Bad Segeberg. Einst gehörten sie zum Straßenbild – Robert Wilken betreibt in Bad Segeberg die letzte im Kreisgebiet. Das Abendblatt hat sich bei ihm umgesehen
Der erste Eindruck ist freundlich: Jede Menge Kinderfilme stehen direkt am Eingang. Die ganze Disney-Kollektion. Linker Hand eine Tür, die in einen Bereich führt, in dem Filme stehen, die mit Disney und Co. nicht im Entferntesten etwas zu tun haben. Horror- und Pornofilmchen gehören nun einmal dazu. „Ohne sie geht es nicht“, sagt Robert Wilkens (51). „Die braucht man, um überleben zu können.“ In rein finanzieller Hinsicht, versteht sich. Filme aus diesen beiden Genres bringen etwa ein Viertel des Umsatzes. Und auf diese Einnahmen kann der Geschäftsmann nicht verzichten: Robert Wilkens betreibt in Bad Segeberg die Videothek Centaurus. Es ist die letzte im Kreis Segeberg.
Einst gehörten sie zum Straßenbild: An fast jeder Ecke gab es eine Videothek. Die Besucher standen Schlange, um sich Filme auszuleihen und sie dann im heimischen Wohnzimmer in aller Ruhe zu genießen. Irgendwie hat es niemand so richtig bemerkt, aber heimlich still und leise sind sie verschwunden. Die DVD hat die VHS-Kassette – es gab zwischendurch auch Betamax und Video 2000 – verdrängt: 2006 verschwanden die letzten dickleibigen Kassetten aus den Geschäften und den Videotheken. Der Name indes blieb, weil das Wort „DVD-Thek“ irgendwie doch zu sperrig klang. Gleichzeitig drängte die Blue-Ray-Disc auf den Markt. Heute hat sie im Filmkauf- und Verleihgeschäft einen Anteil von rund 30 Prozent.
Etwa 1100 Videotheken gibtes noch in Deutschland
Als Robert Wilken 1999 seine damals drei Videotheken aufbaute, boomte der Markt. Davon konnte er flott leben, denn die Kunden stürmten seine Läden. Die jeweils neuen Filme wurden ihm buchstäblich aus der Hand gerissen.
Vor etwa sechs Jahren kam dann der Einbruch, schleichend zunächst, dann immer heftiger. Robert Wilken weiß, was ihm das Geschäft verhagelt: Das Internet mit seinen vielen Verlockungen und Möglichkeiten verdrängt die herkömmlichen Videotheken. „Die jungen Leute streamen viel“, sagt er. „Dadurch ist der Umsatz der Videotheken weggebrochen.“
Er hat reagiert und zwei seiner drei Geschäfte geschlossen. Zuletzt seine Centaurus-Videothek in Bad Oldesloe, um sich ganz auf das Geschäft in Bad Segeberg zu konzentrieren. Das läuft noch anständig, weil die Lage am Rand der Fußgängerzone ausgezeichnet ist. Hier will Robert Wilken ausharren, bis die Geschäft besser laufen. Er ist sich ziemlich sicher, dass es wieder bergauf geht: „Dem Kino wurde ja auch ein Einbruch vorausgesagt, trotzdem hat es sich immer wiederbelebt.“
Etwa 1100 Videotheken (Stand Ende 2015, neuere Zahlen liegen noch nicht vor) gibt es in Deutschland, etwa 50 davon in Schleswig-Holstein, 20 in Hamburg. 165 Millionen Euro Umsatz wurden mit dem Verleihgeschäft gemacht, zwei Jahre zuvor waren es noch 210 Millionen Euro. Rund 4,4 Millionen Kunden haben im Laufe des Jahres 68 Millionen Filme ausgeliehen. Es ist abzusehen, dass im Laufe des vergangenen Jahres weitere Videotheken die Ladentür für immer verschlossen haben. So wie zum Beispiel die Empire-Videothek an der Ulzburger Straße in Norderstedt. Das war kein Einzelfall: 90 Prozent aller Empire Videotheken, eine Marke der Ledick Filmhandel GmbH aus Hemslingen – Söhlingen in Niedersachsen, haben im vergangenen Jahr geschlossen. Der zweite Norderstedter Standort an der Langenhorner Chaussee wurde schon vor Jahren aufgegeben. Empire ist in Schleswig-Holstein nur noch in Neumünster vertreten, in Hamburg gibt es noch drei Geschäfte.
