Norderstedt . Seit 1995 gab es das Spektakulum in Norderstedt – nun wird es von den Veranstaltern für tot erklärt. Sehr zum Unmut vieler Bürger.

James Blunt. Den britischen Singer-Songwriter kennt mittlerweile die ganze Welt. „Auf dem Norderstedter Spektakulum ist der auch schon aufgetreten, da kannte den noch kein Schwein. 500 Euro Gage hat er bekommen“, sagt Rajas Thiele. Der kennt die Geschichte des größten Norderstedter Stadtfestes wie kein Zweiter. Der Chef der Norderstedter Mehrzwecksäle GmbH war im früheren Leben Veranstaltungsprofi und hat mit seiner Ex-Firma Deltacom-Projektmanagement das Spektakulum erfunden und seit 1995 über zwölf Jahre geprägt. Und da ist es nicht mehr als recht und billig, wenn er nun ganz offiziell das Stadtfest für tot erklärt.

Vom großen Volksfest zum Event-Komapatient

Es wird in diesem Jahr kein Spektakulum geben – oder, besser gesagt, keinen „Kulturboulevard“, wie die siechende Veranstaltung zuletzt zum Unverständnis vieler umgetauft wurde. Es wird überhaupt kein vergleichbares Fest mehr in Norderstedt-Mitte geben, das sich über drei Tage erstreckt – und wie das Spektakulum früher an die 100.000 Besucher anlockte und das als das größte Volksfest im Norden, nach der Kieler Woche, gehandelt wurde.

2016 fiel die Veranstaltung ins Koma, nachdem der Veranstalter EPM Concept aus Bad Oldesloe an der Rettung des Traditionsfestes gescheitert war und die Planung gegen die Wand gefahren hatte. Das Spektakulum war klinisch tot, jetzt schaltet Thiele die Geräte ab.

Das sagen die Bürger

„Ich war jedes Jahr auf dem Stadtfest und fand es immer gut“, sagt Karin Kruse. „Man konnte  dort Leute treffen und quatschen. Allerdings hat sich das Fest ja in den letzten Jahren verändert. Früher wurden mehr Schlager für meine Generation gespielt, später dann eher nur Musik für Jugendliche. Trotzdem finde ich es schade, dass das Stadtfest nun nicht mehr stattfinden soll.“

„Ich fand das Stadtfest immer sehr gut“ – so die Meinung von Gisela Hahn. „Es war sehr bequem für mich, da es bei mir um die Ecke stattfand. Wenn das Wetter mitgespielt hat, war es echt schön. Hier traf man auch immer nette Nachbarn zum Klönen. Ich finde es nicht gut, dass das Fest nun nicht mehr in Norderstedt veranstaltet werden soll, es war immer so vielseitig dort.“

Hans Tidemann hat das Stadtfest in Norderstedt nie besucht. „Das ist einfach nichts für mich persönlich. Ich finde es aber trotzdem nicht gut, dass dieses Fest nun nicht mehr sein soll. Für all die anderen Norderstedter, die sich jedes Jahr amüsiert haben, ist dieses Veranstaltung doch wichtig. Ich denke, dass das Stadtfest auf jeden Fall weiterhin stattfinden sollte.“

„Ich finde es sehr schade, dass das Stadtfest in Norderstedt nun nicht mehr stattfinden soll“, sagt Severine Johannsen. „Als Norderstedter war man eigentlich jedes Jahr da – ob mit oder ohne Kinder. Es war immer nett. Das Stadtfest gehört einfach zu Norderstedt. Ich bin schon in Jugendjahren da gewesen und später dann oft mit meinen Kindern.“

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Im Auftrag der Stadt planen er und Stadtpark-Geschäftsführer Kai Jörg Evers derzeit ein Konzept für die 50-Jahre-Feier der Stadt Norderstedt 2020 und ein Veranstaltungskonzept für die ganze Stadt. „In diesen Überlegungen spielt ein Fest in der Art des Spektakulums keine Rolle mehr“, sagt Thiele. Der Niedergang des Volksfestes sei ein schleichender Prozess gewesen. Von Jahr zu Jahr wurden es weniger Besucher, von Jahr zu Jahr kamen weniger Norderstedter und immer mehr Menschen von außerhalb – und nicht nur jene, die man sich gern in der Innenstadt wünscht. „Früher war es das Fest, auf dem sich die Norderstedter zum Klönen trafen“, sagt Thiele. „Du konntest auf der Rathausallee keine fünf Meter gehen, weil du ständig Bekannte trafst.“

