Kreis Segeberg. Nach aktuellem Stand könnten bis zu 115 neue Windkraftanlagen im Kreis Segeberg entstehen. Vielerorts regt sich Widerstand aus den Gemeinden.
Henning Vogel genießt den Blick über die freie Landschaft. Der Hartenholmer spaziert über einen Feldweg in Richtung Struvenhütten, bleibt am Rand einer Wiese stehen und schaut in Richtung der Gemeinde. Hier könnten bald Windkraftanlagen mit bis zu 200 Metern Höhe stehen. „Industrieanlagen von solchen Ausmaßen wie Windkraftparks haben in Dörfern nichts zu suchen“, sagt Vogel. Er ist Vorsitzender des Vereins Gegenwind Hartenholm-Hasenmoor-Struvenhütten. Dessen etwa 50 Mitglieder protestieren gegen neue Anlagen und haben die Mehrheit der Gemeindevertreter in den Kommunen hinter sich. Für die Landesplanung reicht das aber nicht.
„Es braucht konkrete Kriterien, die dagegen sprechen“, erklärt Henning Vogel. Diese gebe es auch für Hartenholm, und sie müssen jetzt erneut formuliert werden. Gegen das sogenannte Vorranggebiet zur Windkraftnutzung südlich von Hartenholm und gegen die anderen Gebiete im Kreis Segeberg können die Bürger jetzt bis zum Sommer Einwände formulieren. Die endgültigen Pläne sollen 2018 fertig sein.
Kritiker sagen, dass nur die Grundbesitzer profitieren
Nach derzeitigem Stand könnten bis zu 115 neue Windkraftanlagen im Kreis entstehen (das Abendblatt berichtete), wobei vor allem die dünner besiedelten Regionen betroffen sind. Im Internet können die Pläne unter www.bolapla-sh.de aufgerufen und eine Stellungnahme abgegeben werden.
Das werden auch die Gemeinde Hartenholm und die Bürgerinitiative Gegenwind tun. Zuvor soll ein Ornithologe ein Gutachten zum Vogelbestand rund um die potenziellen Windräder anfertigen, die Kosten teilen sich Verein und Gemeinde. Vogel spricht sich dabei nicht nur gegen Windkraft vor seiner Haustür aus. Er ist der Meinung, dass Schleswig-Holstein keine weiteren Windparks braucht. Der produzierte Strom könne nicht abgeleitet werden, der Bau neuer Leitungen belaste ebenfalls die Umwelt und die Anlieger.
Derzeit nutze der Ausbau der Windenergie vor allem den Grundbesitzern, sagt Vogel. Sie bekämen viel Geld für die Pacht der Flächen – die Rede ist von bis zu 100.000 Euro pro Jahr für eine Anlage bei guten Windverhältnissen.
„Die Landesregierung lässt Alternativen zum Ausbau der Windenergie auf Land außer Acht“, sagt Vogel. Es komme vor allem darauf an, Energiesparen zu fördern. Zudem müssten regionale Netze und die regionale Produktion von Energie gefördert werden. Beispiele gebe es auf den dänischen Inseln Samsø und Bornholm oder auch auf Pellworm. Energie könne vor Ort auch mit Windkraft erzeugt werden, aber nach Vogels Meinung nicht mit solch großen Anlagen und im Dialog aller Bürger.
Die Windkraftgegner im Land protestieren nicht nur. Sie sammeln auch Unterschriften für zwei Volksinitiativen. „Eine richtet sich gegen die Abstandsregelung“, erläutert Joachim Musehold aus Bebensee. In seiner Gemeinde östlich von Leezen an der Autobahn 21 ist ebenfalls ein Vorranggebiet in den Windkraft-Plänen des Landes vorgesehen. Eine Windkraftanlage soll demnach einen Abstand von zehnmal ihrer Höhe zu Wohnhäusern haben. „Da würden einige Gebiete wegfallen, auch wir wären davon betroffen“, sagt Musehold. Derzeit dürfen die Anlagen bis auf 800 Meter an eine Siedlung herangebaut werden.
Fledermäuse und Großvögel müssen geschützt werden
Bei der zweiten Volksinitiative geht es darum, dass der Bürgerwillen bei der Planung berücksichtigt wird. Wenn eine Gemeinde gegen Windkraft votiert, solle das verbindlich sein. Auch in Bebensee gab es 2010 einen Bürgerentscheid, bei dem sich etwa zwei Drittel derjenigen, die ihre Stimme abgaben, gegen Windkraft aussprachen. Für Musehold gibt es dafür viele gute Gründe. „Die Anlagen befänden sich im Sommer genau in dem Bereich, in dem die Sonne untergeht“, sagt er. Den Bebenseern würde durch die geplanten Windräder die freie Sicht genommen, und der Schlagschatten der hohen Anlagen störe zusätzlich. Zudem gebe es in der Region viele seltene Vögel. „Wir sehen regelmäßig den Seeadler“, sagt Musehold.