„Große Videotheken lohnen sich nicht mehr“, sagt Yvonne Feige, die in Hamburg als Einkäuferin für Empire und andere Videotheken tätig ist. „Vielleicht haben kleinere noch eine Überlebenschance.“ Ganz vom Markt werden sie ihrer Ansicht nach nicht verschwinden, aber mittelfristig eine Institution für Insider werden. „So wie es auch noch einige Plattenläden gibt, wird es auch noch eine Videotheken geben.“
Downloads sind teurer als das Ausleihen in der Videothek
In der Segeberger Centaurus-Videothek geht es weiter – und Robert Wilkens hofft, dass er sich noch viele Jahre über Wasser halten kann. Die legalen Online-Videotheken wie Netflix, Maxdome und Amazon Prime hält der Geschäftsmann auf Dauer nicht unbedingt für bedrohliche Konkurrenten: Dort erscheinen Neuheiten später als in seiner Videothek, die Downloads sind teurer als das Ausleihen in seiner Videothek. Wer einen Film heute ausleiht und heute zurückbringt, zahlt zwei Euro, bis zum nächsten Tag sind vier Euro fällig. Wer zum Beispiel bei Sky on Demand einen Top-Film sehen will, zahlt immerhin sechs Euro. Geschäftsschädigender sind die illegalen Internetseiten wie Kinox, auf denen aktuelle Streifen gebührenfrei zu sehen sind.
Wer sich Filme per Internet ausleiht, muss auf kompetente Beratung verzichten. In der Videothek gibt es sie kostenlos. „Darauf lege ich viel Wert“, sagt Robert Wilkens, der sich in der Filmlandschaft bestens auskennt und die meisten der von ihm angebotenen Filme auch wirklich gesehen hat. Ein fester Mitarbeiter ist ein ausgewiesener Horror-Spezialist, sodass auch diese Seite gut abgedeckt ist. Aber auch die vier 450-Euro-Kräfte müssen sich bemühen, den Kunden kompetente Auskünfte zu geben.
Trotz des Einbruchs kann sich Robert Wilkens noch nicht wirklich beklagen: Pro Woche kommen immerhin bis zu zehn Neukunden, wobei nicht alle die Videothek betreten, um Filme auszuleihen: Viele sind an ausleihbaren Spielen für Konsolen oder PCs interessiert. Ein weiteres Viertel des Umsatzes wird durch das Verleihen der Spiele generiert. Die Hälfte des Umsatzes fällt also auf das Ausleihgeschäft.
20 bis 25 Euro kostet ein neuer Film auf DVD – und das bedeutet für Robert Wilkens: Er muss den Film mindestens fünfmal von einem auf den anderen Tag verleihen, um die Kosten hereinzubekommen. Das sind über Jahre hinweg die beliebtesten Filme in der Centaurus-Videothek: „Der letzte Lude“ wurde 287-mal ausgeliehen, „Titanic“ 225-mal, „Wo ist Fred“ 170-mal, „Rapunzel – neu verföhnt“ 140-mal. Filmklassiker wie „Einer flog übers Kuckucksnest“, „Der Pate 1 bis 3“ oder „Papillon“ bleiben auf ewig im Bestand und werden auch heute noch nachgefragt. Andere Filme, die von der Zeit überholt wurden, gibt es in der Videothek günstig zu kaufen. Die persönlichen Favoriten des Geschäftsinhabers sind derzeit Woody Allens „Midnight in Paris“ und die Neuverfilmung von „Die glorreichen Sieben“.
Für Wilkens ist die Welt trotz aller geschäftlichen Schwierigkeiten irgendwie noch in Ordnung. Ganz verlassen möchte er sich auf das Verleihgeschäft aber nicht mehr. In Klein Rönnau eröffnet er zusammen mit seinem Bruder demnächst ein American Diner, außerdem betreibt er noch ein Solarium.