Bis zu 100.000 Besucher hatte das Stadtfest früher an drei Tagen
Bis zu 100.000 Besucher hatte das Stadtfest früher an drei Tagen © Andreas Burgmayer

Als Thiele beim letzten Fest 2015 über den Rathausmarkt ging, sah er kaum noch bekannte Gesichter. „Es wurde in den letzten Jahren versäumt, das Fest zeitgemäß zu verändern“, sagt Thiele. Sämtliche Trends wurden verschlafen. Während in Norderstedt wie immer die Schwenkgrills kokelten, fuhren in anderen Städten die Food Trucks mit ausgefallenen Burger- oder Burrito-Kreationen vor. Die Abwärtsspirale begann sich zu drehen: Weniger Besucher, weniger gute Aussteller, weniger gute Live-Acts auf den Bühnen. „Früher prügelten sich Aussteller für gewisse Stände auf der Rathausallee. Zuletzt standen da gar keine mehr“, sagt Thiele. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass viele Bürger in Norderstedt weder Food Trucks noch anderes Chichi wirklich wollen, sondern lieber Kirmes mit Kettenkarussell, den Schwenkgrill, ein kühles Blondes auf der Bierbank und dazu die Hits der
60er- und 70er-Jahre live auf der Bühne. Stellvertretend für sie drückt Abendblatt-Leser Gerd Müller-Fahron in einer E-Mail an die Redaktion den Unmut der Volksfest-Befürworter aus: „Ich bin sauer, stocksauer auf unsere Politiker und unsere Verwaltung!“ Überall im Land würden die Städte, Dörfer und Gemeinden mindestens einmal im Jahr ein Stadtfest, Schützenfest, Eulenfest oder Ähnliches feiern. „Aber nicht bei uns! Stadtfeste sind für die ganze Familie ein gemeinsames Erlebnis und eine Stätte der Begegnung mit anderen Bürgern der Stadt. Hier treffen sich Leute, die sich teilweise jahrelang nicht begegnet sind. Hier lernt man neue Leute bei zwanglosem Zusammensein kennen, während sich die Kinder und Jugendlichen auf den Fahrgeschäften vergnügen.“

Die Spaß-Kultur des Stadtparks in allen Stadtteilen

Doch spätestens nach den guten Erfahrungen mit den diversen Veranstaltungen im Stadtpark, bei denen Bier, Wurst und Kirmes die Nebenrolle spielen, setzen Politik und Stadtverwaltung auf kulturellen Anspruch und Niveau bei den Festen in der Stadt. Und so sehen die Macher Thiele und Evers auch ihren Auftrag für die 50-Jahre-Feier. „Wir fangen jetzt mit der Planung an, weil es schon drei Jahre braucht, um eine wirklich gute Planung hinzubekommen und sich über Budget und Programm rechtzeitig im Klaren zu sein“, sagt Thiele. Stadtweit in allen Vierteln soll das Konzept spielen. „Schließlich gibt es ja nicht nur den Stadtpark.“ Doch der Fokus liegt nicht nur auf 2020. Vielmehr machen sich Thiele und Evers Gedanken über Stadtteil-Events, die in den kommenden Jahren angeboten und etabliert werden sollen. „Auch in Norderstedt-Mitte sollte es jedes Jahr eine größere Veranstaltung geben, den Stadtteil kann man nicht brach liegen lassen“, sagt Thiele. Vielleicht werde es schon in diesem Jahr mit einem Fest klappen, ganz sicher aber 2018. „Wir gehen zurück zu den Anfängen des Festes.“ Damals, 1995, organisierte Thiele zum ersten Mal das Stadtfest zum 25. Geburtstag der Stadt, woraus sich in den folgenden Jahren das Spektakulum entwickelte. Damals war das Stadtfest klein, gemütlich und persönlich. So in etwa könnte es wieder werden – aber auf keinen Fall größer. Obwohl – vielleicht könnte man ja James Blunt zu einem Comeback auf der Rathausallee überreden.