Norderstedt . Norderstedts Hans-Joachim Grote steht vor einer großen Herausforderung: Er wird in Kiel den Posten des Innenministers übernehmen.

Nun hatten viele gedacht, er würde es sich in seiner letzten, der vierten, Amtszeit gemütlich machen in seiner Vorzeigestadt Norderstedt und dann nach sechs Jahren in den Ruhestand gehen, eine üppige Pension genießen, nur noch mit Frau Doris im Wohnmobil Europa bereisen und seinem Lieblingssport, dem Golfen, frönen. Da hatten wohl viele den Tatendrang des Oberbürgermeisters Hans-Joachim Grote unterschätzt. Jetzt übernimmt er mit dem Amt des Innenministers von Schleswig-Holstein die größte Herausforderung seines Lebens – mit 62 Jahren.

„Das wäre sicherlich geruhsamer gewesen, die vierte Amtszeit in Norderstedt“, sagt Grote am Freitag. Gerade hat der designierte Ministerpräsident Daniel Günther in Kiel offiziell bestätigt, dass der Norderstedter Oberbürgermeister zum Innenminister befördert werden soll. „Aber ich muss sagen: Heute bin ich richtig glücklich. Das Innenressort ist kein Wohlfühlministerium. Und es wird bestimmt keine einfache Zeit. Aber ich bin jetzt richtig heiß, als Innenminister zum Ende meiner Karriere noch mal richtig Gas zu geben.“

Hans-Joachim Grote begann seine Karriere in Paderborn

Begonnen hat Hans-Joachim Grote seine Karriere in der öffentlichen Verwaltung im nordrhein-westfälischen Paderborn. Dort kümmerte sich der CDU-Mann als Abteilungsleiter um Stadtsanierung und -entwicklung, später wurde er Geschäftsführer der Landesgartenschau Paderborn und mehrerer städtischer Gesellschaften.

Mit 40 Jahren wechselte Grote nach Norderstedt. 1995 übernahm er den Posten des Baudezernenten und Ersten Stadtrates von seinem Vorgänger Jürgen Meßfeldt.

Drei Jahre später trat Grote für die CDU gegen den SPD-Mann Harald Freter im Kampf um den Bürgermeister-Posten an – und gewann. Er war damit der erste CDU-Bürgermeister der jungen Stadt Norderstedt.

2004 versuchte die SPD mit Elisabeth Kühl das Amt gegen Grote zurückzuerobern – und scheiterte.

2005 wurde Norderstedt zur großen kreisangehörigen Stadt erklärt und Grote stieg zum Oberbürgermeister auf. 2010 schließlich musste sich Amtsinhaber Grote der jung-dynamischen Katharina Kriston aus Hamburg stellen, einer SPD-Frau mit Ambition. Doch wieder siegte Grote souverän. Ganz zu schweigen von seiner letzten Wiederwahl im vergangenen Jahr, als er einziger Kandidat war und 85 Prozent der Stimmen holte.

Überregionale Präsenz hatte Grote in seinen Funktionen als Vorsitzender des Städteverbandes Schleswig-Holstein, Präsidiumsmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Präsident des Deutschen Bibliothekenverbandes, Vizepräsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas, Vorstandsvorsitzender des KSA Schleswig-Holstein, Vorstandsmitglied des Verbandes Kommunaler Unternehmen in Schleswig-Holstein und Mitglied des Landesplanungsrates Schleswig-Holstein.

Zerstreuung findet Grote beim Malen und Radfahren. Die Kinder Camilla (29) und Phillipp (33) sind längst aus dem Haus. Grotes Ehefrau Doris ist Mitglied des Kreistages.

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Natürlich gibt es immer noch einen Vorbehalt, schließlich muss die Parteibasis der drei Kieler Koalitionäre das Vertragswerk des Jamaika-Bündnisses noch absegnen. Erst danach, wahrscheinlich also am 28. Juni, wird Grote gemeinsam mit Günther und dem übrigen Kabinett vereidigt. Doch viel Zweifel schwingt nicht mit in Grotes Aussagen.

