Norderstedt. Susanne Urban verlor ihren Mann Gerhard bei einem Unfall an der Niendorfer Straße. Sie saß damals selbst mit im Wagen.
Jedes Detail des Unfalls hat Susanne Urban noch heute vor Augen. „Ich sah was Weißes auf uns zukommen, einen Mercedes-Stern, und dann krachte es.“
Das Weiße, das war Oktay S., ein damals 25 Jahre alter Anlagenmechaniker in seinem weißen Mercedes-Benz C-Klasse, der sich ein Rennen mit einem anderen Fahrer geliefert hatte und dabei mit 100 Stundenkilometern in den Gegenverkehr geraten war.
Es war der Nachmittag des 14. November 2014 auf der Niendorfer Straße, Höhe Tesa-Zentrale. Die Straße wirkte nach dem Unfall wie ein Schlachtfeld. Der Opel Zafira von Susanne Urban und ihrem Mann Gerhard war ein Wrack. „Nur nicht ohnmächtig werden, dachte ich“, sagt Suanne Urban. Ihr Mann Gerhard war da schon tot. „Sie sagten später nach der Obduktion, dass seine Milz gerissen war. Er habe nach dem Aufprall nicht mehr lange gelebt. Ich konnte ihm im Unfallwagen zum Glück nicht ins Gesicht schauen. Er lag weggedreht von mir.“
Urteil gegen Raser ist Genugtuung
Über zwei Jahre nach dem Unfall sieht Susanne Urban am Dienstag in der „Bild“-Zeitung in die Gesichter der beiden Todes-Raser von Berlin. Verurteilt wegen Mordes. Weil sie sich auf dem Kurfürstendamm in der Hauptstadt ein Autorennen mit Tempo 160 lieferten und dabei einen 69-Jährigen umbrachten. Tatwaffe: Auto. „Natürlich ist das ein Stück Genugtuung, wenn in Deutschland endlich anders über diese Autorennen geurteilt wird“, sagt Urban. „In meinem Fall war mir die Strafe für den Schuldigen viel zu schwach. Mein Anwalt hatte mich schon gewarnt, dass solche Fälle in der Regel mit Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung enden.“ Dafür war das Urteil von Richterin Dagmar Goraj Ende 2015 vor dem Norderstedter Amtsgericht spektakulär. Sie wollte den wiederholt durch Raserei aufgefallenen Angeklagten 18 Monate in den Knast schicken und ihm vier Jahre den Führerschein abnehmen.
Doch Oktay S. wehrt sich gegen den Knast – bis heute. In zweiter Instanz scheiterte er vom dem Landgericht in Kiel, das den Urteilsspruch aus Norderstedt bestätigte. Nun liegt die Sache in letzter Instanz beim Oberlandesgericht. „Mein Anwalt geht für mich in diese Verhandlungen. Ich kann nur hoffen, dass das Berliner Urteil die Aussichten des Fahrers auf Bewährung verschlechtern.“
Susanne Urban will, dass Leute wie Oktay S. niemals mehr hinter einem Lenkrad sitzen dürfen. Nicht nur vier Jahre Führerscheinentzug – sondern für immer. Oktay S. hat das Leben ihres Mannes Gerhard beendet. Und ihres auf den Kopf gestellt. „Ich brach mir beim Unfall den Oberschenkelhals“, sagt Susanne Urban. Als sie ihren Mann beerdigt hatten, musste sie ihr kleines Wellness-Studio in Tönningstedt schließen. „Ich bin froh, dass ich noch laufen kann – wenn auch mit komischem Gang. Aber jeden Tag an der Massageliege stehen und arbeiten – das ging nicht mehr.“ Drei Jahre war sie damals erst selbstständig, es lief gerade erst an. Heute ist sie arbeitslos, lebt von der Witwenrente und dem, was ihre Eltern zuschießen. Die Familie lebt im gemeinsamen Haus in Tönningstedt, die Mutter ist ein schwerer Pflegefall. Susanne Urban hatte sich ihre Leben anders vorgestellt – mit ihrem Gerhard. „Ich habe den Unfall ganz gut verarbeitet. Es ist, wie es ist, sage ich mir.“ Über Kleinigkeiten und Alltagsprobleme regt sie sich heute nicht mehr auf. „Ich weiß, was wirklich schlimm ist.“ Beim Autofahren hatte sie lange große Angst. „In kleine Autos setze ich mich nicht mehr. Ich habe mir einen SUV, einen Opel Mokka, gekauft. Ich will mehr Schutz, mehr Sicherheit.“
Polizei hat „Cruiser“ aus der Stadt vertrieben
Auf der Niendorfer Straße steht heute unweit der Unfallstelle eine Radarsäule und wacht über Ampelphasen und Tempo 60. „Durch intensive Polizeikontrollen haben wir die sogenannte Cruiser-Szene weitgehend aus Norderstedt verdrängt“, sagt Kai Hädicke-Schories, Verkehrsexperte der Norderstedter Polizei. „Illegale Autorennen sind auf Norderstedter Straßen kein vordringliches Problem.“ Anwohner hingegen berichten, dass manchmal nachts die Motoren heulen – auf der Marommer Straße oder auf der Oststraße. Hädicke-Schories: „Was wir nie werden verhindern können, ist, dass sich zwei unverantwortliche Autofahrer spontan an einer Ampel zu Rennen verabreden und losrasen.“