Henstedt-Ulzburg. Fußballfans des HSV und des FC St. Pauli treten mit Sprühflaschen und Aufklebern gegeneinander an. Schaden muss die Gemeinde zahlen.
HSV oder St. Pauli? Beide Mannschaften müssen um den Klassenerhalt bangen. Aktuell stehen die Dinge so: HSV verliert glatt mit acht Toren Unterschied gegen Bayern, St. Pauli macht den KSC mit fünf Toren platt. Aber die momentanen Befindlichkeiten ändert kaum etwas: Einmal HSV-Fan, immer HSV-Fan – einmal Pauli-Fan, immer Pauli-Fan. Wie sehr sich diese Lebenseinstellungen mancher Zeitgenossen im öffentlichen Leben auswirken, ist zurzeit in Henstedt-Ulzburg gut zu erkennen. Dort wird die Vereinsfehde öffentlich ausgetragen. So ziemlich alles wird mit Farben und Aufklebern verunziert: Buswartehäuschen, Verkehrsschilder, Straßenlaternen, öffentliche Müllbehälter und Carports.
Diese Rivalität ist täglich an vielen Ecken in der Gemeinde zu sehen. HSV-Aufkleber auf Verkehrsschildern, Papierkörbe, die in den Pauli-Farben Braun und Weiß angepinselt sind, am Tag vorher aber noch die HSV-Farben trugen. Täglich werden es mehr. Der Schwerpunkt dieser merkwürdigen Fan-Aktivitäten liegt in Ulzburg-Süd, inzwischen hat die Mal- und Klebeeuphorie aber auch auf andere Ortsteile übergegriffen. Dem Einfallsreichtum sind offenbar keine Grenzen gesetzt. „In den vergangenen Monaten ist es wirklich sehr massiv geworden“, sagt Rathaushaussprecher Malte Pohlmann.
Die unterschiedlichsten Vereinsaufkleber lassen auch Rückschlüsse auf die Gesinnung der Fans zu. So sind in Henstedt-Ulzburg nicht selten Aufkleber mit der Aufschrift „NKSP“ zu sehen. Dahinter verbergen sich die St.Pauli-Ultras – jene Fans also, deren Leidenschaft schon recht fanatisch ist. „New Kids Sankt Pauli“ verbirgt sich hinter der Abkürzung. Aber auch Aufkleber der HSV-Ultras gehören zum Straßenbild. Das ist ärgerlich, aber ein Grund zur Sorge besteht nicht: Mit gewaltbereiten Hooligans haben die Ultras wenig gemeinsam.
Wer Gewinner ist, bleibt unklar. Der Verlierer steht fest: Das sind die Mitarbeiter des Baubetriebshofes der Gemeinde. Sie müssen ausrücken, um die Schilder zu reinigen oder zu erneuern. Am gestrigen Dienstag zum Beispiel wurde an der Hamburger Straße ein mit HSV-Farben beschmierter Abfalleimer gesichtet. Arnim Steffens, Leiter des Baubetriebshofes der Gemeinde, kann den Eimer austauschen – das kostet 98 Euro. Er kann ihn, wenn er noch nicht sehr alt ist, auch überlackieren. Das kostet vor allem Arbeitszeit. Die Reinigung eines abmontierten Verkehrszeichens dauert bis zu einer halben Stunde – wenn seine reflektierende Folie überhaupt noch zu retten ist.
Außerdem wird der Gemeindehaushalt belastet: Unter der Rubrik „Vandalismus“ fallen auch die Kosten für ausgetauschte Schilder. Die Preise sind unterschiedlich: 120 bis 130 Euro kostete ein normales Verkehrsschild mit einlaminierter und reflektierender Folie, ein großes Stop-Schild aber kostet rund 300 Euro. Von den wichtigsten Verkehrsschildern lagern jeweils zwei bis drei Stück auf dem Bauhof am Tiedenkamp. „Wenn ein Schild vollgeklebt ist, wird es erneuert“, sagt Arnim Steffens. „Das kommt vor.“
Die Frage, welcher der beiden Hamburger Clubs einen höheren Stellenwert hat, wird allerdings nicht auf der Straße entschieden. Um es ganz genau zu nehmen: Sogar Wissenschaftler beschäftigen sich regelmäßig damit, welcher Fußballverein den höchsten Stellenwert in Deutschland hat. Die Technische Universität Braunschweig hat in ihrer jährlichen Studie auf Basis einer repräsentativen Umfrage unter 4122 Einwohnern zwischen 18 und 69 Jahren Bekanntheit und Sympathie der Vereine untersucht. Anhand der Daten wird ein Marken-Ranking erstellt. „Markenmeister“ 2016 war, wie schon im Vorjahr, Borussia Dortmund vor dem FC Bayern und Borussia Mönchengladbach. Aber jetzt kommt es: Einen stolzen vierten Platz im Ranking belegt der FC St. Pauli. Der HSV belegt hingegen nur Platz acht. In der realen Fußballbundesliga würde dieser Platz ausreichen, um die HSV-Fans vor Freude ausrasten zu lassen, in der Beliebtheitsliga verführt diese Platzierung hingegen eher zur Nachdenklichkeit. Und ausrechnet der Kiezklub liegt ganze vier Plätze vor dem Traditionsclub, dessen Herz immer noch in Norderstedt an der Ulzburger Straße schlägt. Am größten ist der Abstand der Hamburger Rivalen bei der Beurteilung als insgesamt „sehr guter Verein“. Dabei ist Bayern Spitze, St. Pauli beachtlicher Zehnter, der HSV steht nur auf Rang 31. „Emotional“, „authentisch“ und „einzigartig“ sind die Attribute, mit denen die Fans die Pauli-Kicker bewerten. Da können in Henstedt-Ulzburg noch so viele HSV-Farben versprüht oder Aufkleber verteilt werden, an der Rangfolge der Beliebtheit dürfte das wenig ändern.
1000 Euro Bußgeld für Sticker
In Norderstedt, dem ursprünglichen Sitz des HSV gibt es derartige Fan-Attacken kaum noch. „Das wurde früher wesentlich häufiger beobachtet“, sagt Bernd-Olaf Struppek, Sprecher der Stadt Norderstedt. „Vor allem in Norderstedt-Mitte war das zeitweise recht übel.“ Heute müssen Mitarbeiter des Baubetriebshofes häufiger ausrücken, um Wandschmierereien in Tiefgaragen zu beseitigen.
Nicht selten sind auch Hakenkreuze und andere Nazi-Symbole dabei. Fußball-Symbole aber eher nicht. Auf dem Hubschrauberlandeplatz hinter dem Rathaus („Forum“) hatte ein offensichtlich verliebter Zeitgenosse kürzlich eine Reihe von Herzchen gepinselt – auch die wurden beseitigt. Bezahlt werden die Reinigungsaktionen aus dem laufenden Unterhaltungsetat für öffentliche Gebäude.
Wer ein zugeklebtes Verkehrszeichen missachtet, handelt übrigens nicht rechtswidrig, heißt es in der deutschen Rechtsprechung. Denn: Ist ein Schild nicht erkennbar, hat es auch keine Wirkung. Die Haftungsfrage im Falle eines Unfalls ist dagegen nicht eindeutig zu klären. Es hängt davon ab, wie oft die Schilder kontrolliert werden.