Das war nicht immer so. „Als mich Daniel Günther ansprach, ob ich in sein Kompetenzteam kommen möchte, da wäre es ziemlich kühn gewesen, auf den Posten des Innenministers zu schielen.“ Damals standen die Günther-Aktien nicht gut, eine große Koalition mit der SPD schien das erreichbare Ziel zu sein. Und in diesem Regierungsbündnis hätte die SPD das Innenressort sicherlich nicht aufgegeben, sagt Grote. Dann kippte die Wahl. Und alles kam ganz anders.

Die Landtagsabgeordnete Katja Rathje-Hoffmann erlebte bei den Koalitionsverhandlungen in Kiel einen Grote, der mit seiner Autorität, seiner ruhigen, aber bestimmten Art zu beeindrucken wusste. „Der Mann kann zuhören, bleibt ruhig und ist liberal, was die Ideen anderer angeht“, sagt Rathje-Hoffmann. Ministerqualitäten eben.

„Ich war 18 Jahre Bürgermeister und Oberbürgermeister in Norderstedt. Natürlich frage ich mich auch, was ich aufgebe“, sagt Grote. „Aber ich weiß auch, dass ich die Möglichkeit, Innenminister zu werden, nur einmal im Leben bekomme. Dass ich sie wahrnehme, ist eine Entscheidung für diese Herausforderung und nicht gegen Norderstedt.“ Und dazu passt, dass Grote die Stadt, in der er sich die Sporen verdiente, um nun Minister zu werden, auch nicht mit wehenden Fahnen in Richtung Kiel verlassen will. Grote wird Pendel-Minister, der erste Innenminister des Landes, der in seiner Freizeit die Füße in Norderstedt hochlegen wird. Sein Home in der Stadt ist und bleibt sein Castle. Dass dieses angesichts seiner neuen Funktion nicht mehr dasselbe wie vorher bleiben wird, ist dem Minister noch gar nicht bewusst. Als Innenminister und oberster Chef der Polizei gerät man schließlich ins Visier von Menschen und Organisationen, die einem nicht immer wohlgesonnen sind. Entsprechend hoch wird die Sicherheitsstufe sein, die man Grote zuteilen wird. Personenschützer und Umbauten im heimischen Vorgarten scheinen programmiert. „Ach, diese ganzen Sicherheitsaspekte lasse ich jetzt mal auf mich zukommen, davon habe ich noch keine Ahnung.“

Das sagen die Norderstedter

Lisa Paul: „Ich weiß gar nicht, wer Herr Grote ist. Aber die Arbeit des Bürgermeisters ist bestimmt   gut gewesen. Besonders gut gefällt mir, dass es hier sehr sauber und die Stadt ökologisch geführt wird. Wenn der neue Bürgermeister sich auch so gut um die Umwelt kümmert, sehe ich dem positiv entgegen.“

Maria Skibbe: „An und für sich ist es traurig, dass Herr Grote geht, denn er hat viel für Norderstedt    gemacht. Besonders für den Stadtpark. Ich bin 1959 hergezogen, seitdem hat sich Norderstedt echt entwickelt, und Herr Grote hat dazu beigetragen. Er hat uns gutgetan. Aber letztendlich muss es jeder selber entscheiden, ob er in die Politik gehen möchte.“

Ralf Bringe: „Ein Wechsel tut Herrn Grote und der Stadt Norderstedt gut. Warum sollte er nicht noch einmal einen Sprung wagen? Sein Herz hängt an Norderstedt, er hat hier viel geschaffen. Sein Nachfolger wird es nicht schwer haben. Grote soll seinen Weg gehen.“

Steve Contreras: „Unser Oberbürgermeister Herr Grote hat meiner Meinung nach all die Jahre gut gearbeitet. Es könnte mit dem Nachfolger natürlich schlechter in Norderstedt werden. Ich wüsste auch gar nicht, wer ein würdiger Nachfolger für Herrn Grote wäre.“

