Norderstedt. Zahl der Wohnungseinbrüche stark gesteigen. Die Polizei führt in Norderstedt erneut die umstrittenen Anhalte- und Sichtkontrollen ein.
Einbrecher haben in Norderstedt derzeit Hochkonjunktur. Nun reagiert die Polizeidirektion Segeberg. Mit Anhalte- und Sichtkontrollen wollen die Beamten in den kommenden Wochen Jagd auf Einbrecherbanden machen.
Das Abendblatt hatte zuletzt über den starken Anstieg der Zahl von Einbrüchen in der Stadt berichtet und alleine zwei Dutzend Fälle im Stadtgebiet dokumentiert – und das waren nur jene, bei denen die Polizei über die Öffentlichkeit die Fahndung nach den Tätern unterstützen wollte.
Nun legt die Polizeidirektion aktuelle Zahlen vor, die das ganze Ausmaß der Situation beschreiben. In den vergangenen vier Wochen sei die Zahl der Einbruchsdelikte in zwei Zuständigkeitsbereichen der Polizeidirektion stark angestiegen: in Norderstedt und in Rellingen. Die Polizeireviere dort verzeichneten insgesamt 70 Einbrüche. Auch wenn diese Zahl niedriger sei als im vergleichbaren Zeitraum von 2015 (89 Fälle), seien dies fast 45 Prozent aller Wohnungseinbrüche in der Polizeidirektion Bad Segeberg. Zum Vergleich: In den vier Wochen davor kam es laut Polizei nur zu 25 Einbrüchen.
Mit Anhalte- und Sichtkontrollen werde von Montag, 28. November, an in beiden Revieren nach Einbrechern gefahndet. Die Anordnung kam vom Leiter der Polizeidirektion Bad Segeberg, Andreas Görs. Sie gilt vorerst bis einschließlich Montag, 26. Dezember.
Die Kontrollen des Landesverwaltungsgesetzes sind Teil des seit 2010 von der Polizei verfolgten Konzeptes zur Bekämpfung von Wohnungseinbruchsdiebstählen (WED-Konzept). Sie ermächtigen die Beamten in von Kriminalität belasteten Bereichen, zum Beispiel Autos bei Kontrollen anzuhalten. Ergibt sich beim Augenschein ein Verdachtsmoment, dürfen das Auto durchsucht und der Fahrer auf seine Personalien geprüft werden – ein Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger. Vom 9. Oktober 2015 bis zum 31. März 2016 hatte die Polizeidirektion zuletzt in Norderstedt die Anhalte- und Sichtkontrollen zugelassen. In mehreren Großkontrollen auf den Straßen der Stadt wurden Autofahrer überprüft. Die Ergebnisse waren überschaubar. Einen Einbrecher auf frischer Tat ertappten die Beamten nicht. Aber die Polizeidirektion sprach von einem merklichen Rückgang der Zahl von Einbrüchen in der Region in der Folge der Großkontrollen und wertete dies als direkten Erfolg. „Auch in den kommenden Wochen wird es Großkontrollen in Norderstedt und im Bereich Rellingen geben“, sagt Peggy Bandelin, Sprecherin der Polizeidirektion. „Diese werden derzeit geplant, und wir werden die Bevölkerung vor jeder Kontrolle informieren.“
Daten der Bürger werden dabei nur erhoben, wenn sich während der Kontrolle Verdachtsmomente gegen eine Person ergeben, ansonsten werde nichts geschrieben, gespeichert oder dokumentiert. „Unbescholtene Bürger haben keinen Anlass, sich in einer solchen Kontrolle zu sorgen!“, heißt es in einer Mitteilung der Polizei. Hintergrund der Kontrollen sei es, die so gewonnenen Erkenntnisse auszuwerten, um Bandenstrukturen zu erkennen und die Bewegung verdächtiger Personen nachvollziehen zu können.
Die rechtliche Grundlage für die Kontrollen, der Paragraf 180, Absatz III des Landesverwaltungsgesetzes, wurde am Mittwoch im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags verändert. Die Anordnung der Kontrollen ist von nun an auf zunächst 28 Tage zu befristen, für eine Verlängerung muss sich die Polizei eine richterliche Entscheidung beim Amtsgericht besorgen. Außerdem muss jede Kontrolle in „geeigneter Form“ der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden. „Das sehen wir natürlich als Erfolg unserer Politik. Es kommt mehr Transparenz in die Sache“, sagt Patrick Breyer, Landtagsabgeordneter der Piraten-Partei und einer der lautstärksten Kritiker der „Gefahrengebiete“, wie er es nennt.
Unbescholtene Bürger hätten nichts zu befürchten
„Verdachtslose Kontrollen in Gefahrengebieten haben sich als unnütz, stigmatisierend und kontraproduktiv herausgestellt“, sagt Breyer. Die Piraten haben sich die Zahlen der Einbruchsentwicklung vor und nach Anhalte- und Sichtkontrollen angeschaut. „Dabei zeigte sich klar, dass die Kontrollen keine Auswirkung auf die Entwicklung der Einbruchszahlen hatten. Gebiete mit und ohne Kontrollen wiesen ähnliche Zu- oder Abnahmen auf.“
Aus Breyers Sicht ist auch das neue, veränderte Gesetz weiterhin verfassungswidrig. Die Kontrollen seien ein „Einfallstor für Diskriminierung und Stigmatisierung“. Es fehle jede Eingrenzung der zu kontrollierenden Zielgruppe. Deswegen will Pirat Breyer die vollständige Abschaffung des Gesetzes erreichen. „Die Polizeibeamten, die bei diesen Öffentlichkeitsfahndungen gegen Einbrecher Dienst schieben, könnten viel sinnvoller bei gezielten Ermittlungen gegen Verdächtige eingesetzt werden.“