Kaltenkirchen. Spezialkräfte der Feuerwehr proben im Ersatzteillager von Jungheinrich für Ernstfall. Gesonderte Ausbildung für Höhenretter.
Der Notruf geht um 9.03 Uhr ein. Im Ersatzteillager von Jungheinrich in Kaltenkirchen sind zwei Kundendiensttechniker verunglückt – und zwar in 32 Meter Höhe, direkt unter dem Hallendach. Beide sind nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft den schwindelerregenden Abstieg über eine Leiter zu bewältigen. Nun sind die Spezialisten gefragt. Die Höhenretter der freiwilligen Feuerwehr rücken sofort von ihrer Wache in der Süderstraße aus, nach exakt viereinhalb Minuten treffen sie ein.
Höhenretter durchlaufen eine gesonderte Ausbildung
Dass es sich lediglich um eine Übung handelt, wird bewusst ausgeblendet. Die Abläufe sollen genauso sein, als sei es ein Ernstfall. „Jeder Handgriff muss sitzen, ein Fehler kann zum Tode führen“ – Thomas Hansen-Jäckel, Leiter der Einheit, beschreibt die Herausforderung sehr trocken. „Hektik bringt sowieso nichts“, sagt er. Trotzdem geht es schnell. 6 Minuten und 46 Sekunden sind vergangen, und die Feuerwehr steht bereits zwischen imposanten Regalen, die Enge bedrückt, das Deckenlicht ist ausgefallen. „Es ist wichtig, nach 15 bis 20 Minuten beim Patienten zu sein“, diese Vorgabe der Leitung gilt es zu erfüllen.
Seit 2013 gibt es das Lager, die Feuerwehr war von Beginn an involviert, als das Brandschutzkonzept entworfen wurde. „Wir können hier jederzeit üben, es ist eine enge Verbindung mit der Firma Jungheinrich entstanden“, sagt Hansen-Jäckel. In der Regel trainieren die Höhenretter allerdings einmal im Monat. Entweder bei Jungheinrich, manchmal auch bei Dodenhof, auch die neuen, mehr als 60 Meter hohen Strommasten der 380-Kilovolt-Trasse entlang der Autobahn 7 sind bestens geeignet. „Und einmal im Jahr sind wir in Helgoland an den Klippen.“
Die Übung im Jungheinrich-Lager ist für Birger Boeckel (33) und Peer-Ole Ahrens (25) ein wichtiger Schritt während ihrer Ausbildung zum Höhenretter. 80 Stunden umfassen Theorie und Praxis, die Kaltenkirchener bilden selbst aus, haben aktuell fünf ausgebildete Höhenretter und vier angehende. Die Einsatzgruppe innerhalb der Wehr gibt es bereits seit 2004, doch offiziell beim Kreis Segeberg registriert ist die Einheit noch nicht – dafür sollten es mindestens acht, besser zwölf ausgebildete Retter sein. Auch deswegen wollen die Kaltenkirchener gerne in diesem Bereich mit Henstedt-Ulzburg zusammengehen, doch die Finanzierung eines derartigen Projektes ist auf politischer Ebene noch nicht fixiert.
Boeckel und Ahrens haben bisher ungefähr zwei Drittel ihrer Ausbildung absolviert, sie wissen also schon, worauf es ankommt. 14 Minuten und 46 Sekunden zeigt die Stoppuhr, als sie den ersten Kontakt zu den Patienten Dogus Gündüz und Raphael Liebentraut herstellen. Zur Erleichterung der Retter ist es vergleichsweise kühl, bei hohen Außentemperaturen kann die Hitze unter dem Dach ansonsten fast unerträglich werden, denn bei der rund 20 Kilogramm schweren Ausrüstung darf die Feuerwehr keine Abstriche machen. Es dauert, bis zunächst Birger Boeckel mit Raphael Liebentraut den Abstieg beginnen kann. Hierfür wird ein Seil hinabgelassen, am Hallenboden sichern weitere Kräfte ab. Entscheidend für das Abseilen ist dann der „Radeberger Haken“. Ursprünglich von Bergsteigern entwickelt, ist das Hilfsmittel aus Aluminium-Guss heute eigentlich nur noch in der Höhenrettung zu gebrauchen, während Klettersportler und Alpinisten andere Utensilien verwenden.
Die Rettung dauert genau 63 Minuten und 33 Sekunden
48 Minuten und vier Sekunden, nachdem die Feuerwehr den Notruf erhalten hat, ist Birger Boeckel am Boden. Peer-Ole Ahrens folgt, er beginnt den Abstieg nach einer Stunde und sechs Sekunden, als er ankommt, sind 63 Minuten und 33 Sekunden vergangen. „Von der Zeit her sehr gut, das klappt so, wie wir uns das vorgestellt haben“, lobt Thomas Hansen-Jäckel. Dogus Gündüz musste zwar nur simulieren, dass es ihm schlecht ging, doch das Gefühl, hilflos am Seil zu hängen, hinterlässt Eindruck. „Ich hatte ein bisschen Muffensausen.“
Für Jungheinrich hat der Brandschutzbeauftragte Dirk Möller die Übung aufmerksam verfolgt. „Es ist wichtig, dass die Kollegen von der Feuerwehr Ortskenntnis haben, das kann Leben retten. Und für unsere Techniker vermittelt die Übung ein gutes Gefühl, wenn sie da oben mal hängen.“