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Wie von so vielem, was nun auf den neuen starken Mann im Innenressort einprasselt. Da ist Grote ganz ehrlich. „Von der Polizei habe ich noch überhaupt keine Ahnung. Das ist ein gigantisches Ministerium. Und auch in viele andere Themenbereiche muss ich mich nun erstmal einarbeiten.“ Doch in erster Linie will sich Grote auf das besinnen, weswegen Daniel Günther ihn auch ins Boot geholt hat. „Das mag pathetisch klingen. Aber ich sehe mich in erster Linie als Minister für die kommunale Familie.“ Es gebe 1110 Gemeinden und Städte in Schleswig-Holstein. „Und die Menschen leben in ihrem Dorf, ihrer Stadt, dann in ihrem Kreis und schließlich im Land.“ Das kommunale ist Grotes Revier, da kennt er sich aus, da will er Akzente setzen. „Die Digitalisierung wird so viel Veränderung über dieses Land bringen – da müssen wir alle Menschen mitnehmen, da brauchen wir den Zusammenhalt in der kommunalen Familie im Land.“

Der Oberbürgermeister in Grote weiß gut, wie schwierig die Solidarität manchmal sein kann. „Ich habe mich über all die Jahre maßlos geärgert, wenn wir wieder so viel Geld im kommunalen Finanzausgleich abgeben mussten.“ Der Minister in Grote widerspricht ihm: „Seien wir ehrlich: Norderstedt geht es doch nur deshalb finanziell so gut, weil es Lagegunst hat. Und die kreativen städtischen Gesellschaften und angesiedelten Unternehmen, die in der Lage waren, diese Gunst für sich optimal zu nutzen.“ Es ist also mehr als angebracht, wenn Norderstedt etwas von seinem Reichtum an die im Land abgibt, die die schleswig-holsteinische Flagge im mangelentwickelten, platten Outback hochhalten.

In Norderstedt entwickelte Grote die Idee, nicht mehr nur in der eigenen kommunalen Suppe zu rühren, sondern über die Stadtgrenzen hinaus zu denken, eher in Regionen als in kommunal begrenzten Gebieten. „Tangstedt kann nichts dafür, dass es in einer landesplanerisch festgelegten Grünachse liegt und sich deshalb wirtschaftlich nicht entwickeln kann.“ Was Tangstedt an Gewerbegebieten fehle, könne Norderstedt bieten. Und was Norderstedt an Grün und Wohnraum fehle, könne Tangstedt bieten. Ergo müsse wirtschaftlich und organisatorisch zusammenwachsen, was zusammen Sinn macht. Als Chef im Innenministerium könnte Grote dieses Prinzip landesweit fördern.

Sein Rathaus und die Regentrude auf dem Marktplatz lässt Grote mit Wehmut zurück. „Norderstedt wird immer einen hohen Stellenwert in meinem Leben haben. Das kann ich nicht vergessen.“ Einem potenziellen Nachfolger oder einer Nachfolgerin Ratschläge zu erteilen, dass zieme sich nicht, sagt Grote. Ein unbestelltes Feld hat er ihm oder ihr sicherlich nicht hinterlassen. „Doch es gibt für die Stadt noch viele Herausforderungen.“

Mit dem 1. Stadtrat Thomas Bosse stehe Grote in ständigem Austausch. „Er wird ab dem 29. Juni das Ruder in Vertretung übernehmen. Innerhalb von sechs Monaten muss ja nach dem Gesetz ein neuer Oberbürgermeister gewählt werden.“ Sein Dienstverhältnis als Oberbürgermeister wird übrigens nicht gekündigt. Es ruht für die Zeit seiner Mission in Kiel. Grote muss sich am Ende seiner Karriere in Norderstedt also noch mal formal abmelden. Das wird exakt in fünf Jahren sein. „Wenn die Koalition so lange hält“, sagt Grote. Danach warten Doris, der Caravan und das Golfen.