Unterschriften gesammelt, damit die Kita-Gebühren bei 75 Mark bleiben. Das Amtsblatt von 1913 erläutert eine Schießübung für die 4. Matrosen-Artillerie an der Ostsee, und im gleichen Jahr musste ein Garstedter 40 Reichsmark und elf Pfennige Steuern zahlen, wie das Gemeindeeinnahmebuch verrät, natürlich in gestochener Sütterlin-Schrift – drei Fundstücke aus dem Archiv der Stadt Norderstedt.
Das Gedächtnis der Stadt ruht auf 240 Meter Regalen, die sich auf 350 Quadratmeter und drei Standorte verteilen. Das Magazin im Keller des Feuerwehrtechnischen Zentrums an der Stormarnstraße ist mit 250 Quadratmetern der größte Lagerplatz für historische Dokumente, auf 50 Quadratmetern lagern vor allem Fotos im Büro des Stadtmuseums am Friedrichsgaber Weg. Im Rathaus gibt es noch ein Zwischenlager mit 50 Quadratmetern, wo alte Dias und Akten untergebracht sind, auf die die Mitarbeiter der Verwaltung noch zugreifen müssen.
Das soll sich nun ändern: Alte Akten, Pläne, Fotos und Protokolle werden künftig zentral im neuen Bildungshaus gelagert und archiviert. Zu den bisherigen 350 Quadratmetern kommen 50 als Reserve hinzu. Das hat der Kulturausschuss beschlossen. Damit wird neben der Volkshochschule und der Stadtbücherei ein dritter Partner in den knapp zehn Millionen Euro teuren Neubau auf dem Gelände der jetzigen Bücherei Garstedt hinter dem Herold-Center einziehen. „Diese Entscheidung begrüßen wir sehr, erleichtert sie uns doch die Arbeit und gibt uns die Chance, die Stadtgeschichte für die Bürger zu öffnen“, sagte Marlen von Xylander, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stadtarchiv und Stadtmuseum, die den Antrag zusammen mit ihrer Kollegin Romy Rölicke gestellt hatte.
Allerdings äußerten einige Politiker zunächst Bedenken. „Es gibt einen gültigen Beschluss und ein Konzept für das Bildungshaus, um das der Bildungswerkeausschuss lange gerungen hat. Das müsste verändert werden, wenn das Stadtarchiv mit einzieht“, sagt Bernhard Luther von den Grünen. Miro Berbig, Fraktionschef der Linken, kritisierte das Zuständigkeitswirrwar: Der Bildungswerkeausschuss, der Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr und der Kulturausschuss beschäftigten sich mit dem Bau des Bildungshauses. Christoph Mendel von der SPD plädierte zwar auch dafür, das Stadtarchiv zu zentralisieren, forderte aber, weitere Standorte zu prüfen. Cornelia Wangelin schlug vor, das Stadtarchiv im geplanten Rathausanbau zusammen mit dem neuen Stadtmuseum unterzubringen.
„Das würde die jetzt möglichen Ausbaukapazitäten für den Rathausanbau übersteigen. Dann müssten wir zusätzlich 1,5 Geschosse oben drauf setzen. Das könnte zu Verschattungen bei der angrenzenden Wohnbebauung führen und das Verfahren erheblich komplizierter machen“, sagte Baudezernent Thomas Bosse. Er wies darauf hin, dass der Kulturausschuss fachlich für das Stadtarchiv zuständig sei und ein Beschluss zum künftigen Standort schnell gefasst werden müsse, damit die Planung für das Bildungshaus fortgesetzt werden können. Und er zerstreute die Bedenken, dass damit das gültige Nutzungskonzept über den Haufen geworfen werde: „Wir können das Archiv problemlos im Keller unterbringen.“
Damit könnten auch die gesetzlich vorgeschrieben Anforderungen an Raumtemperatur, Licht und Luftfeuchtigkeit erfüllt werden. „Das ist jetzt nur unzureichend der Fall“, sagte Annette Hasselmann von Impuls-Design – die Hamburger Ausstellungs- und Museumsexperten haben den Politikern ihre Visionen für das Stadtarchiv im Ausschuss präsentiert. Die Geschichte der Stadt soll auch raus aus dem Keller, rein ins Bildungshaus und zu den Bürgern. Die bleiben bisher weitgehend ausgeschlossen, es gibt keine Besucherräume, auch keine Arbeitsplätze, um die Dokumente zu sichten und zu archivieren.
Im Bildungshaus könnten historische Schätze in einem gläsernen Archivraum gezeigt werden. Studierende oder Schüler könnten Quellen erforschen, Interviews mit Zeitzeugen führen. „Wir hätten die Möglichkeit, zusammen mit der VHS Kurse zur Sütterlin-Schrift oder zu historischen Persönlichkeit anzubieten“, sagt Marlen von Xylander. Der Austausch mit den Norderstedtern werde intensiviert, die Identifikation mit der Stadt erhöht.
„Im Bildungshaus könnten so Bildung, Forschung und das Lernen unter einem Dach stattfinden, Geschichte, Gegenwart und Zukunft zusammengeführt werden“, sagte Annette Hasselmann. Damit würde Norderstedt bundesweit eine Vorreiterrolle übernehmen.