Falkner Bernd Nowak aus Pronstorf bei Bad Segeberg hat ebenfalls Angst um die seltenen Vögel in seiner Umgebung. Unweit seines Hauses im Ortsteils Eilsdorf könnten ebenfalls Windkraftanlagen entstehen. Eine Stellungnahme, die Nowak gemeinsam mit Förster Reinhard Schulte formuliert hat, mahnt den Schutz seltener Tierarten rund um die potenziellen Windkraftanlagen an. Außerdem weisen beide darauf hin, dass Fledermäuse und Großgreifvögel ein Anrecht auf drei Kilometer Abstand zu einem Windkraftstandort hätten, Menschen in Häusern in Alleinlage nur 250 Meter. Das sei viel zu gering.
In Neuengörs wurde gerade ein Windpark fertiggestellt
Aber im Kreis gibt es nicht nur Gegner der Windkraft. In Neuengörs, südlich der A 20 bei Bad Segeberg gelegen, ist gerade erst ein Windpark fertiggestellt worden. Daran sind die Einwohner der Dörfer Weede und Neuengörs beteiligt. Ihnen gehören zwei der sechs Anlagen, die anderen den Landeigentümern. Insgesamt gibt es 90 Anteilseigner, die zwischen 5000 und 300.000 Euro eingebracht haben. Zuvor hatten sich 51 Prozent bei einem Bürgerentscheid für den Windpark ausgesprochen. Als Erfolgsgeschichte wird auch der Bürgerwindpark in Wiemersdorf beschrieben. Hier sind viele Einwohner des Dorfes an den 16 Anlagen beteiligt. Sie bringen auch der Gemeindekasse Geld, womit unter anderem das beheizte Freibad bezahlt werden kann.
Hans-Günther Lüth ist einer der Planer des Bürgerwindparks Wiemersdorf. Er will seit einiger Zeit das Modell Wiemersdorf auf Großenaspe erweitern. Auch die Einwohner der Nachbargemeinde wollen sich am Bürgerwindpark beteiligen, bislang stand dagegen aber ein Einspruch des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Die Windräder könnten die Messungen des sieben Kilometer entfernten Wetterradars in Boostedt stören. Mittlerweile sieht Lüth gute Chancen dafür, dass der Windpark in Großenaspe doch genehmigt wird. Mehrere Gerichtsverfahren unter anderem vor dem Bundesverwaltungsgericht hat der DWD verloren. „Störungen müssen vom DWD konkret nachgewiesen werden“, hat Lüth aus den Verfahren mitgenommen. Das sei für Großenaspe bislang nicht gelungen.
Schattenwurf kein Gegenargument
Lüth beschäftigt sich zudem mit den Argumenten der Gegner. Die Kritik am Schattenwurf sei nicht mehr gerechtfertigt. Er sei durch Software in den Anlagen zu vermeiden. Auch den vielfach kritisierten Disco-Effekt für Anwohner der Anlagen, den schnellen Wechsel zwischen hell und dunkel bei bestimmtem Sonnenstand, gebe es bei neuen Anlagen nicht mehr. Klar ist für ihn: „Man muss die Bedenken und das Konfliktpotenzial ernst nehmen und darauf eingehen.“
Über die Bedenken der Gegner müsse man reden, sagt auch Bürgermeister Klaus Wilhelm Schümann aus Hasenmoor bei Bad Bramstedt. Zwischen seiner Gemeinde und dem benachbarten Bimöhlen befindet sich ebenfalls eine Vorrangfläche für die Windkraft. „Ich bin der Meinung, dass wir Windkraft brauchen“, sagt Schümann. Die Diskussion drehe sich vor allem darum, dass die Bürger die Anlagen nicht vor der Tür haben wollten. Das sei auch Grund für den negativen Beschluss der Hasenmoorer Gemeindevertretung im vergangenen Jahr gewesen. Schümann übt aber auch Kritik an der Landesregierung. Die Gemeinden könnten bei der Planung kaum mitreden. „Wir werden erst fast ganz am Ende gefragt. Dann können wir Ja sagen – oder wir können Ja sagen.“