Henstedt-Ulzburg. Henstedt-Ulzburg und zahlreiche betroffene Privatpersonen verschärfen ihren Widerstand gegen die geplante „Ostküstenleitung“.

Die Gemeinde Henstedt-Ulzburg und zahlreiche weitere betroffene Grundeigentümer wollen eines der zentralen Infrastrukturprojekte im Norden notfalls mit einer Klage stoppen. Es geht um die „Ostküstenleitung“, eine 380-Kilovolt-Stromtrasse, die in Ost-West-Richtung durch das südliche Schleswig-Holstein verlaufen soll. Diese soll eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Energiewende spielen, den durch Windkraft im Ostseeraum erzeugten Strom in das Netz einspeisen, dazu auch das Baltic Cable aus Schweden anschließen. Verantwortlich sind das Land Schleswig-Holstein und der Netzbetreiber Tennet, die planen, die Trasse auch über Henstedt-Ulzburger und Kisdorfer Gebiet zu verlegen. Zwei Abschnitte wären Erdkabel-Pilotprojekte.

Der Streit entzündet sich daran, dass Henstedt-Ulzburg fordert, die Leitung weiter nördlich entlang der künftigen Autobahn 20 zu bauen. Tennet lehnt das ab, verweist auf zu hohe Kosten und Raumwiderstände. Auch für Robert Habeck, als Minister zuständig für die Energiewende, war das keine Option. Im Gegenteil: Der Grünen-Politiker sagte, alternativ könnte bloß die Bestandstrasse (220 Kilovolt) ersetzt werden, die Schneise ginge letztlich durch den Rantzauer Forst, was eigentlich alle Beteiligten unbedingt vermeiden wollen.

Der Zeitpunkt für die Öffentlichkeitsoffensive ist bewusst gewählt. Im zweiten Quartal soll das Planfeststellungsverfahren beginnen, ein Bestandteil davon ist die Öffentlichkeitsbeteiligung. Eine Gemeinde oder Privatperson muss dann bereits alle Argumente ihrerseits präsentieren, die später auch Bestandteil eines Gerichtsverfahrens sein könnten. Auf gemeindepolitischer Ebene gibt es keine Möglichkeit, die „Ostküstenleitung“ zu verhindern.

Eine Klage wäre allerdings erst möglich, wenn ein Planfeststellungsbeschluss ergeht. „Wir haben eine reelle Chance, das Land zur Einkehr zu zwingen“, sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgermeister Stefan Bauer. Und zwar nicht erst vor Gericht, sondern zuvor – er setzt darauf, dass das Land auf eine Auseinandersetzung verzichten will. Eine Rechtsanwältin vertritt bereits jetzt die Interessen aller potenziellen Kläger: Angelika Leppin, eine Verwaltungsrechtlerin aus Kiel.

Die Vorwürfe in Richtung Tennet sind vielfältig. So habe das Unternehmen im sogenannten Dialogverfahren, das der endgültigen Planung voransteht, nicht mit vollständigen Karten gearbeitet, die Erdverkabelung sei nicht erwähnt worden. Die Auswirkungen dieser unterirdischen, mehrere Kilometer langen Abschnitte seien unkalkulierbar. Der Erdboden würde beispielsweise in bis zu zwei Meter Tiefe konstant um fünf Grad erwärmt. Ob und wie sich das Pflanzenwachstum verändert, ist spekulativ.

In Henstedt-Ulzburg würden unter den Pinnauwiesen Erdkabel verlaufen – pikanterweise in dem Gebiet, wo ein Bürgerentscheid 2015 eine weitreichende Wohnbebauung verhindert hat. Der zweite Erdkabel-Abschnitt befindet sich in Kisdorferwohld. Dort wohnt der Landwirt Hermann Meyer, er schließt sich der Klage an. „Es ist abwegig, dass entlang der A 20 Windkraftgebiete ausgewiesen werden, aber die Trasse dort nicht entlang laufen darf.“

Ebenso plant Tennet, ein Umspannwerk im Bereich Beckershof zu bauen. „Das war nie Bestandteil des Dialogverfahrens“, sagt die Gemeindevertreterin Karin Honerlah (WHU). Eine derartige Anlage wäre grundsätzlich nötig, um den Strom in südliche Richtung leiten zu können auf einer weiteren 380-Kilovolt-Trasse, die momentan entlang der A 7 entsteht. Denn der Bedarf an Energie wird gerade in den Industrieregionen Süddeutschlands zunehmen, je mehr Atomkraftwerke vom Netz gehen.

Ein weiterer Kritikpunkt, den die Henstedt-Ulzburger äußern: An der A 20 könnten Emissionen gebündelt werden – Straßenverkehr, Strom, Windkraft. „Auf der jetzt geplanten Trasse kommt es zu keiner Bündelung“, sagt Bürgermeister Bauer. Ungerecht finden die Grundeigentümer zudem die gesetzlich festgelegten Entschädigungszahlungen. Denn pro Mast gibt es einmalig 7000 Euro, während für ein Windrad 50.000 Euro überwiesen werden – und zwar jährlich.